Er drückte in verbindlicher Weise ihre Finger an die Lippen und führte sie auf das Canape.
Ob die Finger besonders spitz waren, kann ich für jetzt nicht sagen, denn sie waren in Tricothand¬ schuhen versteckt, und während die eine Hand an den Lippen des Geheimraths ruhte, umfaßte die andere den Fächer, um das Spiel zu beginnen, was bei einer Conversation auf dem Canape nothwendig ist.
Aber das ganze Gesicht war, was man spitz nennt. Vielleicht hätte man auch die kleine Gestalt der Dame so nennen mögen, indeß war ein Etwas darin, entweder nenne ich es Anmuth oder Elasti¬ cität, was diesen Eindruck verwischte. Alabasterarbeit hätte ein Dichter oder Künstler gesagt, der erst der Hauch des Gedankens oder Gefühls Farbe und Be¬ wegung giebt. Weder jung noch alt, weder schön, noch eigentlich hübsch, konnten doch ihre dunkeln kleinen beweglichen Augen, wenn sie aus den blonden Augen¬ braunen besondere Blicke schossen, anziehen. Es war schwer zu sagen, wovon diese Blicke sprachen, ob von Verstand, Gefühl, Sinnlichkeit, ob sie stachen, suchten, lockten, ob sie aus einer beglückten, oder zerrissenen Brust kamen. Sie konnten einen sehr verschiedenen Glanz annehmen, nur nicht den der ursprünglichen Wahrheit, jenen Glanz, der auf den ersten Blick ein¬ nimmt und überzeugt. Man sah in diesen Augen, daß sich die Gedanken und Gefühle erst sammeln mußten, um ihren Blicken den Ausdruck zu geben, den sie wollte. Es war überhaupt etwas Besonderes in der
Er drückte in verbindlicher Weiſe ihre Finger an die Lippen und führte ſie auf das Canapé.
Ob die Finger beſonders ſpitz waren, kann ich für jetzt nicht ſagen, denn ſie waren in Tricothand¬ ſchuhen verſteckt, und während die eine Hand an den Lippen des Geheimraths ruhte, umfaßte die andere den Fächer, um das Spiel zu beginnen, was bei einer Converſation auf dem Canapé nothwendig iſt.
Aber das ganze Geſicht war, was man ſpitz nennt. Vielleicht hätte man auch die kleine Geſtalt der Dame ſo nennen mögen, indeß war ein Etwas darin, entweder nenne ich es Anmuth oder Elaſti¬ cität, was dieſen Eindruck verwiſchte. Alabaſterarbeit hätte ein Dichter oder Künſtler geſagt, der erſt der Hauch des Gedankens oder Gefühls Farbe und Be¬ wegung giebt. Weder jung noch alt, weder ſchön, noch eigentlich hübſch, konnten doch ihre dunkeln kleinen beweglichen Augen, wenn ſie aus den blonden Augen¬ braunen beſondere Blicke ſchoſſen, anziehen. Es war ſchwer zu ſagen, wovon dieſe Blicke ſprachen, ob von Verſtand, Gefühl, Sinnlichkeit, ob ſie ſtachen, ſuchten, lockten, ob ſie aus einer beglückten, oder zerriſſenen Bruſt kamen. Sie konnten einen ſehr verſchiedenen Glanz annehmen, nur nicht den der urſprünglichen Wahrheit, jenen Glanz, der auf den erſten Blick ein¬ nimmt und überzeugt. Man ſah in dieſen Augen, daß ſich die Gedanken und Gefühle erſt ſammeln mußten, um ihren Blicken den Ausdruck zu geben, den ſie wollte. Es war überhaupt etwas Beſonderes in der
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0030"n="16"/><p>Er drückte in verbindlicher Weiſe ihre Finger<lb/>
an die Lippen und führte ſie auf das Canap<hirendition="#aq">é</hi>.</p><lb/><p>Ob die Finger beſonders ſpitz waren, kann ich<lb/>
für jetzt nicht ſagen, denn ſie waren in Tricothand¬<lb/>ſchuhen verſteckt, und während die eine Hand an den<lb/>
Lippen des Geheimraths ruhte, umfaßte die andere<lb/>
den Fächer, um das Spiel zu beginnen, was bei<lb/>
einer Converſation auf dem Canap<hirendition="#aq">é</hi> nothwendig iſt.</p><lb/><p>Aber das ganze Geſicht war, was man ſpitz<lb/>
nennt. Vielleicht hätte man auch die kleine Geſtalt<lb/>
der Dame ſo nennen mögen, indeß war ein Etwas<lb/>
darin, entweder nenne ich es Anmuth oder Elaſti¬<lb/>
cität, was dieſen Eindruck verwiſchte. Alabaſterarbeit<lb/>
hätte ein Dichter oder Künſtler geſagt, der erſt der<lb/>
Hauch des Gedankens oder Gefühls Farbe und Be¬<lb/>
wegung giebt. Weder jung noch alt, weder ſchön,<lb/>
noch eigentlich hübſch, konnten doch ihre dunkeln kleinen<lb/>
beweglichen Augen, wenn ſie aus den blonden Augen¬<lb/>
braunen beſondere Blicke ſchoſſen, anziehen. Es war<lb/>ſchwer zu ſagen, wovon dieſe Blicke ſprachen, ob von<lb/>
Verſtand, Gefühl, Sinnlichkeit, ob ſie ſtachen, ſuchten,<lb/>
lockten, ob ſie aus einer beglückten, oder zerriſſenen<lb/>
Bruſt kamen. Sie konnten einen ſehr verſchiedenen<lb/>
Glanz annehmen, nur nicht den der urſprünglichen<lb/>
Wahrheit, jenen Glanz, der auf den erſten Blick ein¬<lb/>
nimmt und überzeugt. Man ſah in dieſen Augen,<lb/>
daß ſich die Gedanken und Gefühle erſt ſammeln mußten,<lb/>
um ihren Blicken den Ausdruck zu geben, den ſie<lb/>
wollte. Es war überhaupt etwas Beſonderes in der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[16/0030]
Er drückte in verbindlicher Weiſe ihre Finger
an die Lippen und führte ſie auf das Canapé.
Ob die Finger beſonders ſpitz waren, kann ich
für jetzt nicht ſagen, denn ſie waren in Tricothand¬
ſchuhen verſteckt, und während die eine Hand an den
Lippen des Geheimraths ruhte, umfaßte die andere
den Fächer, um das Spiel zu beginnen, was bei
einer Converſation auf dem Canapé nothwendig iſt.
Aber das ganze Geſicht war, was man ſpitz
nennt. Vielleicht hätte man auch die kleine Geſtalt
der Dame ſo nennen mögen, indeß war ein Etwas
darin, entweder nenne ich es Anmuth oder Elaſti¬
cität, was dieſen Eindruck verwiſchte. Alabaſterarbeit
hätte ein Dichter oder Künſtler geſagt, der erſt der
Hauch des Gedankens oder Gefühls Farbe und Be¬
wegung giebt. Weder jung noch alt, weder ſchön,
noch eigentlich hübſch, konnten doch ihre dunkeln kleinen
beweglichen Augen, wenn ſie aus den blonden Augen¬
braunen beſondere Blicke ſchoſſen, anziehen. Es war
ſchwer zu ſagen, wovon dieſe Blicke ſprachen, ob von
Verſtand, Gefühl, Sinnlichkeit, ob ſie ſtachen, ſuchten,
lockten, ob ſie aus einer beglückten, oder zerriſſenen
Bruſt kamen. Sie konnten einen ſehr verſchiedenen
Glanz annehmen, nur nicht den der urſprünglichen
Wahrheit, jenen Glanz, der auf den erſten Blick ein¬
nimmt und überzeugt. Man ſah in dieſen Augen,
daß ſich die Gedanken und Gefühle erſt ſammeln mußten,
um ihren Blicken den Ausdruck zu geben, den ſie
wollte. Es war überhaupt etwas Beſonderes in der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/30>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.