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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Adelheids Gesicht leuchtete auf: "Kennen Sie
ihn?"

"Habe nicht die Ehre, aber ich wollte wetten, er
heißt Cupido."

"Nein, er heißt van Asten. Und seine Stunden
sind gar nicht wie Stunden. Es plaudert sich so fort,
und sie sind immer zu Ende, ehe wir es uns ver¬
sehen. Ich schäme mich zuweilen, wenn er fort ist,
daß ich so wenig aufgeschrieben habe, aber wenn ich
mich hinsetze, um es niederzuschreiben, dann muß ich
oft einen ganzen Tag schreiben und noch mehr. Ich
thue es nun gar nicht mehr, denn ich behalte doch
alles auswendig."

"Ist's die Möglichkeit!"

"Manchmal ist mir wie einem Vogel zu Muthe,
als schwebte ich hoch in die Luft und unter mir sähe
ich Berge und Städte und Flüsse. So weiß er das
alles klar zu machen, wenn er erzählt. Da ist mir
oft, als müßte ich das Umschlagetuch zusammenziehen,
wenn er die kalten Länder beschreibt, wo ewiger Schnee
liegt und Eis. Und wenn er die heißen schildert, da
wird mir's so heiß, so heiß -- ach ich rede gewiß
recht dummes Zeug, es ist nur gut, daß es Herr
van Asten nicht hört."

"Ach liebe Seele, Engelchen, das versteh ich.
Wer das einmal gekostet hat, wie's draußen schön
ist, in der Welt, der möchte immerfort fliegen. Na
nu versteht sich, fliegen kann keiner von uns, denn
wir haben keine Flügel. Aber zwei Füchse vorge¬

Adelheids Geſicht leuchtete auf: „Kennen Sie
ihn?“

„Habe nicht die Ehre, aber ich wollte wetten, er
heißt Cupido.“

„Nein, er heißt van Aſten. Und ſeine Stunden
ſind gar nicht wie Stunden. Es plaudert ſich ſo fort,
und ſie ſind immer zu Ende, ehe wir es uns ver¬
ſehen. Ich ſchäme mich zuweilen, wenn er fort iſt,
daß ich ſo wenig aufgeſchrieben habe, aber wenn ich
mich hinſetze, um es niederzuſchreiben, dann muß ich
oft einen ganzen Tag ſchreiben und noch mehr. Ich
thue es nun gar nicht mehr, denn ich behalte doch
alles auswendig.“

„Iſt's die Möglichkeit!“

„Manchmal iſt mir wie einem Vogel zu Muthe,
als ſchwebte ich hoch in die Luft und unter mir ſähe
ich Berge und Städte und Flüſſe. So weiß er das
alles klar zu machen, wenn er erzählt. Da iſt mir
oft, als müßte ich das Umſchlagetuch zuſammenziehen,
wenn er die kalten Länder beſchreibt, wo ewiger Schnee
liegt und Eis. Und wenn er die heißen ſchildert, da
wird mir's ſo heiß, ſo heiß — ach ich rede gewiß
recht dummes Zeug, es iſt nur gut, daß es Herr
van Aſten nicht hört.“

„Ach liebe Seele, Engelchen, das verſteh ich.
Wer das einmal gekoſtet hat, wie's draußen ſchön
iſt, in der Welt, der möchte immerfort fliegen. Na
nu verſteht ſich, fliegen kann keiner von uns, denn
wir haben keine Flügel. Aber zwei Füchſe vorge¬

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[283/0297] Adelheids Geſicht leuchtete auf: „Kennen Sie ihn?“ „Habe nicht die Ehre, aber ich wollte wetten, er heißt Cupido.“ „Nein, er heißt van Aſten. Und ſeine Stunden ſind gar nicht wie Stunden. Es plaudert ſich ſo fort, und ſie ſind immer zu Ende, ehe wir es uns ver¬ ſehen. Ich ſchäme mich zuweilen, wenn er fort iſt, daß ich ſo wenig aufgeſchrieben habe, aber wenn ich mich hinſetze, um es niederzuſchreiben, dann muß ich oft einen ganzen Tag ſchreiben und noch mehr. Ich thue es nun gar nicht mehr, denn ich behalte doch alles auswendig.“ „Iſt's die Möglichkeit!“ „Manchmal iſt mir wie einem Vogel zu Muthe, als ſchwebte ich hoch in die Luft und unter mir ſähe ich Berge und Städte und Flüſſe. So weiß er das alles klar zu machen, wenn er erzählt. Da iſt mir oft, als müßte ich das Umſchlagetuch zuſammenziehen, wenn er die kalten Länder beſchreibt, wo ewiger Schnee liegt und Eis. Und wenn er die heißen ſchildert, da wird mir's ſo heiß, ſo heiß — ach ich rede gewiß recht dummes Zeug, es iſt nur gut, daß es Herr van Aſten nicht hört.“ „Ach liebe Seele, Engelchen, das verſteh ich. Wer das einmal gekoſtet hat, wie's draußen ſchön iſt, in der Welt, der möchte immerfort fliegen. Na nu verſteht ſich, fliegen kann keiner von uns, denn wir haben keine Flügel. Aber zwei Füchſe vorge¬

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/297>, abgerufen am 21.05.2024.