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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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in's Haus gelassen. Aber nun sie's weiß, soll er
sich nicht mausig machen, und sie wird ihm mal den
Stuhl vor die Thür setzen, daß er sich verwundern
soll, hat sie gesagt. Und vollends jetzt, wo die Pre¬
digers oben sind. Still, sie kommt runter."

Jülli drückte ihr Gesicht an eine Scheibe, Karo¬
line hatte sich ans andre Fenster gesetzt und eine
weibliche Arbeit schnell ergriffen. Die Tante schalt.
Junge Frauenzimmer müßten nicht immer am Fen¬
ster sitzen. Das gäbe übel Gerede; die Stadt sei
gottlos genug, daß sie immer an Schlimmes denkt.
"Was hast Du Dir wieder die Nase platt gedrückt
an der Scheibe, fuhr sie Jülli an? Siehst Du, da¬
von kommt die Thräne ins Auge, und das habe ich
Dir gesagt, wenn eine erst anfängt, sich die Augen
roth zu weinen, dann ist's mit uns aus. Siehst Du
etwa die Karoline weinen? Die lacht den ganzen
Tag. Alles was recht ist. In der Kirche, vor un¬
serm Herrgott, soll man weinen, und das Gesicht
lang ziehn wenn der Herr Prediger gerührt spricht,
und Niemand kann mir nicht sagen, daß ich Euch
nicht in die Kirche führe, und Keiner, daß Ihr nicht
fein und anständig gekleidet seid, daß Ihr Euch mit
Ehren sehn lassen könnt, aber zuhause sollt Ihr nicht
sein wie in der Kirche. Die hat der liebe Herrgott
bauen lassen, daß man da traurig sein soll, aber die
Welt daneben, daß man lustig sein soll. Und die
Herrschaften, die zu uns kommen, die wollens auch;
sonst würden sie in die Kirche gehn und nicht zu uns."

in's Haus gelaſſen. Aber nun ſie's weiß, ſoll er
ſich nicht mauſig machen, und ſie wird ihm mal den
Stuhl vor die Thür ſetzen, daß er ſich verwundern
ſoll, hat ſie geſagt. Und vollends jetzt, wo die Pre¬
digers oben ſind. Still, ſie kommt runter.“

Jülli drückte ihr Geſicht an eine Scheibe, Karo¬
line hatte ſich ans andre Fenſter geſetzt und eine
weibliche Arbeit ſchnell ergriffen. Die Tante ſchalt.
Junge Frauenzimmer müßten nicht immer am Fen¬
ſter ſitzen. Das gäbe übel Gerede; die Stadt ſei
gottlos genug, daß ſie immer an Schlimmes denkt.
„Was haſt Du Dir wieder die Naſe platt gedrückt
an der Scheibe, fuhr ſie Jülli an? Siehſt Du, da¬
von kommt die Thräne ins Auge, und das habe ich
Dir geſagt, wenn eine erſt anfängt, ſich die Augen
roth zu weinen, dann iſt's mit uns aus. Siehſt Du
etwa die Karoline weinen? Die lacht den ganzen
Tag. Alles was recht iſt. In der Kirche, vor un¬
ſerm Herrgott, ſoll man weinen, und das Geſicht
lang ziehn wenn der Herr Prediger gerührt ſpricht,
und Niemand kann mir nicht ſagen, daß ich Euch
nicht in die Kirche führe, und Keiner, daß Ihr nicht
fein und anſtändig gekleidet ſeid, daß Ihr Euch mit
Ehren ſehn laſſen könnt, aber zuhauſe ſollt Ihr nicht
ſein wie in der Kirche. Die hat der liebe Herrgott
bauen laſſen, daß man da traurig ſein ſoll, aber die
Welt daneben, daß man luſtig ſein ſoll. Und die
Herrſchaften, die zu uns kommen, die wollens auch;
ſonſt würden ſie in die Kirche gehn und nicht zu uns.“

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[274/0288] in's Haus gelaſſen. Aber nun ſie's weiß, ſoll er ſich nicht mauſig machen, und ſie wird ihm mal den Stuhl vor die Thür ſetzen, daß er ſich verwundern ſoll, hat ſie geſagt. Und vollends jetzt, wo die Pre¬ digers oben ſind. Still, ſie kommt runter.“ Jülli drückte ihr Geſicht an eine Scheibe, Karo¬ line hatte ſich ans andre Fenſter geſetzt und eine weibliche Arbeit ſchnell ergriffen. Die Tante ſchalt. Junge Frauenzimmer müßten nicht immer am Fen¬ ſter ſitzen. Das gäbe übel Gerede; die Stadt ſei gottlos genug, daß ſie immer an Schlimmes denkt. „Was haſt Du Dir wieder die Naſe platt gedrückt an der Scheibe, fuhr ſie Jülli an? Siehſt Du, da¬ von kommt die Thräne ins Auge, und das habe ich Dir geſagt, wenn eine erſt anfängt, ſich die Augen roth zu weinen, dann iſt's mit uns aus. Siehſt Du etwa die Karoline weinen? Die lacht den ganzen Tag. Alles was recht iſt. In der Kirche, vor un¬ ſerm Herrgott, ſoll man weinen, und das Geſicht lang ziehn wenn der Herr Prediger gerührt ſpricht, und Niemand kann mir nicht ſagen, daß ich Euch nicht in die Kirche führe, und Keiner, daß Ihr nicht fein und anſtändig gekleidet ſeid, daß Ihr Euch mit Ehren ſehn laſſen könnt, aber zuhauſe ſollt Ihr nicht ſein wie in der Kirche. Die hat der liebe Herrgott bauen laſſen, daß man da traurig ſein ſoll, aber die Welt daneben, daß man luſtig ſein ſoll. Und die Herrſchaften, die zu uns kommen, die wollens auch; ſonſt würden ſie in die Kirche gehn und nicht zu uns.“

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/288>, abgerufen am 23.11.2024.