Sphärenkreise, in die unser Auge vergebens zu drin¬ gen sucht. Darin finde ich aber eben den merkwürdi¬ gen Unterschied zwischen Ihrem und unserm Geschlecht, ich meine zwischen den Erwählten. Während wir noch immer titanisch nach dem Unmöglichen ringen, findet das edle Weib schon in der Entsagung den höhern Trost. Da erst verklärt sich ihre Liebe zu derjenigen, welche nicht besitzen, nur beglücken will; selbst beglückt, wenn sie den geliebten Gegenstand glück¬ lich sieht in der Liebe zu einer andern."
Der Legationsrath schien unwillkürlich mit dem Taschentuch über seine Augen zu fahren. Die Ba¬ ronin sah ihn aber sehr scharf an:
"Was meinen Sie denn damit? Denn das habe ich Ihnen auch abgemerkt, Sie sagen nichts ohne Absicht."
"Meine Freundin wird aber darin mit mir einig sein, daß es unter zartfühlenden Seelen besser ist, über gewisse Interessen nur andeutend wegzu¬ gehen, als sie auszusprechen. Wer heilende Wunden muthwillig aufreißt, wird zum Selbstmörder."
Die Baronin sah ihn so klar an, daß Wandel seine Augen einen Moment niederschlug:
"Manche Wunde thut auch wohl, wenn man weiß, daß, der sie schlug, es in guter Absicht that. Sie sind nicht Dohlenecks Freund, leugnen Sie's nur nicht; ich weiß es --"
"Mir ist er eigentlich ganz indifferent, meine Freundin. Wenn er feindliche Gefühle gegen mich
Sphärenkreiſe, in die unſer Auge vergebens zu drin¬ gen ſucht. Darin finde ich aber eben den merkwürdi¬ gen Unterſchied zwiſchen Ihrem und unſerm Geſchlecht, ich meine zwiſchen den Erwählten. Während wir noch immer titaniſch nach dem Unmöglichen ringen, findet das edle Weib ſchon in der Entſagung den höhern Troſt. Da erſt verklärt ſich ihre Liebe zu derjenigen, welche nicht beſitzen, nur beglücken will; ſelbſt beglückt, wenn ſie den geliebten Gegenſtand glück¬ lich ſieht in der Liebe zu einer andern.“
Der Legationsrath ſchien unwillkürlich mit dem Taſchentuch über ſeine Augen zu fahren. Die Ba¬ ronin ſah ihn aber ſehr ſcharf an:
„Was meinen Sie denn damit? Denn das habe ich Ihnen auch abgemerkt, Sie ſagen nichts ohne Abſicht.“
„Meine Freundin wird aber darin mit mir einig ſein, daß es unter zartfühlenden Seelen beſſer iſt, über gewiſſe Intereſſen nur andeutend wegzu¬ gehen, als ſie auszuſprechen. Wer heilende Wunden muthwillig aufreißt, wird zum Selbſtmörder.“
Die Baronin ſah ihn ſo klar an, daß Wandel ſeine Augen einen Moment niederſchlug:
„Manche Wunde thut auch wohl, wenn man weiß, daß, der ſie ſchlug, es in guter Abſicht that. Sie ſind nicht Dohlenecks Freund, leugnen Sie's nur nicht; ich weiß es —“
„Mir iſt er eigentlich ganz indifferent, meine Freundin. Wenn er feindliche Gefühle gegen mich
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Sphärenkreiſe, in die unſer Auge vergebens zu drin¬
gen ſucht. Darin finde ich aber eben den merkwürdi¬
gen Unterſchied zwiſchen Ihrem und unſerm Geſchlecht,
ich meine zwiſchen den Erwählten. Während wir
noch immer titaniſch nach dem Unmöglichen ringen,
findet das edle Weib ſchon in der Entſagung den
höhern Troſt. Da erſt verklärt ſich ihre Liebe zu
derjenigen, welche nicht beſitzen, nur beglücken will;
ſelbſt beglückt, wenn ſie den geliebten Gegenſtand glück¬
lich ſieht in der Liebe zu einer andern.“
Der Legationsrath ſchien unwillkürlich mit dem
Taſchentuch über ſeine Augen zu fahren. Die Ba¬
ronin ſah ihn aber ſehr ſcharf an:
„Was meinen Sie denn damit? Denn das habe
ich Ihnen auch abgemerkt, Sie ſagen nichts ohne
Abſicht.“
„Meine Freundin wird aber darin mit mir
einig ſein, daß es unter zartfühlenden Seelen beſſer
iſt, über gewiſſe Intereſſen nur andeutend wegzu¬
gehen, als ſie auszuſprechen. Wer heilende Wunden
muthwillig aufreißt, wird zum Selbſtmörder.“
Die Baronin ſah ihn ſo klar an, daß Wandel
ſeine Augen einen Moment niederſchlug:
„Manche Wunde thut auch wohl, wenn man
weiß, daß, der ſie ſchlug, es in guter Abſicht that.
Sie ſind nicht Dohlenecks Freund, leugnen Sie's
nur nicht; ich weiß es —“
„Mir iſt er eigentlich ganz indifferent, meine
Freundin. Wenn er feindliche Gefühle gegen mich
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/44>, abgerufen am 16.07.2024.
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