Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.Anatomie decken nicht immer die vorgefundenen Krankheitserscheinungen, Von der Tatsache des Wachstumsüberschusses minderwertiger Anatomie decken nicht immer die vorgefundenen Krankheitserscheinungen, Von der Tatsache des Wachstumsüberschusses minderwertiger <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0026" n="14"/> Anatomie decken nicht immer die vorgefundenen Krankheitserscheinungen,<lb/> da sie Veränderungen nachweisen, während die Klinik oft den Aus-<lb/> druck von Relationen zu beurteilen hat. Manche „Fehldiagnosen“,<lb/> manche Erfolglosigkeiten der Therapie wurzeln in diesen nicht völlig<lb/> geklärten Beziehungen. Sicherlich kann auch eine vereinzelte Minder-<lb/> wertigkeit, zum Beispiel der Niere, in Erscheinung treten und ihre<lb/> Symptomatologie schaffen auf Grund einer mechanischen oder sonstigen<lb/> Korrelation der Organe. Vor allem ist dabei an konsekutive Erkran-<lb/> kungen des Herzens, der Haut, des Auges und des Verdauungstraktes<lb/> zu denken, für deren Zusammenhang mit Nierenaffektionen die Patho-<lb/> logie genügende Belege bietet. Andrerseits aber muß hervorgehoben<lb/> werden, daß manche dieser konsekutiven Erkrankungen Kompensations-<lb/> erscheinungen auf minderwertigem Boden oder „Reaktionserkrankungen“<lb/> in anderen minderwertigen Organen sind, wie der Fall L. Z. im Anhang<lb/> beweist. Aus dem ganzen Ensemble der Minderwertigkeit drängt sich<lb/> der Gedanke auf, daß normale Organe weniger durch Hypertrophie<lb/> und mehr durch Hyperfunktion kompensieren. Je minderwertiger dagegen<lb/> ein Organ gestaltet ist, je weniger seine funktionelle Ausbildung ge-<lb/> lungen ist, um so eher wird es auf Reize allerlei Art mit Wachstums-<lb/> überschuß reagieren.</p><lb/> <p>Von der Tatsache des Wachstumsüberschusses minderwertiger<lb/> Organe bis zur Annahme der <hi rendition="#g">Entstehung der Neoplasmen</hi> in<lb/> solchen ist nur ein Schritt. Dieser erscheint uns gerechtfertigt, wenn<lb/> wir das familiäre Auftreten, die anamnestischen Details, ihr Auftreten<lb/> an oder neben primär minderwertigen Organen gehörig ins Auge fassen.<lb/> Ob für einzelne der Neubildungen Parasiten in Betracht kommen, muß<lb/> ich dahingestellt sein lassen, halte aber ihre Rolle nicht für ausschlag-<lb/> gebend. Besonders die anamnestischen Daten sprechen für die Annahme,<lb/> daß Neoplasmen nur in minderwertigen Organen entstehen. Ich konnte<lb/> mich in meinen Fällen stets überzeugen, auch die Literatur bietet genug<lb/> Belege, daß der Entwicklung des Karzinoms durch eine Reihe von<lb/> Jahren funktionelle Störungen oder anderweitige Erkrankungen des<lb/> Organes vorangehen, nicht selten solche neurotischer Natur. Die Auf-<lb/> fassung eines ursächlichen Zusammenhanges von Lupus, chronischen<lb/> Katarrhen, Entzündungen, Hämorrhagien oder Mikroorganismen mit der<lb/> Entstehung eines Karzinoms läßt regelmäßig das kausale Moment un-<lb/> erwiesen. Nach unserer Auffassung charakterisieren sich alle diese<lb/> vermeintlich „ätiologischen“ Affektionen in gleicher Weise wie das<lb/> Neoplasma als Äußerungen der Minderwertigkeit des erkrankten Or-<lb/> ganes. Dasselbe gilt auch für die Entstehung von Neoplasmen aus Nävis,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [14/0026]
Anatomie decken nicht immer die vorgefundenen Krankheitserscheinungen,
da sie Veränderungen nachweisen, während die Klinik oft den Aus-
druck von Relationen zu beurteilen hat. Manche „Fehldiagnosen“,
manche Erfolglosigkeiten der Therapie wurzeln in diesen nicht völlig
geklärten Beziehungen. Sicherlich kann auch eine vereinzelte Minder-
wertigkeit, zum Beispiel der Niere, in Erscheinung treten und ihre
Symptomatologie schaffen auf Grund einer mechanischen oder sonstigen
Korrelation der Organe. Vor allem ist dabei an konsekutive Erkran-
kungen des Herzens, der Haut, des Auges und des Verdauungstraktes
zu denken, für deren Zusammenhang mit Nierenaffektionen die Patho-
logie genügende Belege bietet. Andrerseits aber muß hervorgehoben
werden, daß manche dieser konsekutiven Erkrankungen Kompensations-
erscheinungen auf minderwertigem Boden oder „Reaktionserkrankungen“
in anderen minderwertigen Organen sind, wie der Fall L. Z. im Anhang
beweist. Aus dem ganzen Ensemble der Minderwertigkeit drängt sich
der Gedanke auf, daß normale Organe weniger durch Hypertrophie
und mehr durch Hyperfunktion kompensieren. Je minderwertiger dagegen
ein Organ gestaltet ist, je weniger seine funktionelle Ausbildung ge-
lungen ist, um so eher wird es auf Reize allerlei Art mit Wachstums-
überschuß reagieren.
Von der Tatsache des Wachstumsüberschusses minderwertiger
Organe bis zur Annahme der Entstehung der Neoplasmen in
solchen ist nur ein Schritt. Dieser erscheint uns gerechtfertigt, wenn
wir das familiäre Auftreten, die anamnestischen Details, ihr Auftreten
an oder neben primär minderwertigen Organen gehörig ins Auge fassen.
Ob für einzelne der Neubildungen Parasiten in Betracht kommen, muß
ich dahingestellt sein lassen, halte aber ihre Rolle nicht für ausschlag-
gebend. Besonders die anamnestischen Daten sprechen für die Annahme,
daß Neoplasmen nur in minderwertigen Organen entstehen. Ich konnte
mich in meinen Fällen stets überzeugen, auch die Literatur bietet genug
Belege, daß der Entwicklung des Karzinoms durch eine Reihe von
Jahren funktionelle Störungen oder anderweitige Erkrankungen des
Organes vorangehen, nicht selten solche neurotischer Natur. Die Auf-
fassung eines ursächlichen Zusammenhanges von Lupus, chronischen
Katarrhen, Entzündungen, Hämorrhagien oder Mikroorganismen mit der
Entstehung eines Karzinoms läßt regelmäßig das kausale Moment un-
erwiesen. Nach unserer Auffassung charakterisieren sich alle diese
vermeintlich „ätiologischen“ Affektionen in gleicher Weise wie das
Neoplasma als Äußerungen der Minderwertigkeit des erkrankten Or-
ganes. Dasselbe gilt auch für die Entstehung von Neoplasmen aus Nävis,
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