Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Das war ein wüster Blick in dem Auge, sein letzter,
das war ein Schrei aus tiefer Brust, auch sein
letzter: "Weib! es ist falsch -- Alles falsch!"

"Alles ist falsch!" antwortete sie tonlos.

Er hatte nicht mehr die Antwort gehört. Er lag auf
der Diele, er hatte ausgelitten. Der Kater war vom
Tisch gesprungen und bäumte sich über den Leichnam.
Die Geheimräthin irrte in der Stube umher und
konnte den Spiegel nicht finden. Als sie ihn ge¬
funden, konnte sie nichts drin sehen. Sie rieb und
rieb, aber der Spiegel blieb blind. "Mein Gott, ich
muß doch die Wahrheit sehen!" rief sie, und suchte
nach einem Tuche. Jetzt meinte sie, der letzte Hauch
sei abgerieben. Sie sah sich und sie sah sich nicht.
"Allmächtiger!" --!" schrie sie auf und preßte die
Hände über ihren Scheitel. Diese Bewegung sah
sie, aber sonst nur Umrisse. Umsonst quollen die
Augäpfel aus den Höhlungen hervor. Mit einem neuen,
entsetzlichen Schrei fuhr sie zurück. Die Gestalt im
Spiegel fuhr auch zurück: "Ich bin ja hohl!" Es
war ein heulender Ton.

Ihr Diener fand sie nachher halb auf der Erde
liegend, den Kopf auf's Sopha gefallen. Sie sträubte
sich verzweifelt, als man sie in's Bett bringen
wollte, und rief ein Mal über das andere, man
werde gewiß nichts finden.



Druck von Eduard Krause in Berlin.

Das war ein wüſter Blick in dem Auge, ſein letzter,
das war ein Schrei aus tiefer Bruſt, auch ſein
letzter: „Weib! es iſt falſch — Alles falſch!“

„Alles iſt falſch!“ antwortete ſie tonlos.

Er hatte nicht mehr die Antwort gehört. Er lag auf
der Diele, er hatte ausgelitten. Der Kater war vom
Tiſch geſprungen und bäumte ſich über den Leichnam.
Die Geheimräthin irrte in der Stube umher und
konnte den Spiegel nicht finden. Als ſie ihn ge¬
funden, konnte ſie nichts drin ſehen. Sie rieb und
rieb, aber der Spiegel blieb blind. „Mein Gott, ich
muß doch die Wahrheit ſehen!“ rief ſie, und ſuchte
nach einem Tuche. Jetzt meinte ſie, der letzte Hauch
ſei abgerieben. Sie ſah ſich und ſie ſah ſich nicht.
„Allmächtiger!“ —!“ ſchrie ſie auf und preßte die
Hände über ihren Scheitel. Dieſe Bewegung ſah
ſie, aber ſonſt nur Umriſſe. Umſonſt quollen die
Augäpfel aus den Höhlungen hervor. Mit einem neuen,
entſetzlichen Schrei fuhr ſie zurück. Die Geſtalt im
Spiegel fuhr auch zurück: „Ich bin ja hohl!“ Es
war ein heulender Ton.

Ihr Diener fand ſie nachher halb auf der Erde
liegend, den Kopf auf's Sopha gefallen. Sie ſträubte
ſich verzweifelt, als man ſie in's Bett bringen
wollte, und rief ein Mal über das andere, man
werde gewiß nichts finden.



Druck von Eduard Krauſe in Berlin.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0362" n="352"/>
Das war ein wü&#x017F;ter Blick in dem Auge, &#x017F;ein letzter,<lb/>
das war ein Schrei aus tiefer Bru&#x017F;t, auch &#x017F;ein<lb/>
letzter: &#x201E;Weib! es i&#x017F;t fal&#x017F;ch &#x2014; Alles fal&#x017F;ch!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Alles i&#x017F;t fal&#x017F;ch!&#x201C; antwortete &#x017F;ie tonlos.</p><lb/>
        <p>Er hatte nicht mehr die Antwort gehört. Er lag auf<lb/>
der Diele, er hatte ausgelitten. Der Kater war vom<lb/>
Ti&#x017F;ch ge&#x017F;prungen und bäumte &#x017F;ich über den Leichnam.<lb/>
Die Geheimräthin irrte in der Stube umher und<lb/>
konnte den Spiegel nicht finden. Als &#x017F;ie ihn ge¬<lb/>
funden, konnte &#x017F;ie nichts drin &#x017F;ehen. Sie rieb und<lb/>
rieb, aber der Spiegel blieb blind. &#x201E;Mein Gott, ich<lb/>
muß doch die Wahrheit &#x017F;ehen!&#x201C; rief &#x017F;ie, und &#x017F;uchte<lb/>
nach einem Tuche. Jetzt meinte &#x017F;ie, der letzte Hauch<lb/>
&#x017F;ei abgerieben. Sie &#x017F;ah &#x017F;ich und &#x017F;ie &#x017F;ah &#x017F;ich nicht.<lb/>
&#x201E;Allmächtiger!&#x201C; &#x2014;!&#x201C; &#x017F;chrie &#x017F;ie auf und preßte die<lb/>
Hände über ihren Scheitel. Die&#x017F;e Bewegung &#x017F;ah<lb/>
&#x017F;ie, aber &#x017F;on&#x017F;t nur Umri&#x017F;&#x017F;e. Um&#x017F;on&#x017F;t quollen die<lb/>
Augäpfel aus den Höhlungen hervor. Mit einem neuen,<lb/>
ent&#x017F;etzlichen Schrei fuhr &#x017F;ie zurück. Die Ge&#x017F;talt im<lb/>
Spiegel fuhr auch zurück: &#x201E;Ich bin ja hohl!&#x201C; Es<lb/>
war ein heulender Ton.</p><lb/>
        <p>Ihr Diener fand &#x017F;ie nachher halb auf der Erde<lb/>
liegend, den Kopf auf's Sopha gefallen. Sie &#x017F;träubte<lb/>
&#x017F;ich verzweifelt, als man &#x017F;ie in's Bett bringen<lb/>
wollte, und rief ein Mal über das andere, man<lb/>
werde gewiß nichts finden.</p><lb/>
      </div>
    </body>
    <back>
      <div type="imprint">
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p rendition="#c">Druck von <hi rendition="#g">Eduard Krau&#x017F;e</hi> in Berlin.</p>
      </div><lb/>
    </back>
  </text>
</TEI>
[352/0362] Das war ein wüſter Blick in dem Auge, ſein letzter, das war ein Schrei aus tiefer Bruſt, auch ſein letzter: „Weib! es iſt falſch — Alles falſch!“ „Alles iſt falſch!“ antwortete ſie tonlos. Er hatte nicht mehr die Antwort gehört. Er lag auf der Diele, er hatte ausgelitten. Der Kater war vom Tiſch geſprungen und bäumte ſich über den Leichnam. Die Geheimräthin irrte in der Stube umher und konnte den Spiegel nicht finden. Als ſie ihn ge¬ funden, konnte ſie nichts drin ſehen. Sie rieb und rieb, aber der Spiegel blieb blind. „Mein Gott, ich muß doch die Wahrheit ſehen!“ rief ſie, und ſuchte nach einem Tuche. Jetzt meinte ſie, der letzte Hauch ſei abgerieben. Sie ſah ſich und ſie ſah ſich nicht. „Allmächtiger!“ —!“ ſchrie ſie auf und preßte die Hände über ihren Scheitel. Dieſe Bewegung ſah ſie, aber ſonſt nur Umriſſe. Umſonſt quollen die Augäpfel aus den Höhlungen hervor. Mit einem neuen, entſetzlichen Schrei fuhr ſie zurück. Die Geſtalt im Spiegel fuhr auch zurück: „Ich bin ja hohl!“ Es war ein heulender Ton. Ihr Diener fand ſie nachher halb auf der Erde liegend, den Kopf auf's Sopha gefallen. Sie ſträubte ſich verzweifelt, als man ſie in's Bett bringen wollte, und rief ein Mal über das andere, man werde gewiß nichts finden. Druck von Eduard Krauſe in Berlin.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/362
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/362>, abgerufen am 05.05.2024.