Stirn klärte sich auf, aber der Glanz verschwand schnell wieder. Nach so viel Enttäuschungen vielleicht eine neue! Hatte ihm nicht ein ängstlicher Freund aus der Schulzeit zugeflüstert, daß er aus höheren Kreisen gehört, wie man seine Vorschläge für naseweis halte, daß seine Anmaßung eigentlich eine Rüge verdiene. Und bedurfte es für ihn solcher Zuflüsterung, nach der eigenen Erfahrung, die er bei einem befreundeten Minister gemacht! Zwar, nach seinem Ruf im Publikum, war der neuen Ideen zugänglich, er hege selbst gro߬ artige Plane; aber er sei eigensinnig, hieß es, dringe damit nicht durch, darum verdrießlich, und jetzt so gut wie ohne Einfluß. Auch er mochte ihn nur warnen wollen.
Aus dem Zweifel, ob er den Ueberrock oder den Frack anziehen solle, riß ihn ein neues Klopfen, eine neue Ueberraschung. Sein Vater trat in die Stube. Er war noch nie hier gewesen, aber auf seinem Gesicht ersah man nichts von der Ver¬ wunderung, welche sich auf dem des Sohnes aus¬ drückte, weder eine freudige noch eine betrübte. Er reichte dem jungen Mann die Hand: "Ich muß doch auch mal sehn, wie's Dir geht," und setzte sich, wie er¬ müdet vom Wege, auf einen Sessel.
"Ein unerwarteter Besuch, mein Vater."
"Da Du nicht zu mir kommst, um zu sehn, wie's bei mir aussieht, muß ich zu Dir kommen, um zu sehn, wie's bei Dir aussieht. Wir kommen ja sonst ganz auseinander."
Stirn klärte ſich auf, aber der Glanz verſchwand ſchnell wieder. Nach ſo viel Enttäuſchungen vielleicht eine neue! Hatte ihm nicht ein ängſtlicher Freund aus der Schulzeit zugeflüſtert, daß er aus höheren Kreiſen gehört, wie man ſeine Vorſchläge für naſeweis halte, daß ſeine Anmaßung eigentlich eine Rüge verdiene. Und bedurfte es für ihn ſolcher Zuflüſterung, nach der eigenen Erfahrung, die er bei einem befreundeten Miniſter gemacht! Zwar, nach ſeinem Ruf im Publikum, war der neuen Ideen zugänglich, er hege ſelbſt gro߬ artige Plane; aber er ſei eigenſinnig, hieß es, dringe damit nicht durch, darum verdrießlich, und jetzt ſo gut wie ohne Einfluß. Auch er mochte ihn nur warnen wollen.
Aus dem Zweifel, ob er den Ueberrock oder den Frack anziehen ſolle, riß ihn ein neues Klopfen, eine neue Ueberraſchung. Sein Vater trat in die Stube. Er war noch nie hier geweſen, aber auf ſeinem Geſicht erſah man nichts von der Ver¬ wunderung, welche ſich auf dem des Sohnes aus¬ drückte, weder eine freudige noch eine betrübte. Er reichte dem jungen Mann die Hand: „Ich muß doch auch mal ſehn, wie's Dir geht,“ und ſetzte ſich, wie er¬ müdet vom Wege, auf einen Seſſel.
„Ein unerwarteter Beſuch, mein Vater.“
„Da Du nicht zu mir kommſt, um zu ſehn, wie's bei mir ausſieht, muß ich zu Dir kommen, um zu ſehn, wie's bei Dir ausſieht. Wir kommen ja ſonſt ganz auseinander.“
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0232"n="222"/>
Stirn klärte ſich auf, aber der Glanz verſchwand<lb/>ſchnell wieder. Nach ſo viel Enttäuſchungen vielleicht<lb/>
eine neue! Hatte ihm nicht ein ängſtlicher Freund aus<lb/>
der Schulzeit zugeflüſtert, daß er aus höheren Kreiſen<lb/>
gehört, wie man ſeine Vorſchläge für naſeweis halte,<lb/>
daß ſeine Anmaßung eigentlich eine Rüge verdiene.<lb/>
Und bedurfte es für ihn ſolcher Zuflüſterung, nach<lb/>
der eigenen Erfahrung, die er bei einem befreundeten<lb/>
Miniſter gemacht! Zwar, nach ſeinem Ruf im Publikum,<lb/>
war der neuen Ideen zugänglich, er hege ſelbſt gro߬<lb/>
artige Plane; aber er ſei eigenſinnig, hieß es, dringe<lb/>
damit nicht durch, darum verdrießlich, und jetzt ſo<lb/>
gut wie ohne Einfluß. Auch er mochte ihn nur<lb/>
warnen wollen.</p><lb/><p>Aus dem Zweifel, ob er den Ueberrock oder den<lb/>
Frack anziehen ſolle, riß ihn ein neues Klopfen,<lb/>
eine neue Ueberraſchung. Sein Vater trat in die<lb/>
Stube. Er war noch nie hier geweſen, aber auf<lb/>ſeinem Geſicht erſah man nichts von der Ver¬<lb/>
wunderung, welche ſich auf dem des Sohnes aus¬<lb/>
drückte, weder eine freudige noch eine betrübte. Er reichte<lb/>
dem jungen Mann die Hand: „Ich muß doch auch<lb/>
mal ſehn, wie's Dir geht,“ und ſetzte ſich, wie er¬<lb/>
müdet vom Wege, auf einen Seſſel.</p><lb/><p>„Ein unerwarteter Beſuch, mein Vater.“</p><lb/><p>„Da <hirendition="#g">Du</hi> nicht zu <hirendition="#g">mir</hi> kommſt, um zu ſehn,<lb/>
wie's bei mir ausſieht, muß <hirendition="#g">ich</hi> zu <hirendition="#g">Dir</hi> kommen,<lb/>
um zu ſehn, wie's bei Dir ausſieht. Wir kommen<lb/>
ja ſonſt ganz auseinander.“<lb/></p></div></body></text></TEI>
[222/0232]
Stirn klärte ſich auf, aber der Glanz verſchwand
ſchnell wieder. Nach ſo viel Enttäuſchungen vielleicht
eine neue! Hatte ihm nicht ein ängſtlicher Freund aus
der Schulzeit zugeflüſtert, daß er aus höheren Kreiſen
gehört, wie man ſeine Vorſchläge für naſeweis halte,
daß ſeine Anmaßung eigentlich eine Rüge verdiene.
Und bedurfte es für ihn ſolcher Zuflüſterung, nach
der eigenen Erfahrung, die er bei einem befreundeten
Miniſter gemacht! Zwar, nach ſeinem Ruf im Publikum,
war der neuen Ideen zugänglich, er hege ſelbſt gro߬
artige Plane; aber er ſei eigenſinnig, hieß es, dringe
damit nicht durch, darum verdrießlich, und jetzt ſo
gut wie ohne Einfluß. Auch er mochte ihn nur
warnen wollen.
Aus dem Zweifel, ob er den Ueberrock oder den
Frack anziehen ſolle, riß ihn ein neues Klopfen,
eine neue Ueberraſchung. Sein Vater trat in die
Stube. Er war noch nie hier geweſen, aber auf
ſeinem Geſicht erſah man nichts von der Ver¬
wunderung, welche ſich auf dem des Sohnes aus¬
drückte, weder eine freudige noch eine betrübte. Er reichte
dem jungen Mann die Hand: „Ich muß doch auch
mal ſehn, wie's Dir geht,“ und ſetzte ſich, wie er¬
müdet vom Wege, auf einen Seſſel.
„Ein unerwarteter Beſuch, mein Vater.“
„Da Du nicht zu mir kommſt, um zu ſehn,
wie's bei mir ausſieht, muß ich zu Dir kommen,
um zu ſehn, wie's bei Dir ausſieht. Wir kommen
ja ſonſt ganz auseinander.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/232>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.