Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

in eine Ecke, und sprach mit leiserer Stimme: "Meine
Herren, das ist noch keine Entscheidung und wir
dürfen die Hoffnung noch nicht aufgeben. Wir müs¬
sen zusammenhalten, arbeiten, miniren, wir müssen
Tag und Nacht auf der Hut stehen, dieser Clique
auf die Finger zu sehen; wir müssen, zur Ehre un¬
seres Königs, den Hahn gespannt, die Lunte in der
Hand halten, und unsere tägliche Losung muß sein:
Kein Nachgeben mehr! Und wenn der Allianztraktat
mit Frankreich zur Unterschrift auf des Königs Tische
läge, dann grade, dann noch zaudert er. Er zau¬
dert, wenn er ein Todesurtheil unterschreiben soll;
was, wo so viele Tausende durch einen Federzug
decretirt werden! Die Hoffnung, sage ich, nicht auf¬
gegeben, denn ein Lüftchen kann alles ändern. Da¬
rin sind wir einig. Im andern nicht. Sie sind
beide jung, auf Schulen gewesen, glauben Systeme
zu haben. Ich tadle es nicht, ich war auch einmal
jung, aber die beste Schule ist das Leben."

"Aber Herr General geben mir zu, --" was
der Major sagen wollte, ward vom General unter¬
brochen.

"Daß einige Reformen nothwendig sind. Ja,
einige, Herr Major." Er hatte ihn am Rock gefaßt,
und fuhr vertraulicher fort. "Die reitende Artillerie,
das bedenken Sie wohl, war Friedrichs Schöpfung.
In einem Lieblingskinde sehen die gescheitesten Väter
oft nicht die Fehler. Auch ein großer Mensch ist ein
Mensch, und darum keinen Vorwurf auf den großen

in eine Ecke, und ſprach mit leiſerer Stimme: „Meine
Herren, das iſt noch keine Entſcheidung und wir
dürfen die Hoffnung noch nicht aufgeben. Wir müſ¬
ſen zuſammenhalten, arbeiten, miniren, wir müſſen
Tag und Nacht auf der Hut ſtehen, dieſer Clique
auf die Finger zu ſehen; wir müſſen, zur Ehre un¬
ſeres Königs, den Hahn geſpannt, die Lunte in der
Hand halten, und unſere tägliche Loſung muß ſein:
Kein Nachgeben mehr! Und wenn der Allianztraktat
mit Frankreich zur Unterſchrift auf des Königs Tiſche
läge, dann grade, dann noch zaudert er. Er zau¬
dert, wenn er ein Todesurtheil unterſchreiben ſoll;
was, wo ſo viele Tauſende durch einen Federzug
decretirt werden! Die Hoffnung, ſage ich, nicht auf¬
gegeben, denn ein Lüftchen kann alles ändern. Da¬
rin ſind wir einig. Im andern nicht. Sie ſind
beide jung, auf Schulen geweſen, glauben Syſteme
zu haben. Ich tadle es nicht, ich war auch einmal
jung, aber die beſte Schule iſt das Leben.“

„Aber Herr General geben mir zu, —“ was
der Major ſagen wollte, ward vom General unter¬
brochen.

„Daß einige Reformen nothwendig ſind. Ja,
einige, Herr Major.“ Er hatte ihn am Rock gefaßt,
und fuhr vertraulicher fort. „Die reitende Artillerie,
das bedenken Sie wohl, war Friedrichs Schöpfung.
In einem Lieblingskinde ſehen die geſcheiteſten Väter
oft nicht die Fehler. Auch ein großer Menſch iſt ein
Menſch, und darum keinen Vorwurf auf den großen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0096" n="86"/>
in eine Ecke, und &#x017F;prach mit lei&#x017F;erer Stimme: &#x201E;Meine<lb/>
Herren, das i&#x017F;t noch keine Ent&#x017F;cheidung und wir<lb/>
dürfen die Hoffnung noch nicht aufgeben. Wir mü&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en zu&#x017F;ammenhalten, arbeiten, miniren, wir mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Tag und Nacht auf der Hut &#x017F;tehen, die&#x017F;er Clique<lb/>
auf die Finger zu &#x017F;ehen; wir mü&#x017F;&#x017F;en, zur Ehre un¬<lb/>
&#x017F;eres Königs, den Hahn ge&#x017F;pannt, die Lunte in der<lb/>
Hand halten, und un&#x017F;ere tägliche Lo&#x017F;ung muß &#x017F;ein:<lb/>
Kein Nachgeben mehr! Und wenn der Allianztraktat<lb/>
mit Frankreich zur Unter&#x017F;chrift auf des Königs Ti&#x017F;che<lb/>
läge, dann grade, dann noch zaudert er. Er zau¬<lb/>
dert, wenn er ein Todesurtheil unter&#x017F;chreiben &#x017F;oll;<lb/>
was, wo &#x017F;o viele Tau&#x017F;ende durch einen Federzug<lb/>
decretirt werden! Die Hoffnung, &#x017F;age ich, nicht auf¬<lb/>
gegeben, denn ein Lüftchen kann alles ändern. Da¬<lb/>
rin &#x017F;ind wir einig. Im andern nicht. Sie &#x017F;ind<lb/>
beide jung, auf Schulen gewe&#x017F;en, glauben Sy&#x017F;teme<lb/>
zu haben. Ich tadle es nicht, ich war auch einmal<lb/>
jung, aber die be&#x017F;te Schule i&#x017F;t das Leben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber Herr General geben mir zu, &#x2014;&#x201C; was<lb/>
der Major &#x017F;agen wollte, ward vom General unter¬<lb/>
brochen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Daß einige Reformen nothwendig &#x017F;ind. Ja,<lb/>
einige, Herr Major.&#x201C; Er hatte ihn am Rock gefaßt,<lb/>
und fuhr vertraulicher fort. &#x201E;Die reitende Artillerie,<lb/>
das bedenken Sie wohl, war Friedrichs Schöpfung.<lb/>
In einem Lieblingskinde &#x017F;ehen die ge&#x017F;cheite&#x017F;ten Väter<lb/>
oft nicht die Fehler. Auch ein großer Men&#x017F;ch i&#x017F;t ein<lb/>
Men&#x017F;ch, und darum keinen Vorwurf auf den großen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0096] in eine Ecke, und ſprach mit leiſerer Stimme: „Meine Herren, das iſt noch keine Entſcheidung und wir dürfen die Hoffnung noch nicht aufgeben. Wir müſ¬ ſen zuſammenhalten, arbeiten, miniren, wir müſſen Tag und Nacht auf der Hut ſtehen, dieſer Clique auf die Finger zu ſehen; wir müſſen, zur Ehre un¬ ſeres Königs, den Hahn geſpannt, die Lunte in der Hand halten, und unſere tägliche Loſung muß ſein: Kein Nachgeben mehr! Und wenn der Allianztraktat mit Frankreich zur Unterſchrift auf des Königs Tiſche läge, dann grade, dann noch zaudert er. Er zau¬ dert, wenn er ein Todesurtheil unterſchreiben ſoll; was, wo ſo viele Tauſende durch einen Federzug decretirt werden! Die Hoffnung, ſage ich, nicht auf¬ gegeben, denn ein Lüftchen kann alles ändern. Da¬ rin ſind wir einig. Im andern nicht. Sie ſind beide jung, auf Schulen geweſen, glauben Syſteme zu haben. Ich tadle es nicht, ich war auch einmal jung, aber die beſte Schule iſt das Leben.“ „Aber Herr General geben mir zu, —“ was der Major ſagen wollte, ward vom General unter¬ brochen. „Daß einige Reformen nothwendig ſind. Ja, einige, Herr Major.“ Er hatte ihn am Rock gefaßt, und fuhr vertraulicher fort. „Die reitende Artillerie, das bedenken Sie wohl, war Friedrichs Schöpfung. In einem Lieblingskinde ſehen die geſcheiteſten Väter oft nicht die Fehler. Auch ein großer Menſch iſt ein Menſch, und darum keinen Vorwurf auf den großen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/96
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/96>, abgerufen am 05.05.2024.