Der Geheimrath blieb einen Augenblick stehen: "Ich besorge, daß Excellenz an jenem Abend Ihr Herz zu weit aufgeschlossen haben. Die Jenny war ein pfiffiges Ding."
"Ich wüßte doch nicht --"
"Das glaube ich gern. Der Champagner bei Rietz war immer premiere qualite. Aber erinnern sich Excellenz, daß damals die hannöversche Geschichte spielte -- man schickte einen Courier nach, um eine gewisse Depeche coaute que coaute zurückzuholen. Die Jenny, wenn sie noch lebt, wird das freilich längst vergessen haben, aber -- "
"Wem könnte ich sonst --"
"Nicht Excellenz, aber die Jenny. Als Sie nach Hause fuhren, stahl sich Lupinus zu ihr. Ich bin nicht bei ihrer Entrevue gewesen, noch habe ich, Gott bewahre, mein Ohr ans Schlüsselloch gelegt, aber ich weiß nur, daß auch sie von allen beengenden Rücksichten sich frei, sich wieder in der Natur fühlte, dem Ursprünglichen näher gerückt, daß sie ihr Herz auch aufschloß -- "
"Dem Lupinus! Pfui!"
"Der Schwesterkuß drückt das Siegel der edlen Gleichheit Allen auf. Ich will auch nicht verschwören, daß nicht die undankbare Schelmin Ew. Excellenz etwas raillirt hat. Der Sillery hatte sie wie gesagt auch animirt, und statt die Mysterien der süßen Stunde in ihrer Brust zu verschließen, machte sie sich über den Minister lustig, der ihr zu Füßen ge¬ stürzt, ihre Knie umfaßt, und geschworen hatte, vor
Der Geheimrath blieb einen Augenblick ſtehen: „Ich beſorge, daß Excellenz an jenem Abend Ihr Herz zu weit aufgeſchloſſen haben. Die Jenny war ein pfiffiges Ding.“
„Ich wüßte doch nicht —“
„Das glaube ich gern. Der Champagner bei Rietz war immer première qualité. Aber erinnern ſich Excellenz, daß damals die hannöverſche Geſchichte ſpielte — man ſchickte einen Courier nach, um eine gewiſſe Depeche coûte que coûte zurückzuholen. Die Jenny, wenn ſie noch lebt, wird das freilich längſt vergeſſen haben, aber — “
„Wem könnte ich ſonſt —“
„Nicht Excellenz, aber die Jenny. Als Sie nach Hauſe fuhren, ſtahl ſich Lupinus zu ihr. Ich bin nicht bei ihrer Entrevue geweſen, noch habe ich, Gott bewahre, mein Ohr ans Schlüſſelloch gelegt, aber ich weiß nur, daß auch ſie von allen beengenden Rückſichten ſich frei, ſich wieder in der Natur fühlte, dem Urſprünglichen näher gerückt, daß ſie ihr Herz auch aufſchloß — “
„Dem Lupinus! Pfui!“
„Der Schweſterkuß drückt das Siegel der edlen Gleichheit Allen auf. Ich will auch nicht verſchwören, daß nicht die undankbare Schelmin Ew. Excellenz etwas raillirt hat. Der Sillery hatte ſie wie geſagt auch animirt, und ſtatt die Myſterien der ſüßen Stunde in ihrer Bruſt zu verſchließen, machte ſie ſich über den Miniſter luſtig, der ihr zu Füßen ge¬ ſtürzt, ihre Knie umfaßt, und geſchworen hatte, vor
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Der Geheimrath blieb einen Augenblick ſtehen:
„Ich beſorge, daß Excellenz an jenem Abend Ihr
Herz zu weit aufgeſchloſſen haben. Die Jenny war
ein pfiffiges Ding.“
„Ich wüßte doch nicht —“
„Das glaube ich gern. Der Champagner bei Rietz
war immer première qualité. Aber erinnern ſich Excellenz,
daß damals die hannöverſche Geſchichte ſpielte — man
ſchickte einen Courier nach, um eine gewiſſe Depeche coûte
que coûte zurückzuholen. Die Jenny, wenn ſie noch
lebt, wird das freilich längſt vergeſſen haben, aber — “
„Wem könnte ich ſonſt —“
„Nicht Excellenz, aber die Jenny. Als Sie nach
Hauſe fuhren, ſtahl ſich Lupinus zu ihr. Ich bin
nicht bei ihrer Entrevue geweſen, noch habe ich,
Gott bewahre, mein Ohr ans Schlüſſelloch gelegt,
aber ich weiß nur, daß auch ſie von allen beengenden
Rückſichten ſich frei, ſich wieder in der Natur fühlte,
dem Urſprünglichen näher gerückt, daß ſie ihr Herz
auch aufſchloß — “
„Dem Lupinus! Pfui!“
„Der Schweſterkuß drückt das Siegel der edlen
Gleichheit Allen auf. Ich will auch nicht verſchwören,
daß nicht die undankbare Schelmin Ew. Excellenz
etwas raillirt hat. Der Sillery hatte ſie wie geſagt
auch animirt, und ſtatt die Myſterien der ſüßen
Stunde in ihrer Bruſt zu verſchließen, machte ſie
ſich über den Miniſter luſtig, der ihr zu Füßen ge¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/253>, abgerufen am 24.02.2025.
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