Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

unangenehm wäre. Wir wurden unterbrochen. Meine
Feder und mein Wille stehen zu Ihrer Disposition."

Bovillard setzte sich halb auf den Tisch, indem
er vertraulich den Arm auf die Schulter des Rathes
legte; die Runzeln seines Gesichtes verzogen sich in
ein wohlgefälliges Lächeln:

"Mich hat seit lange kein Brief so erquickt!"

"Lombard muß wichtiges berichtet haben, be¬
merkte der Beamte. Nach den Aeußerungen des
Herrn Geheimeraths gestern zu mehreren Geschäfts¬
männern herrscht unter den Kaufleuten eine sehr
frohe Stimmung."

"Dürfte ich Ihnen den Brief zeigen! Bonaparte
hat ihn empfangen nicht wie einen Abgesandten, sondern
wie einen alten lieben Bekannten, den er endlich von
Angesicht zu Angesicht sieht. Er saß auf dem Sopha
und las. Was denken Sie? Den Ossian. Nachdem
er Lombard die Hand gereicht, recitirte er ihm eine
Stelle voll der tiefsten Empfindung für Menschenwohl.
Er fragte ihn, ob er Ossians Gefühle theile? Lombard
war nicht ganz vertraut, da las er ihm selbst die
Scene vor, wo Malvine im Mondenschein über das
Schlachtfeld eilt, und süße Betrachtungen ausgießt
darüber, daß Mord und Schlachten die Geschicke der
Menschheit reguliren. Bonaparte schlug das Buch
zu und wandte sich schnell ab, um seine eigene Be¬
wegung zu verbergen. Und diesen Mann gefallen sich
unsere Fanatiker einen Blutmenschen zu nennen! Wer
gebietet der Parteienwuth! Das warf auch Bonaparte

unangenehm wäre. Wir wurden unterbrochen. Meine
Feder und mein Wille ſtehen zu Ihrer Dispoſition.“

Bovillard ſetzte ſich halb auf den Tiſch, indem
er vertraulich den Arm auf die Schulter des Rathes
legte; die Runzeln ſeines Geſichtes verzogen ſich in
ein wohlgefälliges Lächeln:

„Mich hat ſeit lange kein Brief ſo erquickt!“

„Lombard muß wichtiges berichtet haben, be¬
merkte der Beamte. Nach den Aeußerungen des
Herrn Geheimeraths geſtern zu mehreren Geſchäfts¬
männern herrſcht unter den Kaufleuten eine ſehr
frohe Stimmung.“

„Dürfte ich Ihnen den Brief zeigen! Bonaparte
hat ihn empfangen nicht wie einen Abgeſandten, ſondern
wie einen alten lieben Bekannten, den er endlich von
Angeſicht zu Angeſicht ſieht. Er ſaß auf dem Sopha
und las. Was denken Sie? Den Oſſian. Nachdem
er Lombard die Hand gereicht, recitirte er ihm eine
Stelle voll der tiefſten Empfindung für Menſchenwohl.
Er fragte ihn, ob er Oſſians Gefühle theile? Lombard
war nicht ganz vertraut, da las er ihm ſelbſt die
Scene vor, wo Malvine im Mondenſchein über das
Schlachtfeld eilt, und ſüße Betrachtungen ausgießt
darüber, daß Mord und Schlachten die Geſchicke der
Menſchheit reguliren. Bonaparte ſchlug das Buch
zu und wandte ſich ſchnell ab, um ſeine eigene Be¬
wegung zu verbergen. Und dieſen Mann gefallen ſich
unſere Fanatiker einen Blutmenſchen zu nennen! Wer
gebietet der Parteienwuth! Das warf auch Bonaparte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="87"/>
unangenehm wäre. Wir wurden unterbrochen. Meine<lb/>
Feder und mein Wille &#x017F;tehen zu Ihrer Dispo&#x017F;ition.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Bovillard &#x017F;etzte &#x017F;ich halb auf den Ti&#x017F;ch, indem<lb/>
er vertraulich den Arm auf die Schulter des Rathes<lb/>
legte; die Runzeln &#x017F;eines Ge&#x017F;ichtes verzogen &#x017F;ich in<lb/>
ein wohlgefälliges Lächeln:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mich hat &#x017F;eit lange kein Brief &#x017F;o erquickt!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Lombard muß wichtiges berichtet haben, be¬<lb/>
merkte der Beamte. Nach den Aeußerungen des<lb/>
Herrn Geheimeraths ge&#x017F;tern zu mehreren Ge&#x017F;chäfts¬<lb/>
männern herr&#x017F;cht unter den Kaufleuten eine &#x017F;ehr<lb/>
frohe Stimmung.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dürfte ich Ihnen den Brief zeigen! Bonaparte<lb/>
hat ihn empfangen nicht wie einen Abge&#x017F;andten, &#x017F;ondern<lb/>
wie einen alten lieben Bekannten, den er endlich von<lb/>
Ange&#x017F;icht zu Ange&#x017F;icht &#x017F;ieht. Er &#x017F;aß auf dem Sopha<lb/>
und las. Was denken Sie? Den O&#x017F;&#x017F;ian. Nachdem<lb/>
er Lombard die Hand gereicht, recitirte er ihm eine<lb/>
Stelle voll der tief&#x017F;ten Empfindung für Men&#x017F;chenwohl.<lb/>
Er fragte ihn, ob er O&#x017F;&#x017F;ians Gefühle theile? Lombard<lb/>
war nicht ganz vertraut, da las er ihm &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Scene vor, wo Malvine im Monden&#x017F;chein über das<lb/>
Schlachtfeld eilt, und &#x017F;üße Betrachtungen ausgießt<lb/>
darüber, daß Mord und Schlachten die Ge&#x017F;chicke der<lb/>
Men&#x017F;chheit reguliren. Bonaparte &#x017F;chlug das Buch<lb/>
zu und wandte &#x017F;ich &#x017F;chnell ab, um &#x017F;eine eigene Be¬<lb/>
wegung zu verbergen. Und die&#x017F;en Mann gefallen &#x017F;ich<lb/>
un&#x017F;ere Fanatiker einen Blutmen&#x017F;chen zu nennen! Wer<lb/>
gebietet der Parteienwuth! Das warf auch Bonaparte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0101] unangenehm wäre. Wir wurden unterbrochen. Meine Feder und mein Wille ſtehen zu Ihrer Dispoſition.“ Bovillard ſetzte ſich halb auf den Tiſch, indem er vertraulich den Arm auf die Schulter des Rathes legte; die Runzeln ſeines Geſichtes verzogen ſich in ein wohlgefälliges Lächeln: „Mich hat ſeit lange kein Brief ſo erquickt!“ „Lombard muß wichtiges berichtet haben, be¬ merkte der Beamte. Nach den Aeußerungen des Herrn Geheimeraths geſtern zu mehreren Geſchäfts¬ männern herrſcht unter den Kaufleuten eine ſehr frohe Stimmung.“ „Dürfte ich Ihnen den Brief zeigen! Bonaparte hat ihn empfangen nicht wie einen Abgeſandten, ſondern wie einen alten lieben Bekannten, den er endlich von Angeſicht zu Angeſicht ſieht. Er ſaß auf dem Sopha und las. Was denken Sie? Den Oſſian. Nachdem er Lombard die Hand gereicht, recitirte er ihm eine Stelle voll der tiefſten Empfindung für Menſchenwohl. Er fragte ihn, ob er Oſſians Gefühle theile? Lombard war nicht ganz vertraut, da las er ihm ſelbſt die Scene vor, wo Malvine im Mondenſchein über das Schlachtfeld eilt, und ſüße Betrachtungen ausgießt darüber, daß Mord und Schlachten die Geſchicke der Menſchheit reguliren. Bonaparte ſchlug das Buch zu und wandte ſich ſchnell ab, um ſeine eigene Be¬ wegung zu verbergen. Und dieſen Mann gefallen ſich unſere Fanatiker einen Blutmenſchen zu nennen! Wer gebietet der Parteienwuth! Das warf auch Bonaparte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/101
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/101>, abgerufen am 06.05.2024.