Sollen die Besserung wünschen, nach Neuerung ver¬ langen? Ich gebe Ihnen zu, es sind nicht alle so, die Armee zählt schon viel jüngere Officiere, voll Feuer, Eifer, Begeisterung --"
"Aber die Begeisterung ist eine Fuchtelklingen¬ begeisterung, unterbrach der Major, und ihr Herz schlägt nicht für's Vaterland, nur für das point d'honneur und den esprit de corps --"
"Halt, mein Herr, es giebt auch --"
"Ich sah, ich hörte sie auf meiner Reise. Mir ward bange, wenn ich dachte, daß Preußen auf diesen Säulen allein ruht, und die Säulen sind unterspült und gelöst von der Erde, die sie tragen soll. Ich schauderte, wenn ich hörte, wie man überall vor den Soldaten die Schubläden und Thüren verschließt, als wären es nur geworbene Landsknechte, nicht des Landes Söhne. Doch sei das, mögen sie noch Leib¬ eigene sein, nicht dem Vaterlande, ihrem Capitaine. Aber, allmächtiger Gott, welche Sprache mußte ich unter diesen hören, in den Wachtstuben der Herren Officiere. Wäre das Deutschlands Adel, so wäre er verloren, nur schmähliger als der Frankreichs; nicht unter der Guillotine, er stürbe an einem inneren fressenden Schaden. In den kleinen Städten, wenn der Bürger dem Fuchtelexercitium zusah, welche Ur¬ theile! Sie gönnen es den Junkern, daß sie recht tüchtig mal von den Franzosen geklopft würden. Und das mußte ich von guten Patrioten hören. Weiß man denn nichts davon hier? Ist man blind, taub, stumpf?
Sollen die Beſſerung wünſchen, nach Neuerung ver¬ langen? Ich gebe Ihnen zu, es ſind nicht alle ſo, die Armee zählt ſchon viel jüngere Officiere, voll Feuer, Eifer, Begeiſterung —“
„Aber die Begeiſterung iſt eine Fuchtelklingen¬ begeiſterung, unterbrach der Major, und ihr Herz ſchlägt nicht für's Vaterland, nur für das point d'honneur und den esprit de corps —“
„Halt, mein Herr, es giebt auch —“
„Ich ſah, ich hörte ſie auf meiner Reiſe. Mir ward bange, wenn ich dachte, daß Preußen auf dieſen Säulen allein ruht, und die Säulen ſind unterſpült und gelöſt von der Erde, die ſie tragen ſoll. Ich ſchauderte, wenn ich hörte, wie man überall vor den Soldaten die Schubläden und Thüren verſchließt, als wären es nur geworbene Landsknechte, nicht des Landes Söhne. Doch ſei das, mögen ſie noch Leib¬ eigene ſein, nicht dem Vaterlande, ihrem Capitaine. Aber, allmächtiger Gott, welche Sprache mußte ich unter dieſen hören, in den Wachtſtuben der Herren Officiere. Wäre das Deutſchlands Adel, ſo wäre er verloren, nur ſchmähliger als der Frankreichs; nicht unter der Guillotine, er ſtürbe an einem inneren freſſenden Schaden. In den kleinen Städten, wenn der Bürger dem Fuchtelexercitium zuſah, welche Ur¬ theile! Sie gönnen es den Junkern, daß ſie recht tüchtig mal von den Franzoſen geklopft würden. Und das mußte ich von guten Patrioten hören. Weiß man denn nichts davon hier? Iſt man blind, taub, ſtumpf?
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Sollen die Beſſerung wünſchen, nach Neuerung ver¬
langen? Ich gebe Ihnen zu, es ſind nicht alle ſo,
die Armee zählt ſchon viel jüngere Officiere, voll
Feuer, Eifer, Begeiſterung —“
„Aber die Begeiſterung iſt eine Fuchtelklingen¬
begeiſterung, unterbrach der Major, und ihr Herz
ſchlägt nicht für's Vaterland, nur für das point
d'honneur und den esprit de corps —“
„Halt, mein Herr, es giebt auch —“
„Ich ſah, ich hörte ſie auf meiner Reiſe. Mir
ward bange, wenn ich dachte, daß Preußen auf dieſen
Säulen allein ruht, und die Säulen ſind unterſpült
und gelöſt von der Erde, die ſie tragen ſoll. Ich
ſchauderte, wenn ich hörte, wie man überall vor den
Soldaten die Schubläden und Thüren verſchließt, als
wären es nur geworbene Landsknechte, nicht des
Landes Söhne. Doch ſei das, mögen ſie noch Leib¬
eigene ſein, nicht dem Vaterlande, ihrem Capitaine.
Aber, allmächtiger Gott, welche Sprache mußte ich
unter dieſen hören, in den Wachtſtuben der Herren
Officiere. Wäre das Deutſchlands Adel, ſo wäre er
verloren, nur ſchmähliger als der Frankreichs; nicht
unter der Guillotine, er ſtürbe an einem inneren
freſſenden Schaden. In den kleinen Städten, wenn
der Bürger dem Fuchtelexercitium zuſah, welche Ur¬
theile! Sie gönnen es den Junkern, daß ſie recht
tüchtig mal von den Franzoſen geklopft würden. Und
das mußte ich von guten Patrioten hören. Weiß man
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/105>, abgerufen am 23.11.2024.
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