Jülli weinte, den Kopf auf den Tisch gelegt, still vor sich hin. Vor ihr lag ein kleiner Beutel mit Geld. Am Tisch stand Louis Bovillard, mit unterschlagenen Armen, den Hut auf dem Kopf, der beinahe die Decke des engen Hofstübchens berührte. Es war nichts Freundliches in der Stube, bis auf die Resedatöpfe im Fensterbrett, auf welche grade ein durch zwei hohe Hinterhäuser sich drängender Sonnen¬ strahl fiel.
"Damit willst Du mich abkaufen," schluchzte sie.
Er antwortete nicht.
"Du willst verreisen, nicht wieder kommen."
"Ich verreise nicht," sagte er nach einer Pause.
"Aber Du willst mich nicht wieder sehen. Wa¬ rum giebst Du mir mehr, als Du geben kannst? Dein Vater giebt Dir nichts, Du hast Schulden, ich weiß es. -- Wozu brauchte ich denn so viel Geld!"
Plötzlich war sie aufgesprungen, die Thränen brachen ihr aus den Augen, und sie stürzte mit wilder
Neuntes Kapitel. Scheiden und Meiden.
Jülli weinte, den Kopf auf den Tiſch gelegt, ſtill vor ſich hin. Vor ihr lag ein kleiner Beutel mit Geld. Am Tiſch ſtand Louis Bovillard, mit unterſchlagenen Armen, den Hut auf dem Kopf, der beinahe die Decke des engen Hofſtübchens berührte. Es war nichts Freundliches in der Stube, bis auf die Reſedatöpfe im Fenſterbrett, auf welche grade ein durch zwei hohe Hinterhäuſer ſich drängender Sonnen¬ ſtrahl fiel.
„Damit willſt Du mich abkaufen,“ ſchluchzte ſie.
Er antwortete nicht.
„Du willſt verreiſen, nicht wieder kommen.“
„Ich verreiſe nicht,“ ſagte er nach einer Pauſe.
„Aber Du willſt mich nicht wieder ſehen. Wa¬ rum giebſt Du mir mehr, als Du geben kannſt? Dein Vater giebt Dir nichts, Du haſt Schulden, ich weiß es. — Wozu brauchte ich denn ſo viel Geld!“
Plötzlich war ſie aufgeſprungen, die Thränen brachen ihr aus den Augen, und ſie ſtürzte mit wilder
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[[165]/0175]
Neuntes Kapitel.
Scheiden und Meiden.
Jülli weinte, den Kopf auf den Tiſch gelegt,
ſtill vor ſich hin. Vor ihr lag ein kleiner Beutel
mit Geld. Am Tiſch ſtand Louis Bovillard, mit
unterſchlagenen Armen, den Hut auf dem Kopf, der
beinahe die Decke des engen Hofſtübchens berührte.
Es war nichts Freundliches in der Stube, bis auf
die Reſedatöpfe im Fenſterbrett, auf welche grade ein
durch zwei hohe Hinterhäuſer ſich drängender Sonnen¬
ſtrahl fiel.
„Damit willſt Du mich abkaufen,“ ſchluchzte ſie.
Er antwortete nicht.
„Du willſt verreiſen, nicht wieder kommen.“
„Ich verreiſe nicht,“ ſagte er nach einer Pauſe.
„Aber Du willſt mich nicht wieder ſehen. Wa¬
rum giebſt Du mir mehr, als Du geben kannſt?
Dein Vater giebt Dir nichts, Du haſt Schulden, ich
weiß es. — Wozu brauchte ich denn ſo viel Geld!“
Plötzlich war ſie aufgeſprungen, die Thränen
brachen ihr aus den Augen, und ſie ſtürzte mit wilder
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. [165]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/175>, abgerufen am 08.07.2024.
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