Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.Latude, man müsste jeder Empfindung bar sein, wenn man von seinem Schicksal nicht gerührt wäre; er beauftragte ihn dann, alles zu Papier zu bringen und gab dem Kerkermeister Befehl, ihm das fertiggestellte Schriftstück sogleich zu übermitteln - dasselbe, das Madame Legros fand! Beim Abschied sagte der Präsident v. Gourgue zu Latude: "Rechnen Sie auf mich, Ihre Leiden sind zu gross als dass man sie vergessen könnte. Leben Sie wohl." Latude war gezwungen, einen Teil seines Brotes zu verkaufen, um sich die nötigen Schreibrequisiten zu verschaffen. Er schrieb alles mit seiner Seele nieder, er liess seinen Empfindungen freien Lauf, voll Vertrauen zu diesem guten, mitleidigen Protektor; er schilderte seine Leiden mit der Beredsamkeit des Unglücks, er sagte alles ohne Bitterkeit, aber auch ohne Schonung. Er wagte es nicht, das Schriftstück dem Kerkermeister anzuvertrauen. Er hatte sich all die Jahre hindurch einen guten Anzug und etwas Wäsche aufgespart und gar nicht benützt, um an dem immer erhofften Tag der Befreiung anständig gekleidet sein zu können. Er verkaufte alles und gab den Erlös dem Wachposten, damit dieser das Schriftstück dem Präsidenten v. Gourgue übergebe. Unglücklicherweise, oder besser gesagt, glücklicherweise bemerkte er nicht, dass der Mann berauscht war. Der Präsident v. Gourgue empfing Herrn Legros, der ihm das Paket überbrachte, mit grösster Freundlichkeit und voll Dank, dass er durch ihn in den Besitz der Schriften Latudes gekommen sei, die er von Latude selbst erbeten hatte. Er versicherte, dass er von dem Inhalte der Schriften sehr gerührt und gleichzeitig empört sei, dass er schon lange vorher sich für Latudes Schicksal interessiert und zu seinem Schmerze erfahren hätte, Latude sei wahnsinnig geworden, allerdings nur an periodischem Wahnsinn leide, aber da die Krankheit bereits 32 Jahre anhalte, keine Aussicht auf Heilung vorhanden sei. Latude sei dadurch gemeingefährlich und seinen Freunden bleibe nichts anderes Latude, man müsste jeder Empfindung bar sein, wenn man von seinem Schicksal nicht gerührt wäre; er beauftragte ihn dann, alles zu Papier zu bringen und gab dem Kerkermeister Befehl, ihm das fertiggestellte Schriftstück sogleich zu übermitteln – dasselbe, das Madame Legros fand! Beim Abschied sagte der Präsident v. Gourgue zu Latude: „Rechnen Sie auf mich, Ihre Leiden sind zu gross als dass man sie vergessen könnte. Leben Sie wohl.“ Latude war gezwungen, einen Teil seines Brotes zu verkaufen, um sich die nötigen Schreibrequisiten zu verschaffen. Er schrieb alles mit seiner Seele nieder, er liess seinen Empfindungen freien Lauf, voll Vertrauen zu diesem guten, mitleidigen Protektor; er schilderte seine Leiden mit der Beredsamkeit des Unglücks, er sagte alles ohne Bitterkeit, aber auch ohne Schonung. Er wagte es nicht, das Schriftstück dem Kerkermeister anzuvertrauen. Er hatte sich all die Jahre hindurch einen guten Anzug und etwas Wäsche aufgespart und gar nicht benützt, um an dem immer erhofften Tag der Befreiung anständig gekleidet sein zu können. Er verkaufte alles und gab den Erlös dem Wachposten, damit dieser das Schriftstück dem Präsidenten v. Gourgue übergebe. Unglücklicherweise, oder besser gesagt, glücklicherweise bemerkte er nicht, dass der Mann berauscht war. Der Präsident v. Gourgue empfing Herrn Legros, der ihm das Paket überbrachte, mit grösster Freundlichkeit und voll Dank, dass er durch ihn in den Besitz der Schriften Latudes gekommen sei, die er von Latude selbst erbeten hatte. Er versicherte, dass er von dem Inhalte der Schriften sehr gerührt und gleichzeitig empört sei, dass er schon lange vorher sich für Latudes Schicksal interessiert und zu seinem Schmerze erfahren hätte, Latude sei wahnsinnig geworden, allerdings nur an periodischem Wahnsinn leide, aber da die Krankheit bereits 32 Jahre anhalte, keine Aussicht auf Heilung vorhanden sei. Latude sei dadurch gemeingefährlich und seinen Freunden bleibe nichts anderes <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0021" n="5"/> Latude, man müsste jeder Empfindung bar sein, wenn man von seinem Schicksal nicht gerührt wäre; er beauftragte ihn dann, alles zu Papier zu bringen und gab dem Kerkermeister Befehl, ihm das fertiggestellte Schriftstück sogleich zu übermitteln – dasselbe, das Madame Legros fand! Beim Abschied sagte der Präsident v. Gourgue zu Latude: „Rechnen Sie auf mich, Ihre Leiden sind zu gross als dass man sie vergessen könnte. Leben Sie wohl.“ Latude war gezwungen, einen Teil seines Brotes zu verkaufen, um sich die nötigen Schreibrequisiten zu verschaffen. Er schrieb alles mit seiner Seele nieder, er liess seinen Empfindungen freien Lauf, voll Vertrauen zu diesem guten, mitleidigen Protektor; er schilderte seine Leiden mit der Beredsamkeit des Unglücks, er sagte alles ohne Bitterkeit, aber auch ohne Schonung. Er wagte es nicht, das Schriftstück dem Kerkermeister anzuvertrauen. Er hatte sich all die Jahre hindurch einen guten Anzug und etwas Wäsche aufgespart und gar nicht benützt, um an dem immer erhofften Tag der Befreiung anständig gekleidet sein zu können. Er verkaufte alles und gab den Erlös dem Wachposten, damit dieser das Schriftstück dem Präsidenten v. Gourgue übergebe. Unglücklicherweise, oder besser gesagt, glücklicherweise bemerkte er nicht, dass der Mann berauscht war.</p> <p>Der Präsident v. Gourgue empfing Herrn Legros, der ihm das Paket überbrachte, mit grösster Freundlichkeit und voll Dank, dass er durch ihn in den Besitz der Schriften Latudes gekommen sei, die er von Latude selbst erbeten hatte. Er versicherte, dass er von dem Inhalte der Schriften sehr gerührt und gleichzeitig empört sei, dass er schon lange vorher sich für Latudes Schicksal interessiert und zu seinem Schmerze erfahren hätte, Latude sei wahnsinnig geworden, allerdings nur an periodischem Wahnsinn leide, aber da die Krankheit bereits 32 Jahre anhalte, keine Aussicht auf Heilung vorhanden sei. Latude sei dadurch gemeingefährlich und seinen Freunden bleibe nichts anderes </p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0021]
Latude, man müsste jeder Empfindung bar sein, wenn man von seinem Schicksal nicht gerührt wäre; er beauftragte ihn dann, alles zu Papier zu bringen und gab dem Kerkermeister Befehl, ihm das fertiggestellte Schriftstück sogleich zu übermitteln – dasselbe, das Madame Legros fand! Beim Abschied sagte der Präsident v. Gourgue zu Latude: „Rechnen Sie auf mich, Ihre Leiden sind zu gross als dass man sie vergessen könnte. Leben Sie wohl.“ Latude war gezwungen, einen Teil seines Brotes zu verkaufen, um sich die nötigen Schreibrequisiten zu verschaffen. Er schrieb alles mit seiner Seele nieder, er liess seinen Empfindungen freien Lauf, voll Vertrauen zu diesem guten, mitleidigen Protektor; er schilderte seine Leiden mit der Beredsamkeit des Unglücks, er sagte alles ohne Bitterkeit, aber auch ohne Schonung. Er wagte es nicht, das Schriftstück dem Kerkermeister anzuvertrauen. Er hatte sich all die Jahre hindurch einen guten Anzug und etwas Wäsche aufgespart und gar nicht benützt, um an dem immer erhofften Tag der Befreiung anständig gekleidet sein zu können. Er verkaufte alles und gab den Erlös dem Wachposten, damit dieser das Schriftstück dem Präsidenten v. Gourgue übergebe. Unglücklicherweise, oder besser gesagt, glücklicherweise bemerkte er nicht, dass der Mann berauscht war.
Der Präsident v. Gourgue empfing Herrn Legros, der ihm das Paket überbrachte, mit grösster Freundlichkeit und voll Dank, dass er durch ihn in den Besitz der Schriften Latudes gekommen sei, die er von Latude selbst erbeten hatte. Er versicherte, dass er von dem Inhalte der Schriften sehr gerührt und gleichzeitig empört sei, dass er schon lange vorher sich für Latudes Schicksal interessiert und zu seinem Schmerze erfahren hätte, Latude sei wahnsinnig geworden, allerdings nur an periodischem Wahnsinn leide, aber da die Krankheit bereits 32 Jahre anhalte, keine Aussicht auf Heilung vorhanden sei. Latude sei dadurch gemeingefährlich und seinen Freunden bleibe nichts anderes
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