Anverwandter der Wirthin, die Gesundheit des Gastes zu übernehmen, unterbrach den Dichter: die erste Ge¬ sundheit gebühre ihm selbst. In einer Rede, die, wenn auch sonst nichts, doch verrieth, daß er von dessen Schriften nichts gelesen, gratulirte er dem Poeten, der nun mit Piron sich die Grabschrift setzen könne:
Ci-geit Piron, qui ne fut rien, Pas meme academicien.
Aber wie Piron ein aimabler Poet geblieben, obgleich er sonst nichts gewesen, so werde auch ohne Präbende für sie Alle hier:
Unser herrlicher Jean Paul Friedrich Richter
Bleiben ein ihnen unvergeßlicher Dichter!
Im Gläserklang erhob sich der Gast: "Unser Auge blickt nach den blauen Bergen, und unser Herz schwillt vor Sehnsucht, weil der Himmel sie küßt. Aber oben weht es uns zu rein an, wir athmen zu bang in der Nähe des Unaussprechlichen, und die Thäler ver¬ schwimmen vor unsern Augen. So sehnt des Dich¬ ters Brust sich nach dem Schönsten und Höchsten, wie Semele nach Zeus wahrhaftiger Gestalt. Aber in der Feuergluth zerspringt sein Herz, er kann nur leben im Thal, athmen im Duft der Kräuter, und die Berge über ihm, die Fußschemel des Unnenn¬ baren, sind die Säulen der Ewigkeit, an denen sein Geist sich aufrankt. "Wer ein Mal dort oben vom Lichte getrunken, habe genug für's Leben. Nun möge man ihn beglückt zurückkehren lassen in die stillen
II. 10
Anverwandter der Wirthin, die Geſundheit des Gaſtes zu übernehmen, unterbrach den Dichter: die erſte Ge¬ ſundheit gebühre ihm ſelbſt. In einer Rede, die, wenn auch ſonſt nichts, doch verrieth, daß er von deſſen Schriften nichts geleſen, gratulirte er dem Poeten, der nun mit Piron ſich die Grabſchrift ſetzen könne:
Ci-gît Piron, qui ne fut rien, Pas même académicien.
Aber wie Piron ein aimabler Poet geblieben, obgleich er ſonſt nichts geweſen, ſo werde auch ohne Präbende für ſie Alle hier:
Unſer herrlicher Jean Paul Friedrich Richter
Bleiben ein ihnen unvergeßlicher Dichter!
Im Gläſerklang erhob ſich der Gaſt: „Unſer Auge blickt nach den blauen Bergen, und unſer Herz ſchwillt vor Sehnſucht, weil der Himmel ſie küßt. Aber oben weht es uns zu rein an, wir athmen zu bang in der Nähe des Unausſprechlichen, und die Thäler ver¬ ſchwimmen vor unſern Augen. So ſehnt des Dich¬ ters Bruſt ſich nach dem Schönſten und Höchſten, wie Semele nach Zeus wahrhaftiger Geſtalt. Aber in der Feuergluth zerſpringt ſein Herz, er kann nur leben im Thal, athmen im Duft der Kräuter, und die Berge über ihm, die Fußſchemel des Unnenn¬ baren, ſind die Säulen der Ewigkeit, an denen ſein Geiſt ſich aufrankt. „Wer ein Mal dort oben vom Lichte getrunken, habe genug für's Leben. Nun möge man ihn beglückt zurückkehren laſſen in die ſtillen
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Anverwandter der Wirthin, die Geſundheit des Gaſtes
zu übernehmen, unterbrach den Dichter: die erſte Ge¬
ſundheit gebühre ihm ſelbſt. In einer Rede, die,
wenn auch ſonſt nichts, doch verrieth, daß er von
deſſen Schriften nichts geleſen, gratulirte er dem
Poeten, der nun mit Piron ſich die Grabſchrift ſetzen
könne:
Ci-gît Piron, qui ne fut rien,
Pas même académicien.
Aber wie Piron ein aimabler Poet geblieben, obgleich
er ſonſt nichts geweſen, ſo werde auch ohne Präbende
für ſie Alle hier:
Unſer herrlicher Jean Paul Friedrich Richter
Bleiben ein ihnen unvergeßlicher Dichter!
Im Gläſerklang erhob ſich der Gaſt: „Unſer Auge
blickt nach den blauen Bergen, und unſer Herz ſchwillt
vor Sehnſucht, weil der Himmel ſie küßt. Aber oben
weht es uns zu rein an, wir athmen zu bang in
der Nähe des Unausſprechlichen, und die Thäler ver¬
ſchwimmen vor unſern Augen. So ſehnt des Dich¬
ters Bruſt ſich nach dem Schönſten und Höchſten,
wie Semele nach Zeus wahrhaftiger Geſtalt. Aber
in der Feuergluth zerſpringt ſein Herz, er kann nur
leben im Thal, athmen im Duft der Kräuter, und
die Berge über ihm, die Fußſchemel des Unnenn¬
baren, ſind die Säulen der Ewigkeit, an denen ſein
Geiſt ſich aufrankt. „Wer ein Mal dort oben vom
Lichte getrunken, habe genug für's Leben. Nun möge
man ihn beglückt zurückkehren laſſen in die ſtillen
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/155>, abgerufen am 08.07.2024.
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