"Wünsche es nicht, entgegnete sie. -- Und wo¬ hin? So lieb ich meine Eltern habe, so fühle ich doch, dahin passe ich nicht mehr."
"Du verlangst nicht nach Glanz und Reich¬ thum --"
"Aber -- unterbrach sie ihn und schwieg plötz¬ lich. Daran bist Du auch schuld; warum hast Du aus mir eine andre gemacht, als ich war --"
Er ging mit einem stumm wehmüthigen Hände¬ druck.
An der Thür wandte er sich noch einmal um. Sie war ihm nachgeeilt und hielt den Kopf an seine Brust: "Gieb den Muth nicht auf, Walter. Ich lerne mich täglich mehr überwinden und es wird alles besser werden -- für uns beide."
Am zärtlichsten hatte die Baronin Eitelbach von der Geheimräthin Abschied genommen. Sie war ihr unter Thränen um den Hals gefallen, und als die Lupinus nach der Ursach fragte, sagte die Baronin, sie wisse selbst nicht, warum sie eigentlich so gerührt sei, ob über das Unglück der armen Kinder, oder das ihrer Freundin, der wieder so etwas begegnen müsse, oder die Unverschämtheit der Charlotte! oder über das Unglück, das überall in der Welt ist, und wer ein gutes Herz hätte, der thäte am besten, wenn er es ganz versteckte. Darauf hatte die Lupinus mit einem schweren Seufzer geantwortet: "Daß auch eine so junge Frau schon solche Blicke in dieses Meer der Schmerzen und Täuschungen wirft, das Welt heißt."
„Wünſche es nicht, entgegnete ſie. — Und wo¬ hin? So lieb ich meine Eltern habe, ſo fühle ich doch, dahin paſſe ich nicht mehr.“
„Du verlangſt nicht nach Glanz und Reich¬ thum —“
„Aber — unterbrach ſie ihn und ſchwieg plötz¬ lich. Daran biſt Du auch ſchuld; warum haſt Du aus mir eine andre gemacht, als ich war —“
Er ging mit einem ſtumm wehmüthigen Hände¬ druck.
An der Thür wandte er ſich noch einmal um. Sie war ihm nachgeeilt und hielt den Kopf an ſeine Bruſt: „Gieb den Muth nicht auf, Walter. Ich lerne mich täglich mehr überwinden und es wird alles beſſer werden — für uns beide.“
Am zärtlichſten hatte die Baronin Eitelbach von der Geheimräthin Abſchied genommen. Sie war ihr unter Thränen um den Hals gefallen, und als die Lupinus nach der Urſach fragte, ſagte die Baronin, ſie wiſſe ſelbſt nicht, warum ſie eigentlich ſo gerührt ſei, ob über das Unglück der armen Kinder, oder das ihrer Freundin, der wieder ſo etwas begegnen müſſe, oder die Unverſchämtheit der Charlotte! oder über das Unglück, das überall in der Welt iſt, und wer ein gutes Herz hätte, der thäte am beſten, wenn er es ganz verſteckte. Darauf hatte die Lupinus mit einem ſchweren Seufzer geantwortet: „Daß auch eine ſo junge Frau ſchon ſolche Blicke in dieſes Meer der Schmerzen und Täuſchungen wirft, das Welt heißt.“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0044"n="34"/><p>„Wünſche es nicht, entgegnete ſie. — Und wo¬<lb/>
hin? So lieb ich meine Eltern habe, ſo fühle ich<lb/>
doch, dahin paſſe ich nicht mehr.“</p><lb/><p>„Du verlangſt nicht nach Glanz und Reich¬<lb/>
thum —“</p><lb/><p>„Aber — unterbrach ſie ihn und ſchwieg plötz¬<lb/>
lich. Daran biſt Du auch ſchuld; warum haſt Du<lb/>
aus mir eine andre gemacht, als ich war —“</p><lb/><p>Er ging mit einem ſtumm wehmüthigen Hände¬<lb/>
druck.</p><lb/><p>An der Thür wandte er ſich noch einmal um.<lb/>
Sie war ihm nachgeeilt und hielt den Kopf an ſeine<lb/>
Bruſt: „Gieb den Muth nicht auf, Walter. Ich lerne<lb/>
mich täglich mehr überwinden und es wird alles beſſer<lb/>
werden — für uns beide.“</p><lb/><p>Am zärtlichſten hatte die Baronin Eitelbach von<lb/>
der Geheimräthin Abſchied genommen. Sie war ihr<lb/>
unter Thränen um den Hals gefallen, und als die<lb/>
Lupinus nach der Urſach fragte, ſagte die Baronin,<lb/>ſie wiſſe ſelbſt nicht, warum ſie eigentlich ſo gerührt<lb/>ſei, ob über das Unglück der armen Kinder, oder das<lb/>
ihrer Freundin, der wieder ſo etwas begegnen müſſe,<lb/>
oder die Unverſchämtheit der Charlotte! oder über<lb/>
das Unglück, das überall in der Welt iſt, und wer<lb/>
ein gutes Herz hätte, der thäte am beſten, wenn er<lb/>
es ganz verſteckte. Darauf hatte die Lupinus mit<lb/>
einem ſchweren Seufzer geantwortet: „Daß auch eine<lb/>ſo junge Frau ſchon ſolche Blicke in dieſes Meer der<lb/>
Schmerzen und Täuſchungen wirft, das Welt heißt.“<lb/></p></div></body></text></TEI>
[34/0044]
„Wünſche es nicht, entgegnete ſie. — Und wo¬
hin? So lieb ich meine Eltern habe, ſo fühle ich
doch, dahin paſſe ich nicht mehr.“
„Du verlangſt nicht nach Glanz und Reich¬
thum —“
„Aber — unterbrach ſie ihn und ſchwieg plötz¬
lich. Daran biſt Du auch ſchuld; warum haſt Du
aus mir eine andre gemacht, als ich war —“
Er ging mit einem ſtumm wehmüthigen Hände¬
druck.
An der Thür wandte er ſich noch einmal um.
Sie war ihm nachgeeilt und hielt den Kopf an ſeine
Bruſt: „Gieb den Muth nicht auf, Walter. Ich lerne
mich täglich mehr überwinden und es wird alles beſſer
werden — für uns beide.“
Am zärtlichſten hatte die Baronin Eitelbach von
der Geheimräthin Abſchied genommen. Sie war ihr
unter Thränen um den Hals gefallen, und als die
Lupinus nach der Urſach fragte, ſagte die Baronin,
ſie wiſſe ſelbſt nicht, warum ſie eigentlich ſo gerührt
ſei, ob über das Unglück der armen Kinder, oder das
ihrer Freundin, der wieder ſo etwas begegnen müſſe,
oder die Unverſchämtheit der Charlotte! oder über
das Unglück, das überall in der Welt iſt, und wer
ein gutes Herz hätte, der thäte am beſten, wenn er
es ganz verſteckte. Darauf hatte die Lupinus mit
einem ſchweren Seufzer geantwortet: „Daß auch eine
ſo junge Frau ſchon ſolche Blicke in dieſes Meer der
Schmerzen und Täuſchungen wirft, das Welt heißt.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/44>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.