Um ihm zum Schreiben Platz zu machen, trug sie die Rollen auf einen andern Tisch. Die Rollen waren schwer, ihre Glieder waren wie gebrochen. Eine entglitt ihr, einige Goldstücke rollten umher, die sie aufzuheben sich bückte.
"O mein Gott, Sie geben sich meinetwegen so viel Mühe!" rief er, auf dem Stuhl sich umwendend, schrieb aber weiter. Er wandte sich wieder um: "Wie wollen Sie es mit den Zinsen gehalten haben?"
Sie antwortete nicht.
"Es ist doch wegen Lebens und Sterbens, ver¬ ehrte Freundin. Ich würde sechs Procent schreiben, aber Sie könnten, da Sie nicht kaufmännische Rechte haben, dadurch in Ungelegenheiten kommen. Sehr möglich auch, daß der Zinsfuß in dieser Krisis noch steigt. Ich setze daher lieber: je nach dem höchsten Börsensatz."
Sie winkte ihm Schweigen mit einem krächzen¬ den Hohngelächter. Er schrieb weiter. Was schrieb er noch! Er war aufgestanden und hatte ihr mit einer verbindlichen Verbeugung den Schuldschein überreicht. Sie warf ihn auf den Tisch, ohne ihn anzusehen.
Jetzt war nichts mehr von Angst, Scheu, Ban¬ gigkeit in diesem Gesichte, es wogte ein wildes Feuer in der Brust, ihre Augen vermieden ihn nicht, sie sah mit einer Art böser Freude auf ihn:
"Was ist Ihnen noch sonst gefällig? -- Da ist
„Wozu das?“
„Es iſt doch der Ordnung wegen.“
Um ihm zum Schreiben Platz zu machen, trug ſie die Rollen auf einen andern Tiſch. Die Rollen waren ſchwer, ihre Glieder waren wie gebrochen. Eine entglitt ihr, einige Goldſtücke rollten umher, die ſie aufzuheben ſich bückte.
„O mein Gott, Sie geben ſich meinetwegen ſo viel Mühe!“ rief er, auf dem Stuhl ſich umwendend, ſchrieb aber weiter. Er wandte ſich wieder um: „Wie wollen Sie es mit den Zinſen gehalten haben?“
Sie antwortete nicht.
„Es iſt doch wegen Lebens und Sterbens, ver¬ ehrte Freundin. Ich würde ſechs Procent ſchreiben, aber Sie könnten, da Sie nicht kaufmänniſche Rechte haben, dadurch in Ungelegenheiten kommen. Sehr möglich auch, daß der Zinsfuß in dieſer Kriſis noch ſteigt. Ich ſetze daher lieber: je nach dem höchſten Börſenſatz.“
Sie winkte ihm Schweigen mit einem krächzen¬ den Hohngelächter. Er ſchrieb weiter. Was ſchrieb er noch! Er war aufgeſtanden und hatte ihr mit einer verbindlichen Verbeugung den Schuldſchein überreicht. Sie warf ihn auf den Tiſch, ohne ihn anzuſehen.
Jetzt war nichts mehr von Angſt, Scheu, Ban¬ gigkeit in dieſem Geſichte, es wogte ein wildes Feuer in der Bruſt, ihre Augen vermieden ihn nicht, ſie ſah mit einer Art böſer Freude auf ihn:
„Was iſt Ihnen noch ſonſt gefällig? — Da iſt
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0355"n="345"/><p>„Wozu das?“</p><lb/><p>„Es iſt doch der Ordnung wegen.“</p><lb/><p>Um ihm zum Schreiben Platz zu machen, trug<lb/>ſie die Rollen auf einen andern Tiſch. Die Rollen<lb/>
waren ſchwer, ihre Glieder waren wie gebrochen.<lb/>
Eine entglitt ihr, einige Goldſtücke rollten umher, die<lb/>ſie aufzuheben ſich bückte.</p><lb/><p>„O mein Gott, Sie geben ſich meinetwegen ſo<lb/>
viel Mühe!“ rief er, auf dem Stuhl ſich umwendend,<lb/>ſchrieb aber weiter. Er wandte ſich wieder um: „Wie<lb/>
wollen Sie es mit den Zinſen gehalten haben?“</p><lb/><p>Sie antwortete nicht.</p><lb/><p>„Es iſt doch wegen Lebens und Sterbens, ver¬<lb/>
ehrte Freundin. Ich würde ſechs Procent ſchreiben,<lb/>
aber Sie könnten, da Sie nicht kaufmänniſche Rechte<lb/>
haben, dadurch in Ungelegenheiten kommen. Sehr<lb/>
möglich auch, daß der Zinsfuß in dieſer Kriſis noch<lb/>ſteigt. Ich ſetze daher lieber: je nach dem höchſten<lb/>
Börſenſatz.“</p><lb/><p>Sie winkte ihm Schweigen mit einem krächzen¬<lb/>
den Hohngelächter. Er ſchrieb weiter. Was ſchrieb<lb/>
er noch! Er war aufgeſtanden und hatte ihr mit einer<lb/>
verbindlichen Verbeugung den Schuldſchein überreicht.<lb/>
Sie warf ihn auf den Tiſch, ohne ihn anzuſehen.</p><lb/><p>Jetzt war nichts mehr von Angſt, Scheu, Ban¬<lb/>
gigkeit in dieſem Geſichte, es wogte ein wildes Feuer<lb/>
in der Bruſt, ihre Augen vermieden ihn nicht, ſie<lb/>ſah mit einer Art böſer Freude auf ihn:</p><lb/><p>„Was iſt Ihnen noch ſonſt gefällig? — Da iſt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[345/0355]
„Wozu das?“
„Es iſt doch der Ordnung wegen.“
Um ihm zum Schreiben Platz zu machen, trug
ſie die Rollen auf einen andern Tiſch. Die Rollen
waren ſchwer, ihre Glieder waren wie gebrochen.
Eine entglitt ihr, einige Goldſtücke rollten umher, die
ſie aufzuheben ſich bückte.
„O mein Gott, Sie geben ſich meinetwegen ſo
viel Mühe!“ rief er, auf dem Stuhl ſich umwendend,
ſchrieb aber weiter. Er wandte ſich wieder um: „Wie
wollen Sie es mit den Zinſen gehalten haben?“
Sie antwortete nicht.
„Es iſt doch wegen Lebens und Sterbens, ver¬
ehrte Freundin. Ich würde ſechs Procent ſchreiben,
aber Sie könnten, da Sie nicht kaufmänniſche Rechte
haben, dadurch in Ungelegenheiten kommen. Sehr
möglich auch, daß der Zinsfuß in dieſer Kriſis noch
ſteigt. Ich ſetze daher lieber: je nach dem höchſten
Börſenſatz.“
Sie winkte ihm Schweigen mit einem krächzen¬
den Hohngelächter. Er ſchrieb weiter. Was ſchrieb
er noch! Er war aufgeſtanden und hatte ihr mit einer
verbindlichen Verbeugung den Schuldſchein überreicht.
Sie warf ihn auf den Tiſch, ohne ihn anzuſehen.
Jetzt war nichts mehr von Angſt, Scheu, Ban¬
gigkeit in dieſem Geſichte, es wogte ein wildes Feuer
in der Bruſt, ihre Augen vermieden ihn nicht, ſie
ſah mit einer Art böſer Freude auf ihn:
„Was iſt Ihnen noch ſonſt gefällig? — Da iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/355>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.