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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Er kennt die Liebe nicht mehr, aber sein liebebedürftiges
Gemüth schafft sie für andre. Wir kamen überein, daß
er, ohne Schmeichelei, unter uns das Minimum von
Verstand hat, aber wie weiß er den Ueberfluß an
Mangel zu cachiren, daß Jemand, der jetzt durchs
Fenster sähe, doch schwören könnte, er hätte die meiste
Raison. Und Excellenz sehn Sie seine Lippen und
Manchetten, er hat immer noch etwas in petto uns
zu überraschen."

"Nein; er scheint mir melancholisch, weil er die
Laura beim Prinzen nicht anbringen kann."

A propos, St. Real, wie ists mit der junoni¬
schen Gans?"

"Aha der schönen Eitelbach," sagte der Minister.

Der Kammerherr schüttelte den Kopf: "Geben
Sie die Hoffnung auf, meine Herren. Königliche Ho¬
heit exprimirten sich in drastischer Kürze: ich sollte
die Tugend nicht der Versuchung aussetzen. Uebri¬
gens wisse ich ja, daß Sie Gänsebraten nicht liebten."

Glich der muntere Frühstückstisch doch auf Au¬
genblicke einem Secirtisch. Alle Qualitäten derschö¬
nen Frau wurden von Experten zergliedert und ab¬
gewogen, wobei der Witz die leichte Vergleichung mit
den Ingredienzien der Pastete nicht verschmähte. Das
Resultat war, daß man alles in ihr fand, nur keine
Seele, keinen Verstand, und keine Passionen. Ja es
sei Hopfen und Malz verloren, erklärte der Kammer¬
herr, ihr eine Inclination beizubringen. "Es ist nichts
unmöglich," trumpfte Bovillard.

Er kennt die Liebe nicht mehr, aber ſein liebebedürftiges
Gemüth ſchafft ſie für andre. Wir kamen überein, daß
er, ohne Schmeichelei, unter uns das Minimum von
Verſtand hat, aber wie weiß er den Ueberfluß an
Mangel zu cachiren, daß Jemand, der jetzt durchs
Fenſter ſähe, doch ſchwören könnte, er hätte die meiſte
Raiſon. Und Excellenz ſehn Sie ſeine Lippen und
Manchetten, er hat immer noch etwas in petto uns
zu überraſchen.“

„Nein; er ſcheint mir melancholiſch, weil er die
Laura beim Prinzen nicht anbringen kann.“

A propos, St. Real, wie iſts mit der junoni¬
ſchen Gans?“

„Aha der ſchönen Eitelbach,“ ſagte der Miniſter.

Der Kammerherr ſchüttelte den Kopf: „Geben
Sie die Hoffnung auf, meine Herren. Königliche Ho¬
heit exprimirten ſich in draſtiſcher Kürze: ich ſollte
die Tugend nicht der Verſuchung ausſetzen. Uebri¬
gens wiſſe ich ja, daß Sie Gänſebraten nicht liebten.“

Glich der muntere Frühſtückstiſch doch auf Au¬
genblicke einem Secirtiſch. Alle Qualitäten derſchö¬
nen Frau wurden von Experten zergliedert und ab¬
gewogen, wobei der Witz die leichte Vergleichung mit
den Ingredienzien der Paſtete nicht verſchmähte. Das
Reſultat war, daß man alles in ihr fand, nur keine
Seele, keinen Verſtand, und keine Paſſionen. Ja es
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[258/0272] Er kennt die Liebe nicht mehr, aber ſein liebebedürftiges Gemüth ſchafft ſie für andre. Wir kamen überein, daß er, ohne Schmeichelei, unter uns das Minimum von Verſtand hat, aber wie weiß er den Ueberfluß an Mangel zu cachiren, daß Jemand, der jetzt durchs Fenſter ſähe, doch ſchwören könnte, er hätte die meiſte Raiſon. Und Excellenz ſehn Sie ſeine Lippen und Manchetten, er hat immer noch etwas in petto uns zu überraſchen.“ „Nein; er ſcheint mir melancholiſch, weil er die Laura beim Prinzen nicht anbringen kann.“ A propos, St. Real, wie iſts mit der junoni¬ ſchen Gans?“ „Aha der ſchönen Eitelbach,“ ſagte der Miniſter. Der Kammerherr ſchüttelte den Kopf: „Geben Sie die Hoffnung auf, meine Herren. Königliche Ho¬ heit exprimirten ſich in draſtiſcher Kürze: ich ſollte die Tugend nicht der Verſuchung ausſetzen. Uebri¬ gens wiſſe ich ja, daß Sie Gänſebraten nicht liebten.“ Glich der muntere Frühſtückstiſch doch auf Au¬ genblicke einem Secirtiſch. Alle Qualitäten derſchö¬ nen Frau wurden von Experten zergliedert und ab¬ gewogen, wobei der Witz die leichte Vergleichung mit den Ingredienzien der Paſtete nicht verſchmähte. Das Reſultat war, daß man alles in ihr fand, nur keine Seele, keinen Verſtand, und keine Paſſionen. Ja es ſei Hopfen und Malz verloren, erklärte der Kammer¬ herr, ihr eine Inclination beizubringen. „Es iſt nichts unmöglich,“ trumpfte Bovillard.

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/272>, abgerufen am 21.05.2024.