Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben lang 'ne alte Jungfer geblieben wäre, wenn
sie nicht aus ihres Vaters Hause kam."

Der letzte Theil ihrer Rede wurde wohl über¬
hört, denn die jungen Mädchen kamen jetzt zurück.
Sie hatten unter sich ausgemacht, nichts von dem
Abenteuer zu erwähnen. Jülli und Karoline spran¬
gen als wäre nichts vorgefallen, Adelheid ging lang¬
samer und bückte sich oft. Schlug ihr das Gewissen,
daß sie etwas nicht Erlaubtes gethan, oder daß sie
darauf eingegangen, es zu verschweigen? Die Auf¬
forderung, für das Abendessen zu sorgen, war ihr
willkommen. Im Hause schlüpfte sie rasch in die
dunkle Hinterkammer und setzte den Fuß auf den
Schemel, um mit einigen Flachsfäden aus dem
Spinnrocken den Strumpf fest zu binden. War es
die alte Wanduhr oder ihr Herz, das so laut schlug?
Ein heiseres Gelächter schallte plötzlich hinter ihr.
Die Alte hatte sich aufgerichtet, und stierte sie mit
dem unheimlichen Gesichtsausdruck an: "Verloren --
Strumpfband verloren! -- hi! hi! hi! Das bedeutet
was. -- Der's fand, wird sich freuen. Hi, hi, hi!" --
Das junge Mädchen floh, wie vor dem Spottgesang
böser Geister.

Die Satte mit dicker Milch fand kein so frohes
Publikum um sich versammelt als der Milchreis zu
Mittag. Die Kinder waren müde, die jungen Mädchen
in Gedanken, die Aelteren hatten sich ausgesprochen.
Alle drückte die Schwüle des Tages, der zum Abend
geworden.

Leben lang 'ne alte Jungfer geblieben wäre, wenn
ſie nicht aus ihres Vaters Hauſe kam.“

Der letzte Theil ihrer Rede wurde wohl über¬
hört, denn die jungen Mädchen kamen jetzt zurück.
Sie hatten unter ſich ausgemacht, nichts von dem
Abenteuer zu erwähnen. Jülli und Karoline ſpran¬
gen als wäre nichts vorgefallen, Adelheid ging lang¬
ſamer und bückte ſich oft. Schlug ihr das Gewiſſen,
daß ſie etwas nicht Erlaubtes gethan, oder daß ſie
darauf eingegangen, es zu verſchweigen? Die Auf¬
forderung, für das Abendeſſen zu ſorgen, war ihr
willkommen. Im Hauſe ſchlüpfte ſie raſch in die
dunkle Hinterkammer und ſetzte den Fuß auf den
Schemel, um mit einigen Flachsfäden aus dem
Spinnrocken den Strumpf feſt zu binden. War es
die alte Wanduhr oder ihr Herz, das ſo laut ſchlug?
Ein heiſeres Gelächter ſchallte plötzlich hinter ihr.
Die Alte hatte ſich aufgerichtet, und ſtierte ſie mit
dem unheimlichen Geſichtsausdruck an: „Verloren —
Strumpfband verloren! — hi! hi! hi! Das bedeutet
was. — Der's fand, wird ſich freuen. Hi, hi, hi!“ —
Das junge Mädchen floh, wie vor dem Spottgeſang
böſer Geiſter.

Die Satte mit dicker Milch fand kein ſo frohes
Publikum um ſich verſammelt als der Milchreis zu
Mittag. Die Kinder waren müde, die jungen Mädchen
in Gedanken, die Aelteren hatten ſich ausgeſprochen.
Alle drückte die Schwüle des Tages, der zum Abend
geworden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0204" n="190"/>
Leben lang 'ne alte Jungfer geblieben wäre, wenn<lb/>
&#x017F;ie nicht aus ihres Vaters Hau&#x017F;e kam.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der letzte Theil ihrer Rede wurde wohl über¬<lb/>
hört, denn die jungen Mädchen kamen jetzt zurück.<lb/>
Sie hatten unter &#x017F;ich ausgemacht, nichts von dem<lb/>
Abenteuer zu erwähnen. Jülli und Karoline &#x017F;pran¬<lb/>
gen als wäre nichts vorgefallen, Adelheid ging lang¬<lb/>
&#x017F;amer und bückte &#x017F;ich oft. Schlug ihr das Gewi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß &#x017F;ie etwas nicht Erlaubtes gethan, oder daß &#x017F;ie<lb/>
darauf eingegangen, es zu ver&#x017F;chweigen? Die Auf¬<lb/>
forderung, für das Abende&#x017F;&#x017F;en zu &#x017F;orgen, war ihr<lb/>
willkommen. Im Hau&#x017F;e &#x017F;chlüpfte &#x017F;ie ra&#x017F;ch in die<lb/>
dunkle Hinterkammer und &#x017F;etzte den Fuß auf den<lb/>
Schemel, um mit einigen Flachsfäden aus dem<lb/>
Spinnrocken den Strumpf fe&#x017F;t zu binden. War es<lb/>
die alte Wanduhr oder ihr Herz, das &#x017F;o laut &#x017F;chlug?<lb/>
Ein hei&#x017F;eres Gelächter &#x017F;challte plötzlich hinter ihr.<lb/>
Die Alte hatte &#x017F;ich aufgerichtet, und &#x017F;tierte &#x017F;ie mit<lb/>
dem unheimlichen Ge&#x017F;ichtsausdruck an: &#x201E;Verloren &#x2014;<lb/>
Strumpfband verloren! &#x2014; hi! hi! hi! Das bedeutet<lb/>
was. &#x2014; Der's fand, wird &#x017F;ich freuen. Hi, hi, hi!&#x201C; &#x2014;<lb/>
Das junge Mädchen floh, wie vor dem Spottge&#x017F;ang<lb/>&#x017F;er Gei&#x017F;ter.</p><lb/>
        <p>Die Satte mit dicker Milch fand kein &#x017F;o frohes<lb/>
Publikum um &#x017F;ich ver&#x017F;ammelt als der Milchreis zu<lb/>
Mittag. Die Kinder waren müde, die jungen Mädchen<lb/>
in Gedanken, die Aelteren hatten &#x017F;ich ausge&#x017F;prochen.<lb/>
Alle drückte die Schwüle des Tages, der zum Abend<lb/>
geworden.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0204] Leben lang 'ne alte Jungfer geblieben wäre, wenn ſie nicht aus ihres Vaters Hauſe kam.“ Der letzte Theil ihrer Rede wurde wohl über¬ hört, denn die jungen Mädchen kamen jetzt zurück. Sie hatten unter ſich ausgemacht, nichts von dem Abenteuer zu erwähnen. Jülli und Karoline ſpran¬ gen als wäre nichts vorgefallen, Adelheid ging lang¬ ſamer und bückte ſich oft. Schlug ihr das Gewiſſen, daß ſie etwas nicht Erlaubtes gethan, oder daß ſie darauf eingegangen, es zu verſchweigen? Die Auf¬ forderung, für das Abendeſſen zu ſorgen, war ihr willkommen. Im Hauſe ſchlüpfte ſie raſch in die dunkle Hinterkammer und ſetzte den Fuß auf den Schemel, um mit einigen Flachsfäden aus dem Spinnrocken den Strumpf feſt zu binden. War es die alte Wanduhr oder ihr Herz, das ſo laut ſchlug? Ein heiſeres Gelächter ſchallte plötzlich hinter ihr. Die Alte hatte ſich aufgerichtet, und ſtierte ſie mit dem unheimlichen Geſichtsausdruck an: „Verloren — Strumpfband verloren! — hi! hi! hi! Das bedeutet was. — Der's fand, wird ſich freuen. Hi, hi, hi!“ — Das junge Mädchen floh, wie vor dem Spottgeſang böſer Geiſter. Die Satte mit dicker Milch fand kein ſo frohes Publikum um ſich verſammelt als der Milchreis zu Mittag. Die Kinder waren müde, die jungen Mädchen in Gedanken, die Aelteren hatten ſich ausgeſprochen. Alle drückte die Schwüle des Tages, der zum Abend geworden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/204
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/204>, abgerufen am 05.05.2024.