Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich liebe nicht zu calculiren, wenn die Schatten
der Verstorbenen durch die Luft vibriren."

In der Stimme der vornehmen Frau waren
Accorde, die ihrem Begleiter, der andrer Ansicht war,
den Mund zu schließen schienen.

Sie traten in einen Thorweg, oder eine Colon¬
nade zurück, um einer einfachen Hofequipage auszu¬
weichen, die jetzt vorüberrollte. Der Wagen hielt
vor der Kirche, wo Seine Gebeine ruhen. Drei
dunkle Gestalten konnte man aussteigen sehn. Sie
traten in die Kirche, aus welcher ein gedämpftes
Fackellicht bei Oeffnung der Thüre vorstrahlte.

Die Fürstin drückte krampfhaft den Arm ihres
Begleiters. Er glaubte, sie wolle ihn tiefer in den
Schatten zurückziehen, um nicht gesehen zu werden:
"Man sieht uns wirklich nicht, und wenn es wäre,
würden wir nicht die einzigen Zuschauer sein. Ich
sah Schatten in der Kirche sich bewegen."

"Ich auch! rief sie. Es war mir, als sähe ich
Seinen!"

Der Legationsrath ging nicht auf die Stimmung
ein: "Diese Leute hier ruhten unter ihm wie in Abra¬
hams Schooße. Ich finde es eigentlich undankbar
und grausam, daß man ihn citirt, um sich aus einer
gewöhnlichen Verlegenheit zu helfen."

"Ich würde Ihnen verzeihen, wenn Sie sagten
selbstmörderisch."

"Nur christliche Demuth, Fürstin, sie sehn ihren
eigenen Unwerth ein."

„Ich liebe nicht zu calculiren, wenn die Schatten
der Verſtorbenen durch die Luft vibriren.“

In der Stimme der vornehmen Frau waren
Accorde, die ihrem Begleiter, der andrer Anſicht war,
den Mund zu ſchließen ſchienen.

Sie traten in einen Thorweg, oder eine Colon¬
nade zurück, um einer einfachen Hofequipage auszu¬
weichen, die jetzt vorüberrollte. Der Wagen hielt
vor der Kirche, wo Seine Gebeine ruhen. Drei
dunkle Geſtalten konnte man ausſteigen ſehn. Sie
traten in die Kirche, aus welcher ein gedämpftes
Fackellicht bei Oeffnung der Thüre vorſtrahlte.

Die Fürſtin drückte krampfhaft den Arm ihres
Begleiters. Er glaubte, ſie wolle ihn tiefer in den
Schatten zurückziehen, um nicht geſehen zu werden:
„Man ſieht uns wirklich nicht, und wenn es wäre,
würden wir nicht die einzigen Zuſchauer ſein. Ich
ſah Schatten in der Kirche ſich bewegen.“

„Ich auch! rief ſie. Es war mir, als ſähe ich
Seinen!“

Der Legationsrath ging nicht auf die Stimmung
ein: „Dieſe Leute hier ruhten unter ihm wie in Abra¬
hams Schooße. Ich finde es eigentlich undankbar
und grauſam, daß man ihn citirt, um ſich aus einer
gewöhnlichen Verlegenheit zu helfen.“

„Ich würde Ihnen verzeihen, wenn Sie ſagten
ſelbſtmörderiſch.“

„Nur chriſtliche Demuth, Fürſtin, ſie ſehn ihren
eigenen Unwerth ein.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0161" n="151"/>
        <p>&#x201E;Ich liebe nicht zu calculiren, wenn die Schatten<lb/>
der Ver&#x017F;torbenen durch die Luft vibriren.&#x201C;</p><lb/>
        <p>In der Stimme der vornehmen Frau waren<lb/>
Accorde, die ihrem Begleiter, der andrer An&#x017F;icht war,<lb/>
den Mund zu &#x017F;chließen &#x017F;chienen.</p><lb/>
        <p>Sie traten in einen Thorweg, oder eine Colon¬<lb/>
nade zurück, um einer einfachen Hofequipage auszu¬<lb/>
weichen, die jetzt vorüberrollte. Der Wagen hielt<lb/>
vor der Kirche, wo Seine Gebeine ruhen. Drei<lb/>
dunkle Ge&#x017F;talten konnte man aus&#x017F;teigen &#x017F;ehn. Sie<lb/>
traten in die Kirche, aus welcher ein gedämpftes<lb/>
Fackellicht bei Oeffnung der Thüre vor&#x017F;trahlte.</p><lb/>
        <p>Die Für&#x017F;tin drückte krampfhaft den Arm ihres<lb/>
Begleiters. Er glaubte, &#x017F;ie wolle ihn tiefer in den<lb/>
Schatten zurückziehen, um nicht ge&#x017F;ehen zu werden:<lb/>
&#x201E;Man &#x017F;ieht uns wirklich nicht, und wenn es wäre,<lb/>
würden wir nicht die einzigen Zu&#x017F;chauer &#x017F;ein. Ich<lb/>
&#x017F;ah Schatten in der Kirche &#x017F;ich bewegen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich auch! rief &#x017F;ie. Es war mir, als &#x017F;ähe ich<lb/><hi rendition="#g">Seinen</hi>!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Legationsrath ging nicht auf die Stimmung<lb/>
ein: &#x201E;Die&#x017F;e Leute hier ruhten unter ihm wie in Abra¬<lb/>
hams Schooße. Ich finde es eigentlich undankbar<lb/>
und grau&#x017F;am, daß man ihn citirt, um &#x017F;ich aus einer<lb/>
gewöhnlichen Verlegenheit zu helfen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich würde Ihnen verzeihen, wenn Sie &#x017F;agten<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tmörderi&#x017F;ch.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nur chri&#x017F;tliche Demuth, Für&#x017F;tin, &#x017F;ie &#x017F;ehn ihren<lb/>
eigenen Unwerth ein.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0161] „Ich liebe nicht zu calculiren, wenn die Schatten der Verſtorbenen durch die Luft vibriren.“ In der Stimme der vornehmen Frau waren Accorde, die ihrem Begleiter, der andrer Anſicht war, den Mund zu ſchließen ſchienen. Sie traten in einen Thorweg, oder eine Colon¬ nade zurück, um einer einfachen Hofequipage auszu¬ weichen, die jetzt vorüberrollte. Der Wagen hielt vor der Kirche, wo Seine Gebeine ruhen. Drei dunkle Geſtalten konnte man ausſteigen ſehn. Sie traten in die Kirche, aus welcher ein gedämpftes Fackellicht bei Oeffnung der Thüre vorſtrahlte. Die Fürſtin drückte krampfhaft den Arm ihres Begleiters. Er glaubte, ſie wolle ihn tiefer in den Schatten zurückziehen, um nicht geſehen zu werden: „Man ſieht uns wirklich nicht, und wenn es wäre, würden wir nicht die einzigen Zuſchauer ſein. Ich ſah Schatten in der Kirche ſich bewegen.“ „Ich auch! rief ſie. Es war mir, als ſähe ich Seinen!“ Der Legationsrath ging nicht auf die Stimmung ein: „Dieſe Leute hier ruhten unter ihm wie in Abra¬ hams Schooße. Ich finde es eigentlich undankbar und grauſam, daß man ihn citirt, um ſich aus einer gewöhnlichen Verlegenheit zu helfen.“ „Ich würde Ihnen verzeihen, wenn Sie ſagten ſelbſtmörderiſch.“ „Nur chriſtliche Demuth, Fürſtin, ſie ſehn ihren eigenen Unwerth ein.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/161
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/161>, abgerufen am 22.11.2024.