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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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Prozeß zu ermöglichen, da sich zu der Krankheitseinsicht für viele Fälle
noch die Feststellung einer Organminderwertigkeit gesellt, aus deren
Art und Intensität sich Schlüsse ergeben, die dem Bereiche der Ätio-
logie, Symptomatologie und Therapie zugute kommen. Es ist weiterhin
klar, daß der heute arg gefährdeten individualisierenden Betrachtung
am Krankenbett, dies gilt insbesondere für die Infektionskrankheiten,
neue Hilfsquellen erschlossen werden. Die endemische und epidemische
Ausbreitung von Infektionen kann ich nicht als ernstliches Argument
gegen die Organ-Minderwertigkeitslehre gelten lassen. Sie beweist viel-
mehr nur die relative Minderwertigkeit unserer gegenwärtigen Organ-
zellen im Kampfe gegen die Mikroorganismen. Dagegen fügt sich die
Prognose, Therapie und vor allem die Lehre von den Krankheitskom-
plikationen, Sekundärerkrankungen und Nachkrankheiten auch in diesen
Fällen den Normen der Minderwertigkeitslehre. Die Berücksichtigung
der Organminderwertigkeit wird in allen diesen Fragen eine größere
Sicherheit geben, je besser wir in der Lage sein werden, die Rela-
tionen der Minderwertigkeit zu begreifen. Der Verlauf einer Diphtherie
hängt sicherlich in erster Linie ab von der antitoxischen Wehrfähig-
keit des Organismus, von der aktiven oder passiven Immunisierung.
Aber die Wertigkeit von Herz, Niere und Atmungsapparat kommen für
die Entscheidung gleichfalls in Betracht.

Die Minderwertigkeit eines Organes braucht sich übrigens das
ganze Leben hindurch nicht zu äußern. Oder die Äußerung bleibt so geringfügig, daß man kaum daran denkt, ein minderwertiges Organ vor sich
zu haben. Oder sie drückt sich in morphologischer Anomalie und zuweilen
auch da nur so dürftig aus, daß der Bestand des Individuums nicht in
Frage gestellt wird. Auch geringe Abweichungen, zuweilen in den pri-
mitivsten Funktionen, können das Ganze der Minderwertigkeit vor-
stellen, die ein andermal wieder zu Erkrankung und Tod des Trägers
führen kann. Ein bedeutsames Licht werfen auf das Wesen der Organ-
minderwertigkeit die häufige Erscheinung der mehrfachen Minderwertig-
keiten an den Organen einer Person und die damit zusammenhängende
Rolle des Gehirnes und Rückenmarkes, welche nicht selten kompen-
satorisch eintreten und den vorhandenen Defekt decken oder zu einem
besonderen Nutzeffekt gestalten. Wir werden im folgenden also einer
Besprechung zu unterziehen haben:

I. Heredität.
II. Anamnestische Hinweise.
III. Morphologische Kennzeichen.
IV. Reflexanomalien als Minderwertigkeitszeichen.

Prozeß zu ermöglichen, da sich zu der Krankheitseinsicht für viele Fälle
noch die Feststellung einer Organminderwertigkeit gesellt, aus deren
Art und Intensität sich Schlüsse ergeben, die dem Bereiche der Ätio-
logie, Symptomatologie und Therapie zugute kommen. Es ist weiterhin
klar, daß der heute arg gefährdeten individualisierenden Betrachtung
am Krankenbett, dies gilt insbesondere für die Infektionskrankheiten,
neue Hilfsquellen erschlossen werden. Die endemische und epidemische
Ausbreitung von Infektionen kann ich nicht als ernstliches Argument
gegen die Organ-Minderwertigkeitslehre gelten lassen. Sie beweist viel-
mehr nur die relative Minderwertigkeit unserer gegenwärtigen Organ-
zellen im Kampfe gegen die Mikroorganismen. Dagegen fügt sich die
Prognose, Therapie und vor allem die Lehre von den Krankheitskom-
plikationen, Sekundärerkrankungen und Nachkrankheiten auch in diesen
Fällen den Normen der Minderwertigkeitslehre. Die Berücksichtigung
der Organminderwertigkeit wird in allen diesen Fragen eine größere
Sicherheit geben, je besser wir in der Lage sein werden, die Rela-
tionen der Minderwertigkeit zu begreifen. Der Verlauf einer Diphtherie
hängt sicherlich in erster Linie ab von der antitoxischen Wehrfähig-
keit des Organismus, von der aktiven oder passiven Immunisierung.
Aber die Wertigkeit von Herz, Niere und Atmungsapparat kommen für
die Entscheidung gleichfalls in Betracht.

Die Minderwertigkeit eines Organes braucht sich übrigens das
ganze Leben hindurch nicht zu äußern. Oder die Äußerung bleibt so geringfügig, daß man kaum daran denkt, ein minderwertiges Organ vor sich
zu haben. Oder sie drückt sich in morphologischer Anomalie und zuweilen
auch da nur so dürftig aus, daß der Bestand des Individuums nicht in
Frage gestellt wird. Auch geringe Abweichungen, zuweilen in den pri-
mitivsten Funktionen, können das Ganze der Minderwertigkeit vor-
stellen, die ein andermal wieder zu Erkrankung und Tod des Trägers
führen kann. Ein bedeutsames Licht werfen auf das Wesen der Organ-
minderwertigkeit die häufige Erscheinung der mehrfachen Minderwertig-
keiten an den Organen einer Person und die damit zusammenhängende
Rolle des Gehirnes und Rückenmarkes, welche nicht selten kompen-
satorisch eintreten und den vorhandenen Defekt decken oder zu einem
besonderen Nutzeffekt gestalten. Wir werden im folgenden also einer
Besprechung zu unterziehen haben:

I. Heredität.
II. Anamnestische Hinweise.
III. Morphologische Kennzeichen.
IV. Reflexanomalien als Minderwertigkeitszeichen.
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[16/0028] Prozeß zu ermöglichen, da sich zu der Krankheitseinsicht für viele Fälle noch die Feststellung einer Organminderwertigkeit gesellt, aus deren Art und Intensität sich Schlüsse ergeben, die dem Bereiche der Ätio- logie, Symptomatologie und Therapie zugute kommen. Es ist weiterhin klar, daß der heute arg gefährdeten individualisierenden Betrachtung am Krankenbett, dies gilt insbesondere für die Infektionskrankheiten, neue Hilfsquellen erschlossen werden. Die endemische und epidemische Ausbreitung von Infektionen kann ich nicht als ernstliches Argument gegen die Organ-Minderwertigkeitslehre gelten lassen. Sie beweist viel- mehr nur die relative Minderwertigkeit unserer gegenwärtigen Organ- zellen im Kampfe gegen die Mikroorganismen. Dagegen fügt sich die Prognose, Therapie und vor allem die Lehre von den Krankheitskom- plikationen, Sekundärerkrankungen und Nachkrankheiten auch in diesen Fällen den Normen der Minderwertigkeitslehre. Die Berücksichtigung der Organminderwertigkeit wird in allen diesen Fragen eine größere Sicherheit geben, je besser wir in der Lage sein werden, die Rela- tionen der Minderwertigkeit zu begreifen. Der Verlauf einer Diphtherie hängt sicherlich in erster Linie ab von der antitoxischen Wehrfähig- keit des Organismus, von der aktiven oder passiven Immunisierung. Aber die Wertigkeit von Herz, Niere und Atmungsapparat kommen für die Entscheidung gleichfalls in Betracht. Die Minderwertigkeit eines Organes braucht sich übrigens das ganze Leben hindurch nicht zu äußern. Oder die Äußerung bleibt so geringfügig, daß man kaum daran denkt, ein minderwertiges Organ vor sich zu haben. Oder sie drückt sich in morphologischer Anomalie und zuweilen auch da nur so dürftig aus, daß der Bestand des Individuums nicht in Frage gestellt wird. Auch geringe Abweichungen, zuweilen in den pri- mitivsten Funktionen, können das Ganze der Minderwertigkeit vor- stellen, die ein andermal wieder zu Erkrankung und Tod des Trägers führen kann. Ein bedeutsames Licht werfen auf das Wesen der Organ- minderwertigkeit die häufige Erscheinung der mehrfachen Minderwertig- keiten an den Organen einer Person und die damit zusammenhängende Rolle des Gehirnes und Rückenmarkes, welche nicht selten kompen- satorisch eintreten und den vorhandenen Defekt decken oder zu einem besonderen Nutzeffekt gestalten. Wir werden im folgenden also einer Besprechung zu unterziehen haben: I. Heredität. II. Anamnestische Hinweise. III. Morphologische Kennzeichen. IV. Reflexanomalien als Minderwertigkeitszeichen.

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/28>, abgerufen am 27.11.2024.