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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Sie fuhr sich leicht über die Stirn, und erschrak
über den Eindruck, den ihre Rede gemacht. Dabei
kam ihr zu Sinn, daß die Gesellschaft ja durch sie
vom Spieltisch zurückgehalten werde. Sie bat um
Entschuldigung wegen ihrer unzeitigen Herzenseröff¬
nungen.

"Was kann eine schöne Seele schöneres thun,
als Andere ihre Empfindungen mitempfinden lassen,"
lispelte eine Seele, die sich wohl selbst für schön hielt.

"Nennen Sie es lieber eine Schwäche, schüttelte
die Geheimräthin den Kopf. "Die Welt will nicht,
daß wir uns geben, wie wir sind, und die Welt
hat im Grunde Recht."

Nun aber hatte sie auch keine Ruhe, als bis
die Herrschaften sich niedergesetzt. Ein heiteres Ver¬
gnügen zu stören erschien ihr immer wie eine Todsünde.

Sie hatte recht. Wer die Karte zur Whistpartie
in der Hand hält, läßt sich ungern stören, am we¬
nigsten durch Herzensergüsse einer schönen Seele.

Einige hatten die Geheimräthin schon immer für
eine Clairvoyante gehalten; die Clairvoyance war in
der Mode. Andere meinten, sie sei nur von einer
außerordentlich reizbaren nervösen Complexion. Man
bedauerte sie, es gab wohl auch andre, die sie darum
beneideten. Hier lobte man sie, wie schonend sie das
Verhältniß zu ihrem Ehemann darzustellen wisse, da
jedermann bekannt sei, ein wie eigensinniger Stuben¬
gelehrter der Geheimrath wäre. Sie sei gewisser¬
maßen eine Märtyrin ihres feinen Sentiments. Er

Sie fuhr ſich leicht über die Stirn, und erſchrak
über den Eindruck, den ihre Rede gemacht. Dabei
kam ihr zu Sinn, daß die Geſellſchaft ja durch ſie
vom Spieltiſch zurückgehalten werde. Sie bat um
Entſchuldigung wegen ihrer unzeitigen Herzenseröff¬
nungen.

„Was kann eine ſchöne Seele ſchöneres thun,
als Andere ihre Empfindungen mitempfinden laſſen,“
lispelte eine Seele, die ſich wohl ſelbſt für ſchön hielt.

„Nennen Sie es lieber eine Schwäche, ſchüttelte
die Geheimräthin den Kopf. „Die Welt will nicht,
daß wir uns geben, wie wir ſind, und die Welt
hat im Grunde Recht.“

Nun aber hatte ſie auch keine Ruhe, als bis
die Herrſchaften ſich niedergeſetzt. Ein heiteres Ver¬
gnügen zu ſtören erſchien ihr immer wie eine Todſünde.

Sie hatte recht. Wer die Karte zur Whiſtpartie
in der Hand hält, läßt ſich ungern ſtören, am we¬
nigſten durch Herzensergüſſe einer ſchönen Seele.

Einige hatten die Geheimräthin ſchon immer für
eine Clairvoyante gehalten; die Clairvoyance war in
der Mode. Andere meinten, ſie ſei nur von einer
außerordentlich reizbaren nervöſen Complexion. Man
bedauerte ſie, es gab wohl auch andre, die ſie darum
beneideten. Hier lobte man ſie, wie ſchonend ſie das
Verhältniß zu ihrem Ehemann darzuſtellen wiſſe, da
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[42/0056] Sie fuhr ſich leicht über die Stirn, und erſchrak über den Eindruck, den ihre Rede gemacht. Dabei kam ihr zu Sinn, daß die Geſellſchaft ja durch ſie vom Spieltiſch zurückgehalten werde. Sie bat um Entſchuldigung wegen ihrer unzeitigen Herzenseröff¬ nungen. „Was kann eine ſchöne Seele ſchöneres thun, als Andere ihre Empfindungen mitempfinden laſſen,“ lispelte eine Seele, die ſich wohl ſelbſt für ſchön hielt. „Nennen Sie es lieber eine Schwäche, ſchüttelte die Geheimräthin den Kopf. „Die Welt will nicht, daß wir uns geben, wie wir ſind, und die Welt hat im Grunde Recht.“ Nun aber hatte ſie auch keine Ruhe, als bis die Herrſchaften ſich niedergeſetzt. Ein heiteres Ver¬ gnügen zu ſtören erſchien ihr immer wie eine Todſünde. Sie hatte recht. Wer die Karte zur Whiſtpartie in der Hand hält, läßt ſich ungern ſtören, am we¬ nigſten durch Herzensergüſſe einer ſchönen Seele. Einige hatten die Geheimräthin ſchon immer für eine Clairvoyante gehalten; die Clairvoyance war in der Mode. Andere meinten, ſie ſei nur von einer außerordentlich reizbaren nervöſen Complexion. Man bedauerte ſie, es gab wohl auch andre, die ſie darum beneideten. Hier lobte man ſie, wie ſchonend ſie das Verhältniß zu ihrem Ehemann darzuſtellen wiſſe, da jedermann bekannt ſei, ein wie eigenſinniger Stuben¬ gelehrter der Geheimrath wäre. Sie ſei gewiſſer¬ maßen eine Märtyrin ihres feinen Sentiments. Er

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/56>, abgerufen am 29.11.2024.