Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Wohlbehagen, das der Empfindung eines Rau¬
sches verwandt war. Sie hatte eine Creatur, die
doch zum Tod verdammt war, rascher aus der Welt
geschafft, als es morgen der stumpfe Besen der ge¬
fühllosen Magd gethan hätte. Und im Schlaf! Sie
hatte ihr einen seligen Tod bereitet.

Sie suchte noch mehr Spinnen; aber im Zimmer
war keine mehr zu entdecken. Dagegen hingen an
den Wänden unzählige Fliegen, die der regnerische
Tag hineingetrieben. Noch vorsichtiger schlich sie auf
den Zehen heran, und es glückte ihr, die erste, zweite,
auch eine dritte durch das schnell angehaltene Licht
zu tödten. Morgen würden sie langsam, unter furcht¬
baren Qualen am Fliegenstock verenden; jetzt im
Lichtschein, im Taumel, waren sie einen Augenblick
erwacht und verglüht.

So mußte auch Semele in einem Moment
glückselig und todt sein, angeleuchtet von Zeus Licht¬
glanz und verbrannt von der Wonne -- dachte die
Geheimräthin.

Aber nicht alle Fliegen wollten diesen seligen
Tod sterben. Als sie der einen die Flügel angesengt,
und das Insect summend aufflog, löste sich allmälig
der Schwarm von den Wänden. Sie summten um
das Licht, um ihren Kopf, und die Geheimräthin
stand wieder athemlos in der Mitte des Zimmers,
mit dem freien Arm die aufgestörten Thiere abweh¬
rend. In dem Augenblick war ihr nicht wohl zu
Muthe. Die Thiere wurden so groß und schwarz

ein Wohlbehagen, das der Empfindung eines Rau¬
ſches verwandt war. Sie hatte eine Creatur, die
doch zum Tod verdammt war, raſcher aus der Welt
geſchafft, als es morgen der ſtumpfe Beſen der ge¬
fühlloſen Magd gethan hätte. Und im Schlaf! Sie
hatte ihr einen ſeligen Tod bereitet.

Sie ſuchte noch mehr Spinnen; aber im Zimmer
war keine mehr zu entdecken. Dagegen hingen an
den Wänden unzählige Fliegen, die der regneriſche
Tag hineingetrieben. Noch vorſichtiger ſchlich ſie auf
den Zehen heran, und es glückte ihr, die erſte, zweite,
auch eine dritte durch das ſchnell angehaltene Licht
zu tödten. Morgen würden ſie langſam, unter furcht¬
baren Qualen am Fliegenſtock verenden; jetzt im
Lichtſchein, im Taumel, waren ſie einen Augenblick
erwacht und verglüht.

So mußte auch Semele in einem Moment
glückſelig und todt ſein, angeleuchtet von Zeus Licht¬
glanz und verbrannt von der Wonne — dachte die
Geheimräthin.

Aber nicht alle Fliegen wollten dieſen ſeligen
Tod ſterben. Als ſie der einen die Flügel angeſengt,
und das Inſect ſummend aufflog, löſte ſich allmälig
der Schwarm von den Wänden. Sie ſummten um
das Licht, um ihren Kopf, und die Geheimräthin
ſtand wieder athemlos in der Mitte des Zimmers,
mit dem freien Arm die aufgeſtörten Thiere abweh¬
rend. In dem Augenblick war ihr nicht wohl zu
Muthe. Die Thiere wurden ſo groß und ſchwarz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0087" n="73"/>
ein Wohlbehagen, das der Empfindung eines Rau¬<lb/>
&#x017F;ches verwandt war. Sie hatte eine Creatur, die<lb/>
doch zum Tod verdammt war, ra&#x017F;cher aus der Welt<lb/>
ge&#x017F;chafft, als es morgen der &#x017F;tumpfe Be&#x017F;en der ge¬<lb/>
fühllo&#x017F;en Magd gethan hätte. Und im Schlaf! Sie<lb/>
hatte ihr einen &#x017F;eligen Tod bereitet.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;uchte noch mehr Spinnen; aber im Zimmer<lb/>
war keine mehr zu entdecken. Dagegen hingen an<lb/>
den Wänden unzählige Fliegen, die der regneri&#x017F;che<lb/>
Tag hineingetrieben. Noch vor&#x017F;ichtiger &#x017F;chlich &#x017F;ie auf<lb/>
den Zehen heran, und es glückte ihr, die er&#x017F;te, zweite,<lb/>
auch eine dritte durch das &#x017F;chnell angehaltene Licht<lb/>
zu tödten. Morgen würden &#x017F;ie lang&#x017F;am, unter furcht¬<lb/>
baren Qualen am Fliegen&#x017F;tock verenden; jetzt im<lb/>
Licht&#x017F;chein, im Taumel, waren &#x017F;ie einen Augenblick<lb/>
erwacht und verglüht.</p><lb/>
        <p>So mußte auch Semele in einem Moment<lb/>
glück&#x017F;elig und todt &#x017F;ein, angeleuchtet von Zeus Licht¬<lb/>
glanz und verbrannt von der Wonne &#x2014; dachte die<lb/>
Geheimräthin.</p><lb/>
        <p>Aber nicht alle Fliegen wollten die&#x017F;en &#x017F;eligen<lb/>
Tod &#x017F;terben. Als &#x017F;ie der einen die Flügel ange&#x017F;engt,<lb/>
und das In&#x017F;ect &#x017F;ummend aufflog, lö&#x017F;te &#x017F;ich allmälig<lb/>
der Schwarm von den Wänden. Sie &#x017F;ummten um<lb/>
das Licht, um ihren Kopf, und die Geheimräthin<lb/>
&#x017F;tand wieder athemlos in der Mitte des Zimmers,<lb/>
mit dem freien Arm die aufge&#x017F;törten Thiere abweh¬<lb/>
rend. In dem Augenblick war ihr nicht wohl zu<lb/>
Muthe. Die Thiere wurden &#x017F;o groß und &#x017F;chwarz<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0087] ein Wohlbehagen, das der Empfindung eines Rau¬ ſches verwandt war. Sie hatte eine Creatur, die doch zum Tod verdammt war, raſcher aus der Welt geſchafft, als es morgen der ſtumpfe Beſen der ge¬ fühlloſen Magd gethan hätte. Und im Schlaf! Sie hatte ihr einen ſeligen Tod bereitet. Sie ſuchte noch mehr Spinnen; aber im Zimmer war keine mehr zu entdecken. Dagegen hingen an den Wänden unzählige Fliegen, die der regneriſche Tag hineingetrieben. Noch vorſichtiger ſchlich ſie auf den Zehen heran, und es glückte ihr, die erſte, zweite, auch eine dritte durch das ſchnell angehaltene Licht zu tödten. Morgen würden ſie langſam, unter furcht¬ baren Qualen am Fliegenſtock verenden; jetzt im Lichtſchein, im Taumel, waren ſie einen Augenblick erwacht und verglüht. So mußte auch Semele in einem Moment glückſelig und todt ſein, angeleuchtet von Zeus Licht¬ glanz und verbrannt von der Wonne — dachte die Geheimräthin. Aber nicht alle Fliegen wollten dieſen ſeligen Tod ſterben. Als ſie der einen die Flügel angeſengt, und das Inſect ſummend aufflog, löſte ſich allmälig der Schwarm von den Wänden. Sie ſummten um das Licht, um ihren Kopf, und die Geheimräthin ſtand wieder athemlos in der Mitte des Zimmers, mit dem freien Arm die aufgeſtörten Thiere abweh¬ rend. In dem Augenblick war ihr nicht wohl zu Muthe. Die Thiere wurden ſo groß und ſchwarz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/87
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/87>, abgerufen am 01.05.2024.