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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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lassenheit: "Sie zerstören Ihre eigenen Beschlüsse,
wenn Sie zu hastig losgehen."

"Legationsrath, ein edler Entschluß darf nicht
Runzeln bekommen."

"Aber ein Witz nicht zur Speculation werden,
sonst bricht seine Spitze. Conclusum est --"

"Sie sollen sich noch eine Weile quälen," sagte
der Kammerherr.

"Hatte ich es beinah vergessen! 'S ist mein
gutes Herz. Ich kann nun einmal Unglückliche nicht
leiden sehn. Alle Menschen sind ja Brüder --"

"Und alle Frauen Schwestern! sagte Wandel
aufstehend. Aber ich muß Contreordre geben, wenn's
nicht schon zu spät ist." Er zog die Uhr, und stampfte
auf. "Wahrhaftig, es ist schon zu spät."

"Was ist's?"

Sie standen nicht mehr ganz fest, als sie jetzt
aufstanden. Der Legationsrath strich über die Stirn.

"Unser Joseph geht heut an Madame Potiphars
Haus vorüber. Ein leises Schluchzen sollte seine
Schritte fesseln --"

"Ei, Herr von Wandel, mir ins Gehege! rief
der Kammerherr. Der Joseph war zu meiner Dis¬
position."

"Verzeihung! Ich wollte Sie überraschen; es
war gut gemeint. Eine schluchzende Gestalt am Bal¬
saminenfenster sollte ein Bouquet auf seine Brust
fallen lassen; -- eine rasche Entwickelung stand dann
in Aussicht. Wer konnte den heutigen Beschluß ahnen!

laſſenheit: „Sie zerſtören Ihre eigenen Beſchlüſſe,
wenn Sie zu haſtig losgehen.“

„Legationsrath, ein edler Entſchluß darf nicht
Runzeln bekommen.“

„Aber ein Witz nicht zur Speculation werden,
ſonſt bricht ſeine Spitze. Conclusum est —“

„Sie ſollen ſich noch eine Weile quälen,“ ſagte
der Kammerherr.

„Hatte ich es beinah vergeſſen! 'S iſt mein
gutes Herz. Ich kann nun einmal Unglückliche nicht
leiden ſehn. Alle Menſchen ſind ja Brüder —“

„Und alle Frauen Schweſtern! ſagte Wandel
aufſtehend. Aber ich muß Contreordre geben, wenn's
nicht ſchon zu ſpät iſt.“ Er zog die Uhr, und ſtampfte
auf. „Wahrhaftig, es iſt ſchon zu ſpät.“

„Was iſt's?“

Sie ſtanden nicht mehr ganz feſt, als ſie jetzt
aufſtanden. Der Legationsrath ſtrich über die Stirn.

„Unſer Joſeph geht heut an Madame Potiphars
Haus vorüber. Ein leiſes Schluchzen ſollte ſeine
Schritte feſſeln —“

„Ei, Herr von Wandel, mir ins Gehege! rief
der Kammerherr. Der Joſeph war zu meiner Dis¬
poſition.“

„Verzeihung! Ich wollte Sie überraſchen; es
war gut gemeint. Eine ſchluchzende Geſtalt am Bal¬
ſaminenfenſter ſollte ein Bouquet auf ſeine Bruſt
fallen laſſen; — eine raſche Entwickelung ſtand dann
in Ausſicht. Wer konnte den heutigen Beſchluß ahnen!

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[309/0319] laſſenheit: „Sie zerſtören Ihre eigenen Beſchlüſſe, wenn Sie zu haſtig losgehen.“ „Legationsrath, ein edler Entſchluß darf nicht Runzeln bekommen.“ „Aber ein Witz nicht zur Speculation werden, ſonſt bricht ſeine Spitze. Conclusum est —“ „Sie ſollen ſich noch eine Weile quälen,“ ſagte der Kammerherr. „Hatte ich es beinah vergeſſen! 'S iſt mein gutes Herz. Ich kann nun einmal Unglückliche nicht leiden ſehn. Alle Menſchen ſind ja Brüder —“ „Und alle Frauen Schweſtern! ſagte Wandel aufſtehend. Aber ich muß Contreordre geben, wenn's nicht ſchon zu ſpät iſt.“ Er zog die Uhr, und ſtampfte auf. „Wahrhaftig, es iſt ſchon zu ſpät.“ „Was iſt's?“ Sie ſtanden nicht mehr ganz feſt, als ſie jetzt aufſtanden. Der Legationsrath ſtrich über die Stirn. „Unſer Joſeph geht heut an Madame Potiphars Haus vorüber. Ein leiſes Schluchzen ſollte ſeine Schritte feſſeln —“ „Ei, Herr von Wandel, mir ins Gehege! rief der Kammerherr. Der Joſeph war zu meiner Dis¬ poſition.“ „Verzeihung! Ich wollte Sie überraſchen; es war gut gemeint. Eine ſchluchzende Geſtalt am Bal¬ ſaminenfenſter ſollte ein Bouquet auf ſeine Bruſt fallen laſſen; — eine raſche Entwickelung ſtand dann in Ausſicht. Wer konnte den heutigen Beſchluß ahnen!

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/319>, abgerufen am 29.11.2024.