Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

beugte sie sich tiefer über das unglückliche Mädchen
als nöthig war, in dem Augenblick vielleicht das
glücklichere; sie wußte ja nicht, was um sie vorging.
Auch Adelheid wußte es kaum, als die rauhe Hand
des Commissars sie aufriß: "Aufgestanden! Marsch!"
-- "Sie ist unschuldig!" -- rief eine Stimme. "Da
der Beweis ihrer Unschuld!" entgegnete der Com¬
missar, und zeigte Adelheids Hand, auch sie blutig
von der Berührung. "Auf der Wache wird sich alles
herausfinden, mein schönes Kind. Einstweilen mit¬
gefangen, mitgehangen." -- "Sie ist unschuldig!"
schrie Louis, aus seinem Starrsinn erwachend. Er
war aufgesprungen. Der Beamte sah ihn mit einem
höhnischen Blicke an: "Wenn man Sie als Zeugen
aufrufen wird, ist Zeit für Sie zu sprechen. Oder
sind Sie etwa auch unschuldig? Die Person hier auf
eine Trage, und vorsichtig! Auf der Wache wollen
wir untersuchen, wo sie hin muß."

Wie so viele Nadelstiche bohrte das rohe Gelächter in
Adelheids Herz. An wen sich wenden! Sie hatte keinen
Freund, keinen Bekannten hier. Der Kammerherr war
verschwunden. Sollte sie das Weib anrufen, das noch
vor Wuth kochte, und grimmige Blicke mit dem andern
Mädchen tauschend, von neuen Thätlichkeiten nur durch
die Wache abgehalten ward! Und was hätte deren
Zeugniß in dieser Lage ihr geholfen! Durfte sie den
Namen ihres Vaters nennen?

Der Retter stand aber schon vor ihr: "Diese
Dame ist an den Auftritten hier so unbetheiligt als

beugte ſie ſich tiefer über das unglückliche Mädchen
als nöthig war, in dem Augenblick vielleicht das
glücklichere; ſie wußte ja nicht, was um ſie vorging.
Auch Adelheid wußte es kaum, als die rauhe Hand
des Commiſſars ſie aufriß: „Aufgeſtanden! Marſch!“
— „Sie iſt unſchuldig!“ — rief eine Stimme. „Da
der Beweis ihrer Unſchuld!“ entgegnete der Com¬
miſſar, und zeigte Adelheids Hand, auch ſie blutig
von der Berührung. „Auf der Wache wird ſich alles
herausfinden, mein ſchönes Kind. Einſtweilen mit¬
gefangen, mitgehangen.“ — „Sie iſt unſchuldig!“
ſchrie Louis, aus ſeinem Starrſinn erwachend. Er
war aufgeſprungen. Der Beamte ſah ihn mit einem
höhniſchen Blicke an: „Wenn man Sie als Zeugen
aufrufen wird, iſt Zeit für Sie zu ſprechen. Oder
ſind Sie etwa auch unſchuldig? Die Perſon hier auf
eine Trage, und vorſichtig! Auf der Wache wollen
wir unterſuchen, wo ſie hin muß.“

Wie ſo viele Nadelſtiche bohrte das rohe Gelächter in
Adelheids Herz. An wen ſich wenden! Sie hatte keinen
Freund, keinen Bekannten hier. Der Kammerherr war
verſchwunden. Sollte ſie das Weib anrufen, das noch
vor Wuth kochte, und grimmige Blicke mit dem andern
Mädchen tauſchend, von neuen Thätlichkeiten nur durch
die Wache abgehalten ward! Und was hätte deren
Zeugniß in dieſer Lage ihr geholfen! Durfte ſie den
Namen ihres Vaters nennen?

Der Retter ſtand aber ſchon vor ihr: „Dieſe
Dame iſt an den Auftritten hier ſo unbetheiligt als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0320" n="306"/>
beugte &#x017F;ie &#x017F;ich tiefer über das unglückliche Mädchen<lb/>
als nöthig war, in dem Augenblick vielleicht das<lb/>
glücklichere; &#x017F;ie wußte ja nicht, was um &#x017F;ie vorging.<lb/>
Auch Adelheid wußte es kaum, als die rauhe Hand<lb/>
des Commi&#x017F;&#x017F;ars &#x017F;ie aufriß: &#x201E;Aufge&#x017F;tanden! Mar&#x017F;ch!&#x201C;<lb/>
&#x2014; &#x201E;Sie i&#x017F;t un&#x017F;chuldig!&#x201C; &#x2014; rief eine Stimme. &#x201E;Da<lb/>
der Beweis ihrer Un&#x017F;chuld!&#x201C; entgegnete der Com¬<lb/>
mi&#x017F;&#x017F;ar, und zeigte Adelheids Hand, auch &#x017F;ie blutig<lb/>
von der Berührung. &#x201E;Auf der Wache wird &#x017F;ich alles<lb/>
herausfinden, mein &#x017F;chönes Kind. Ein&#x017F;tweilen mit¬<lb/>
gefangen, mitgehangen.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Sie i&#x017F;t un&#x017F;chuldig!&#x201C;<lb/>
&#x017F;chrie Louis, aus &#x017F;einem Starr&#x017F;inn erwachend. Er<lb/>
war aufge&#x017F;prungen. Der Beamte &#x017F;ah ihn mit einem<lb/>
höhni&#x017F;chen Blicke an: &#x201E;Wenn man Sie als Zeugen<lb/>
aufrufen wird, i&#x017F;t Zeit für Sie zu &#x017F;prechen. Oder<lb/>
&#x017F;ind Sie etwa auch un&#x017F;chuldig? Die Per&#x017F;on hier auf<lb/>
eine Trage, und vor&#x017F;ichtig! Auf der Wache wollen<lb/>
wir unter&#x017F;uchen, wo &#x017F;ie hin muß.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wie &#x017F;o viele Nadel&#x017F;tiche bohrte das rohe Gelächter in<lb/>
Adelheids Herz. An wen &#x017F;ich wenden! Sie hatte keinen<lb/>
Freund, keinen Bekannten hier. Der Kammerherr war<lb/>
ver&#x017F;chwunden. Sollte &#x017F;ie das Weib anrufen, das noch<lb/>
vor Wuth kochte, und grimmige Blicke mit dem andern<lb/>
Mädchen tau&#x017F;chend, von neuen Thätlichkeiten nur durch<lb/>
die Wache abgehalten ward! Und was hätte deren<lb/>
Zeugniß in die&#x017F;er Lage ihr geholfen! Durfte &#x017F;ie den<lb/>
Namen ihres Vaters nennen?</p><lb/>
        <p>Der Retter &#x017F;tand aber &#x017F;chon vor ihr: &#x201E;Die&#x017F;e<lb/>
Dame i&#x017F;t an den Auftritten hier &#x017F;o unbetheiligt als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0320] beugte ſie ſich tiefer über das unglückliche Mädchen als nöthig war, in dem Augenblick vielleicht das glücklichere; ſie wußte ja nicht, was um ſie vorging. Auch Adelheid wußte es kaum, als die rauhe Hand des Commiſſars ſie aufriß: „Aufgeſtanden! Marſch!“ — „Sie iſt unſchuldig!“ — rief eine Stimme. „Da der Beweis ihrer Unſchuld!“ entgegnete der Com¬ miſſar, und zeigte Adelheids Hand, auch ſie blutig von der Berührung. „Auf der Wache wird ſich alles herausfinden, mein ſchönes Kind. Einſtweilen mit¬ gefangen, mitgehangen.“ — „Sie iſt unſchuldig!“ ſchrie Louis, aus ſeinem Starrſinn erwachend. Er war aufgeſprungen. Der Beamte ſah ihn mit einem höhniſchen Blicke an: „Wenn man Sie als Zeugen aufrufen wird, iſt Zeit für Sie zu ſprechen. Oder ſind Sie etwa auch unſchuldig? Die Perſon hier auf eine Trage, und vorſichtig! Auf der Wache wollen wir unterſuchen, wo ſie hin muß.“ Wie ſo viele Nadelſtiche bohrte das rohe Gelächter in Adelheids Herz. An wen ſich wenden! Sie hatte keinen Freund, keinen Bekannten hier. Der Kammerherr war verſchwunden. Sollte ſie das Weib anrufen, das noch vor Wuth kochte, und grimmige Blicke mit dem andern Mädchen tauſchend, von neuen Thätlichkeiten nur durch die Wache abgehalten ward! Und was hätte deren Zeugniß in dieſer Lage ihr geholfen! Durfte ſie den Namen ihres Vaters nennen? Der Retter ſtand aber ſchon vor ihr: „Dieſe Dame iſt an den Auftritten hier ſo unbetheiligt als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/320
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/320>, abgerufen am 24.11.2024.