Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.begeben, um dort Rolands Antwort mitzuteilen und lasse inzwischen seine Kollegen zurück. Kaum war der Mann fort, als Madame Roland der Gedanke kam, dass es gut sein würde, den Tatbestand dem Konvent mitzuteilen und dadurch die Verhaftung Rolands zu hintertreiben, oder ihn gleich wieder in Freiheit zu setzen, falls sie doch vorgenommen würde. Diesen Plan ihren Mann entwickeln, einen Brief an den Präsidenten zu schreiben und fortfahren, war das Werk einiger Minuten. Ein Freund des Hauses, der eben zugegen war, blieb für alle Fälle bei Roland. Sie bestieg einen Wagen und fuhr ins Karrussel. Der Hof der Tuilerien war voll von bewaffneten Männern, sie drängte sich durch die Menge, sie war in ihrem Morgenkleid und hatte bloss einen Shawl um und war verschleiert. Die Saaltüren waren alle verschlossen. Sie bat um Einlass und wurde von den Wachposten von einer Tür zur anderen geschickt, alles vergebens. Dann stellte sie sich, als ob sie eine Anhängerin Robespierres wäre und sagte: "Aber wie, Bürger, an diesem Tage des Heils des Vaterlandes, inmitten der Verräter, die wir zu fürchten haben, können Sie ja nicht wissen, von welcher Wichtigkeit die Mitteilungen sein können, die ich dem Präsidenten zu überbringen habe!" Endlich sah sie einen Bekannten, namens Roze. Sie erzählte ihm alles, übergab ihm den Brief und verlangte, er solle seine Verlesung erwirken. Wieder verging eine Stunde. Mit grossen Schritten durchmass sie auf unf ab gehend den Korridor und blickte allemal in den Saal, wenn eine Türe geöffnet wurde. Ein schrecklicher Lärm liess sich hören. Als Roze wieder erschien, berichtete er, dass die Verlesung bei dem herrschenden Tumulte ein Ding der Unmöglichkeit sei. Als sie hörte, dass Herault-Sechelles eben den Vorsitz führe, sagte sie, dass ihr Brief gewiss nicht verlesen werden würde und bat ihn, Vergniaux herauszurufen. Er kam und sagte, es sei aussichtslos, dass der Brief verlesen werde. Er riet ihr, selbst vor die Schranken zu begeben, um dort Rolands Antwort mitzuteilen und lasse inzwischen seine Kollegen zurück. Kaum war der Mann fort, als Madame Roland der Gedanke kam, dass es gut sein würde, den Tatbestand dem Konvent mitzuteilen und dadurch die Verhaftung Rolands zu hintertreiben, oder ihn gleich wieder in Freiheit zu setzen, falls sie doch vorgenommen würde. Diesen Plan ihren Mann entwickeln, einen Brief an den Präsidenten zu schreiben und fortfahren, war das Werk einiger Minuten. Ein Freund des Hauses, der eben zugegen war, blieb für alle Fälle bei Roland. Sie bestieg einen Wagen und fuhr ins Karrussel. Der Hof der Tuilerien war voll von bewaffneten Männern, sie drängte sich durch die Menge, sie war in ihrem Morgenkleid und hatte bloss einen Shawl um und war verschleiert. Die Saaltüren waren alle verschlossen. Sie bat um Einlass und wurde von den Wachposten von einer Tür zur anderen geschickt, alles vergebens. Dann stellte sie sich, als ob sie eine Anhängerin Robespierres wäre und sagte: „Aber wie, Bürger, an diesem Tage des Heils des Vaterlandes, inmitten der Verräter, die wir zu fürchten haben, können Sie ja nicht wissen, von welcher Wichtigkeit die Mitteilungen sein können, die ich dem Präsidenten zu überbringen habe!“ Endlich sah sie einen Bekannten, namens Rôze. Sie erzählte ihm alles, übergab ihm den Brief und verlangte, er solle seine Verlesung erwirken. Wieder verging eine Stunde. Mit grossen Schritten durchmass sie auf unf ab gehend den Korridor und blickte allemal in den Saal, wenn eine Türe geöffnet wurde. Ein schrecklicher Lärm liess sich hören. Als Rôze wieder erschien, berichtete er, dass die Verlesung bei dem herrschenden Tumulte ein Ding der Unmöglichkeit sei. Als sie hörte, dass Herault-Séchelles eben den Vorsitz führe, sagte sie, dass ihr Brief gewiss nicht verlesen werden würde und bat ihn, Vergniaux herauszurufen. Er kam und sagte, es sei aussichtslos, dass der Brief verlesen werde. Er riet ihr, selbst vor die Schranken zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0130" n="111"/> begeben, um dort Rolands Antwort mitzuteilen und lasse inzwischen seine Kollegen zurück.</p> <p>Kaum war der Mann fort, als Madame Roland der Gedanke kam, dass es gut sein würde, den Tatbestand dem Konvent mitzuteilen und dadurch die Verhaftung Rolands zu hintertreiben, oder ihn gleich wieder in Freiheit zu setzen, falls sie doch vorgenommen würde. Diesen Plan ihren Mann entwickeln, einen Brief an den Präsidenten zu schreiben und fortfahren, war das Werk einiger Minuten. Ein Freund des Hauses, der eben zugegen war, blieb für alle Fälle bei Roland. Sie bestieg einen Wagen und fuhr ins Karrussel. Der Hof der Tuilerien war voll von bewaffneten Männern, sie drängte sich durch die Menge, sie war in ihrem Morgenkleid und hatte bloss einen Shawl um und war verschleiert. Die Saaltüren waren alle verschlossen. Sie bat um Einlass und wurde von den Wachposten von einer Tür zur anderen geschickt, alles vergebens. Dann stellte sie sich, als ob sie eine Anhängerin Robespierres wäre und sagte: „Aber wie, Bürger, an diesem Tage des Heils des Vaterlandes, inmitten der Verräter, die wir zu fürchten haben, können Sie ja nicht wissen, von welcher Wichtigkeit die Mitteilungen sein können, die ich dem Präsidenten zu überbringen habe!“ Endlich sah sie einen Bekannten, namens Rôze. Sie <choice><sic>erzälte</sic><corr>erzählte</corr></choice> ihm alles, übergab ihm den Brief und verlangte, er solle seine Verlesung erwirken. Wieder verging eine Stunde. Mit grossen Schritten durchmass sie auf unf ab gehend den Korridor und blickte allemal in den Saal, wenn eine Türe geöffnet wurde. Ein schrecklicher Lärm liess sich hören. Als Rôze wieder erschien, berichtete er, dass die Verlesung bei dem herrschenden Tumulte ein Ding der Unmöglichkeit sei. Als sie hörte, dass Herault-Séchelles eben den Vorsitz führe, sagte sie, dass ihr Brief gewiss nicht verlesen werden würde und bat ihn, Vergniaux herauszurufen.</p> <p>Er kam und sagte, es sei aussichtslos, dass der Brief verlesen werde. Er riet ihr, selbst vor die Schranken zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [111/0130]
begeben, um dort Rolands Antwort mitzuteilen und lasse inzwischen seine Kollegen zurück.
Kaum war der Mann fort, als Madame Roland der Gedanke kam, dass es gut sein würde, den Tatbestand dem Konvent mitzuteilen und dadurch die Verhaftung Rolands zu hintertreiben, oder ihn gleich wieder in Freiheit zu setzen, falls sie doch vorgenommen würde. Diesen Plan ihren Mann entwickeln, einen Brief an den Präsidenten zu schreiben und fortfahren, war das Werk einiger Minuten. Ein Freund des Hauses, der eben zugegen war, blieb für alle Fälle bei Roland. Sie bestieg einen Wagen und fuhr ins Karrussel. Der Hof der Tuilerien war voll von bewaffneten Männern, sie drängte sich durch die Menge, sie war in ihrem Morgenkleid und hatte bloss einen Shawl um und war verschleiert. Die Saaltüren waren alle verschlossen. Sie bat um Einlass und wurde von den Wachposten von einer Tür zur anderen geschickt, alles vergebens. Dann stellte sie sich, als ob sie eine Anhängerin Robespierres wäre und sagte: „Aber wie, Bürger, an diesem Tage des Heils des Vaterlandes, inmitten der Verräter, die wir zu fürchten haben, können Sie ja nicht wissen, von welcher Wichtigkeit die Mitteilungen sein können, die ich dem Präsidenten zu überbringen habe!“ Endlich sah sie einen Bekannten, namens Rôze. Sie erzählte ihm alles, übergab ihm den Brief und verlangte, er solle seine Verlesung erwirken. Wieder verging eine Stunde. Mit grossen Schritten durchmass sie auf unf ab gehend den Korridor und blickte allemal in den Saal, wenn eine Türe geöffnet wurde. Ein schrecklicher Lärm liess sich hören. Als Rôze wieder erschien, berichtete er, dass die Verlesung bei dem herrschenden Tumulte ein Ding der Unmöglichkeit sei. Als sie hörte, dass Herault-Séchelles eben den Vorsitz führe, sagte sie, dass ihr Brief gewiss nicht verlesen werden würde und bat ihn, Vergniaux herauszurufen.
Er kam und sagte, es sei aussichtslos, dass der Brief verlesen werde. Er riet ihr, selbst vor die Schranken zu
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