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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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an der eingefallenen Kirchhofsmauer ließ er mich we¬
nigstens, da durfte ich knieen -- da hörte ich des
Herrn Predigers Rede. Mich ließen sie keine Erde
ihm in die Grube nachwerfen, aber auf mich warf
der Herr Prediger -- das kann ich nicht wieder
schreiben. Und es war nicht wahr -- ich habe mei¬
nen Vater nicht umgebracht! -- Und die Blicke nach¬
her, wie sie an mir vorübergingen! Gott sei Dank,
dann ward es frei, der stille Abend, da lag ich über
seinem Grabe, und der Lindenbaum fluchte nicht,
in seinen Blättern säuselte es wie süße Lieder, und
ich schlief ein, bis das Morgenroth mich aus dem
Frieden weckte. Um die Mauer schlich ich von hin¬
ten nach dem Hause, wo er starb, wo ich geboren
bin. War denn das ein Verbrechen, daß ich es zum
letzten Mal sehen wollte! Bürgerfrauen hatten mich
bemerkt. Der Rathsdiener, mit dem Schild auf der
Brust, kam und sagte -- ach, was er mir sagte, ich
weiß es nicht: von lüderlichem Gesindel und auf die
Finger sehen, und hinausbringen, und ich hätte kein
Heimathsrecht mehr!

"Nein, Louis, ich habe keine Heimath; wie ich
da am rauschenden Wasser stand, da sahen keine
rothen Gesichter heraus vom Bürgermeister, und nicht
die häßlichen spitzen der Bürgerfrauen -- und da --
da hörte ich, daß Du glücklich wärst -- ich wußte es
schon, unter der Linde auf dem Kirchhofe hatte ich
Dich gesehen, und die Herrschaften, die im Wagen
vor der Schenke schwätzten, derweil ihre Pferde Muth

an der eingefallenen Kirchhofsmauer ließ er mich we¬
nigſtens, da durfte ich knieen — da hörte ich des
Herrn Predigers Rede. Mich ließen ſie keine Erde
ihm in die Grube nachwerfen, aber auf mich warf
der Herr Prediger — das kann ich nicht wieder
ſchreiben. Und es war nicht wahr — ich habe mei¬
nen Vater nicht umgebracht! — Und die Blicke nach¬
her, wie ſie an mir vorübergingen! Gott ſei Dank,
dann ward es frei, der ſtille Abend, da lag ich über
ſeinem Grabe, und der Lindenbaum fluchte nicht,
in ſeinen Blättern ſäuſelte es wie ſüße Lieder, und
ich ſchlief ein, bis das Morgenroth mich aus dem
Frieden weckte. Um die Mauer ſchlich ich von hin¬
ten nach dem Hauſe, wo er ſtarb, wo ich geboren
bin. War denn das ein Verbrechen, daß ich es zum
letzten Mal ſehen wollte! Bürgerfrauen hatten mich
bemerkt. Der Rathsdiener, mit dem Schild auf der
Bruſt, kam und ſagte — ach, was er mir ſagte, ich
weiß es nicht: von lüderlichem Geſindel und auf die
Finger ſehen, und hinausbringen, und ich hätte kein
Heimathsrecht mehr!

„Nein, Louis, ich habe keine Heimath; wie ich
da am rauſchenden Waſſer ſtand, da ſahen keine
rothen Geſichter heraus vom Bürgermeiſter, und nicht
die häßlichen ſpitzen der Bürgerfrauen — und da —
da hörte ich, daß Du glücklich wärſt — ich wußte es
ſchon, unter der Linde auf dem Kirchhofe hatte ich
Dich geſehen, und die Herrſchaften, die im Wagen
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[256/0266] an der eingefallenen Kirchhofsmauer ließ er mich we¬ nigſtens, da durfte ich knieen — da hörte ich des Herrn Predigers Rede. Mich ließen ſie keine Erde ihm in die Grube nachwerfen, aber auf mich warf der Herr Prediger — das kann ich nicht wieder ſchreiben. Und es war nicht wahr — ich habe mei¬ nen Vater nicht umgebracht! — Und die Blicke nach¬ her, wie ſie an mir vorübergingen! Gott ſei Dank, dann ward es frei, der ſtille Abend, da lag ich über ſeinem Grabe, und der Lindenbaum fluchte nicht, in ſeinen Blättern ſäuſelte es wie ſüße Lieder, und ich ſchlief ein, bis das Morgenroth mich aus dem Frieden weckte. Um die Mauer ſchlich ich von hin¬ ten nach dem Hauſe, wo er ſtarb, wo ich geboren bin. War denn das ein Verbrechen, daß ich es zum letzten Mal ſehen wollte! Bürgerfrauen hatten mich bemerkt. Der Rathsdiener, mit dem Schild auf der Bruſt, kam und ſagte — ach, was er mir ſagte, ich weiß es nicht: von lüderlichem Geſindel und auf die Finger ſehen, und hinausbringen, und ich hätte kein Heimathsrecht mehr! „Nein, Louis, ich habe keine Heimath; wie ich da am rauſchenden Waſſer ſtand, da ſahen keine rothen Geſichter heraus vom Bürgermeiſter, und nicht die häßlichen ſpitzen der Bürgerfrauen — und da — da hörte ich, daß Du glücklich wärſt — ich wußte es ſchon, unter der Linde auf dem Kirchhofe hatte ich Dich geſehen, und die Herrſchaften, die im Wagen vor der Schenke ſchwätzten, derweil ihre Pferde Muth

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/266>, abgerufen am 23.11.2024.