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Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.

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überallhin wo sie Leute vermutete, die sich für Latudes Schicksal interessieren könnten, sie hungerte, sie liess das Brot alt werden, damit sie nicht zu viel davon zu essen Lust bekomme; viele wollten ihr Unternehmen durch Geldspenden erleichtern, aber sie war nie dazu zu bewegen, auch nur das geringste anzunehmen. Ihr Mann, ein Lehrer der fremden Sprachen, brachte sich selbst sehr kümmerlich fort, doch hinderte er niemals seine Frau, das einmal begonnene Liebeswerk zu vollenden. Man bewunderte Madame Legros Ausdauer, man staunte über ihre Geschicklichkeit, die vielen Wege, die in die entgegengesetztesten Richtungen führten, oft in einem Tag zu bewältigen, dabei die Nacht nur zum kleinsten Teil zur Ruhe zu benützen. Sie arbeitete nicht allein für ihren Unterhalt, sondern sie setzte eine Ehre darein, die kleinen Schulden, die ihr Vater hinterlassen hatte, bei Heller und Pfennig zu begleichen. Sie ertrug diese ehrenhafte und ruhmvolle Dürftigkeit mit stoischer Ruhe. Latude empfand es unsagbar bitter, dass er ihr, die alles für seine Befreiung geopfert hatte, nichts zu bieten vermochte.

Madame Legros war diese drei Jahre, die bis zu Latudes Befreiung verstrichen, immer in Aufregung, immer in einer Hetzjagd. Sie verstand es alle möglichen Menschen, die vielleicht Latude zu helfen in der Lage waren, in Atem zu halten; sie war ohne Unterlass an ihren Türen, bei dem einen wusste sie das Mitleid anzufachen, bei dem andern wieder die Empfindsamkeit rege zu machen; diesem packte sie bei der Eitelkeit, jenem versprach sie Protektion irgend eines einflussreichen Mannes ihres neuen Bekanntenkreises. Es gelang Madame Legros, einen Höfling Marie Antoniettens für Latudes Schicksal zu interessieren. Er las eines Tages der Königin eben eine Schilderung des Unglücks vor, als ein anderer Höfling eintrat und ganz unbedacht erklärte, Latude sei wahnsinnig und die ganze Darstellung nichts als ein Lügengewebe. Das Blatt entfiel dem Vorleser und das eben erwachte Interesse

überallhin wo sie Leute vermutete, die sich für Latudes Schicksal interessieren könnten, sie hungerte, sie liess das Brot alt werden, damit sie nicht zu viel davon zu essen Lust bekomme; viele wollten ihr Unternehmen durch Geldspenden erleichtern, aber sie war nie dazu zu bewegen, auch nur das geringste anzunehmen. Ihr Mann, ein Lehrer der fremden Sprachen, brachte sich selbst sehr kümmerlich fort, doch hinderte er niemals seine Frau, das einmal begonnene Liebeswerk zu vollenden. Man bewunderte Madame Legros Ausdauer, man staunte über ihre Geschicklichkeit, die vielen Wege, die in die entgegengesetztesten Richtungen führten, oft in einem Tag zu bewältigen, dabei die Nacht nur zum kleinsten Teil zur Ruhe zu benützen. Sie arbeitete nicht allein für ihren Unterhalt, sondern sie setzte eine Ehre darein, die kleinen Schulden, die ihr Vater hinterlassen hatte, bei Heller und Pfennig zu begleichen. Sie ertrug diese ehrenhafte und ruhmvolle Dürftigkeit mit stoischer Ruhe. Latude empfand es unsagbar bitter, dass er ihr, die alles für seine Befreiung geopfert hatte, nichts zu bieten vermochte.

Madame Legros war diese drei Jahre, die bis zu Latudes Befreiung verstrichen, immer in Aufregung, immer in einer Hetzjagd. Sie verstand es alle möglichen Menschen, die vielleicht Latude zu helfen in der Lage waren, in Atem zu halten; sie war ohne Unterlass an ihren Türen, bei dem einen wusste sie das Mitleid anzufachen, bei dem andern wieder die Empfindsamkeit rege zu machen; diesem packte sie bei der Eitelkeit, jenem versprach sie Protektion irgend eines einflussreichen Mannes ihres neuen Bekanntenkreises. Es gelang Madame Legros, einen Höfling Marie Antoniettens für Latudes Schicksal zu interessieren. Er las eines Tages der Königin eben eine Schilderung des Unglücks vor, als ein anderer Höfling eintrat und ganz unbedacht erklärte, Latude sei wahnsinnig und die ganze Darstellung nichts als ein Lügengewebe. Das Blatt entfiel dem Vorleser und das eben erwachte Interesse

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überallhin wo sie Leute vermutete, die sich für Latudes Schicksal interessieren könnten, sie hungerte, sie liess das Brot alt werden, damit sie nicht zu viel davon zu essen Lust bekomme; viele wollten ihr Unternehmen durch Geldspenden erleichtern, aber sie war nie dazu zu bewegen, auch nur das geringste anzunehmen. Ihr Mann, ein Lehrer der fremden Sprachen, brachte sich selbst sehr kümmerlich fort, doch hinderte er niemals seine Frau, das einmal begonnene Liebeswerk zu vollenden. Man bewunderte Madame Legros Ausdauer, man staunte über ihre Geschicklichkeit, die vielen Wege, die in die entgegengesetztesten Richtungen führten, oft in einem Tag zu bewältigen, dabei die Nacht nur zum kleinsten Teil zur Ruhe zu benützen. Sie arbeitete nicht allein für ihren Unterhalt, sondern sie setzte eine Ehre darein, die kleinen Schulden, die ihr Vater hinterlassen hatte, bei Heller und Pfennig zu begleichen. Sie ertrug diese ehrenhafte und ruhmvolle Dürftigkeit mit stoischer Ruhe. Latude empfand es unsagbar bitter, dass er ihr, die alles für seine Befreiung geopfert hatte, nichts zu bieten vermochte.</p>
        <p>Madame Legros war diese drei Jahre, die bis zu Latudes Befreiung verstrichen, immer in Aufregung, immer in einer Hetzjagd. Sie verstand es alle möglichen Menschen, die vielleicht Latude zu helfen in der Lage waren, in Atem zu halten; sie war ohne Unterlass an ihren Türen, bei dem einen wusste sie das Mitleid anzufachen, bei dem andern wieder die Empfindsamkeit rege zu machen; diesem packte sie bei der Eitelkeit, jenem versprach sie Protektion irgend eines einflussreichen Mannes ihres neuen Bekanntenkreises. Es gelang Madame Legros, einen Höfling Marie Antoniettens für Latudes Schicksal zu interessieren. Er las eines Tages der Königin eben eine Schilderung des Unglücks vor, als ein anderer Höfling eintrat und ganz unbedacht erklärte, Latude sei wahnsinnig und die ganze Darstellung nichts als ein Lügengewebe. Das Blatt entfiel dem Vorleser und das eben erwachte Interesse
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[8/0024] überallhin wo sie Leute vermutete, die sich für Latudes Schicksal interessieren könnten, sie hungerte, sie liess das Brot alt werden, damit sie nicht zu viel davon zu essen Lust bekomme; viele wollten ihr Unternehmen durch Geldspenden erleichtern, aber sie war nie dazu zu bewegen, auch nur das geringste anzunehmen. Ihr Mann, ein Lehrer der fremden Sprachen, brachte sich selbst sehr kümmerlich fort, doch hinderte er niemals seine Frau, das einmal begonnene Liebeswerk zu vollenden. Man bewunderte Madame Legros Ausdauer, man staunte über ihre Geschicklichkeit, die vielen Wege, die in die entgegengesetztesten Richtungen führten, oft in einem Tag zu bewältigen, dabei die Nacht nur zum kleinsten Teil zur Ruhe zu benützen. Sie arbeitete nicht allein für ihren Unterhalt, sondern sie setzte eine Ehre darein, die kleinen Schulden, die ihr Vater hinterlassen hatte, bei Heller und Pfennig zu begleichen. Sie ertrug diese ehrenhafte und ruhmvolle Dürftigkeit mit stoischer Ruhe. Latude empfand es unsagbar bitter, dass er ihr, die alles für seine Befreiung geopfert hatte, nichts zu bieten vermochte. Madame Legros war diese drei Jahre, die bis zu Latudes Befreiung verstrichen, immer in Aufregung, immer in einer Hetzjagd. Sie verstand es alle möglichen Menschen, die vielleicht Latude zu helfen in der Lage waren, in Atem zu halten; sie war ohne Unterlass an ihren Türen, bei dem einen wusste sie das Mitleid anzufachen, bei dem andern wieder die Empfindsamkeit rege zu machen; diesem packte sie bei der Eitelkeit, jenem versprach sie Protektion irgend eines einflussreichen Mannes ihres neuen Bekanntenkreises. Es gelang Madame Legros, einen Höfling Marie Antoniettens für Latudes Schicksal zu interessieren. Er las eines Tages der Königin eben eine Schilderung des Unglücks vor, als ein anderer Höfling eintrat und ganz unbedacht erklärte, Latude sei wahnsinnig und die ganze Darstellung nichts als ein Lügengewebe. Das Blatt entfiel dem Vorleser und das eben erwachte Interesse

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Zitationshilfe: Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/24>, abgerufen am 20.04.2024.