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Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.

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ihre eigene musikalische Ausbildung und die ihrer Brüder dort bot. Theroigne hatte keine Ahnung, dass der alte Mann böse Absichten habe und entschloss sich zu der Reise nach Italien. Dort erst erfuhr sie den Inhalt des Kontraktes, worin sie sich auch verpflichtet hatte auf dem Theater zu singen, etwas, wozu sie durchaus keine Neigung hatte, da die Theatersängerinnen damals sehr wenig Achtung genossen. Auch die Summe, die sie für den Unterricht hätte zahlen sollen, war viel höher veranschlagt. Aber der schlaue Betrüger hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Theroigne wandte sich an einen Rechtsfreund und entledigte sich bald des unehrlichen, zudringlichen Menschen.

Nun stand sie wieder unschlüssig da, sie wusste nicht, sollte sie nach Rom, nach London oder in die Heimat. Zur Ordnung ihrer Privatangelegenheiten hätte sie nach Paris gehen sollen. Mittlerweile war die Kunde zu ihr gedrungen, dass die Nationalversammlung zu tagen begonnen hatte. Sie beschloss sogleich, durch Frankreich zu reisen, um Zeuge eines so grossen Schauspieles zu sein.

Anfangs lebte sie in Paris völlig zurückgezogen. Sie beschäftigte sich mit Musik, und den Rest ihrer Zeit wandte sie an die Lektüre der Tagesblätter, deren politischen Inhalt, wie sie selbst bescheiden zugibt, nicht recht verstand. Trotzdem sie keinen Begriff von den Rechten des Volkes hatte, liebte sie die Freiheit ganz natürlich. Ein Instinkt, ein lebhaftes Gefühl, das sie sich selbst nicht recht deuten konnte, liess sie die Revolution gutheissen; denn die Kenntnisse mangelten ihr völlig und nur nach und nach konnte sie sich ein eigenes Urteil bilden, indem sie die Nationalversammlung regelmässig besuchte.

Ueber die Belagerung der Bastille erzählt sie selbst folgendes: "Ich war im Palais Royal, als man die Nachricht brachte, die Bastille sei erstürmt. Bei allen Anwesenden zeigte sich unmittelbare lebhafte Befriedigung, viele weinten aus Freude, indem sie riefen, es gebe keine Bastille, keine

ihre eigene musikalische Ausbildung und die ihrer Brüder dort bot. Théroigne hatte keine Ahnung, dass der alte Mann böse Absichten habe und entschloss sich zu der Reise nach Italien. Dort erst erfuhr sie den Inhalt des Kontraktes, worin sie sich auch verpflichtet hatte auf dem Theater zu singen, etwas, wozu sie durchaus keine Neigung hatte, da die Theatersängerinnen damals sehr wenig Achtung genossen. Auch die Summe, die sie für den Unterricht hätte zahlen sollen, war viel höher veranschlagt. Aber der schlaue Betrüger hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Théroigne wandte sich an einen Rechtsfreund und entledigte sich bald des unehrlichen, zudringlichen Menschen.

Nun stand sie wieder unschlüssig da, sie wusste nicht, sollte sie nach Rom, nach London oder in die Heimat. Zur Ordnung ihrer Privatangelegenheiten hätte sie nach Paris gehen sollen. Mittlerweile war die Kunde zu ihr gedrungen, dass die Nationalversammlung zu tagen begonnen hatte. Sie beschloss sogleich, durch Frankreich zu reisen, um Zeuge eines so grossen Schauspieles zu sein.

Anfangs lebte sie in Paris völlig zurückgezogen. Sie beschäftigte sich mit Musik, und den Rest ihrer Zeit wandte sie an die Lektüre der Tagesblätter, deren politischen Inhalt, wie sie selbst bescheiden zugibt, nicht recht verstand. Trotzdem sie keinen Begriff von den Rechten des Volkes hatte, liebte sie die Freiheit ganz natürlich. Ein Instinkt, ein lebhaftes Gefühl, das sie sich selbst nicht recht deuten konnte, liess sie die Revolution gutheissen; denn die Kenntnisse mangelten ihr völlig und nur nach und nach konnte sie sich ein eigenes Urteil bilden, indem sie die Nationalversammlung regelmässig besuchte.

Ueber die Belagerung der Bastille erzählt sie selbst folgendes: „Ich war im Palais Royal, als man die Nachricht brachte, die Bastille sei erstürmt. Bei allen Anwesenden zeigte sich unmittelbare lebhafte Befriedigung, viele weinten aus Freude, indem sie riefen, es gebe keine Bastille, keine

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        <p>Anfangs lebte sie in Paris völlig zurückgezogen. Sie beschäftigte sich mit Musik, und den Rest ihrer Zeit wandte sie an die Lektüre der Tagesblätter, deren politischen Inhalt, wie sie selbst bescheiden zugibt, nicht recht verstand. Trotzdem sie keinen Begriff von den Rechten des Volkes hatte, liebte sie die Freiheit ganz natürlich. Ein Instinkt, ein lebhaftes Gefühl, das sie sich selbst nicht recht deuten konnte, liess sie die Revolution gutheissen; denn die Kenntnisse mangelten ihr völlig und nur nach und nach konnte sie sich ein eigenes Urteil bilden, indem sie die Nationalversammlung regelmässig besuchte.</p>
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[16/0033] ihre eigene musikalische Ausbildung und die ihrer Brüder dort bot. Théroigne hatte keine Ahnung, dass der alte Mann böse Absichten habe und entschloss sich zu der Reise nach Italien. Dort erst erfuhr sie den Inhalt des Kontraktes, worin sie sich auch verpflichtet hatte auf dem Theater zu singen, etwas, wozu sie durchaus keine Neigung hatte, da die Theatersängerinnen damals sehr wenig Achtung genossen. Auch die Summe, die sie für den Unterricht hätte zahlen sollen, war viel höher veranschlagt. Aber der schlaue Betrüger hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Théroigne wandte sich an einen Rechtsfreund und entledigte sich bald des unehrlichen, zudringlichen Menschen. Nun stand sie wieder unschlüssig da, sie wusste nicht, sollte sie nach Rom, nach London oder in die Heimat. Zur Ordnung ihrer Privatangelegenheiten hätte sie nach Paris gehen sollen. Mittlerweile war die Kunde zu ihr gedrungen, dass die Nationalversammlung zu tagen begonnen hatte. Sie beschloss sogleich, durch Frankreich zu reisen, um Zeuge eines so grossen Schauspieles zu sein. Anfangs lebte sie in Paris völlig zurückgezogen. Sie beschäftigte sich mit Musik, und den Rest ihrer Zeit wandte sie an die Lektüre der Tagesblätter, deren politischen Inhalt, wie sie selbst bescheiden zugibt, nicht recht verstand. Trotzdem sie keinen Begriff von den Rechten des Volkes hatte, liebte sie die Freiheit ganz natürlich. Ein Instinkt, ein lebhaftes Gefühl, das sie sich selbst nicht recht deuten konnte, liess sie die Revolution gutheissen; denn die Kenntnisse mangelten ihr völlig und nur nach und nach konnte sie sich ein eigenes Urteil bilden, indem sie die Nationalversammlung regelmässig besuchte. Ueber die Belagerung der Bastille erzählt sie selbst folgendes: „Ich war im Palais Royal, als man die Nachricht brachte, die Bastille sei erstürmt. Bei allen Anwesenden zeigte sich unmittelbare lebhafte Befriedigung, viele weinten aus Freude, indem sie riefen, es gebe keine Bastille, keine

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Zitationshilfe: Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/33>, abgerufen am 19.04.2024.