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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839.

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was mir fehlte, und hielt mitten in seiner Rede ein: "Aber
wie geht denn das zu, der Herr hat ja keinen Schatten!" --
"Leider! leider!" erwiederte ich seufzend. "Es sind mir wäh-
rend einer bösen langen Krankheit Haare, Nägel und Schat-
ten ausgegangen. Seht, Vater, in meinem Alter, die Haare,
die ich wieder gekriegt habe, ganz weiß, die Nägel sehr kurz,
und der Schatten, der will noch nicht wieder wachsen." -- "Ei!
ei!" versetzte der alte Mann kopfschüttelnd, "keinen Schatten,
das ist bös! das war eine böse Krankheit, die der Herr gehabt
hat." Aber er hub seine Erzählung nicht wieder an, und bei
dem nächsten Querweg, der sich darbot, ging er, ohne ein
Wort zu sagen, von mir ab. -- Bittere Thränen zitterten
auf's Neue auf meinen Wangen, und meine Heiterkeit war hin.

Ich setzte traurigen Herzens meinen Weg fort und suchte
ferner keines Menschen Gesellschaft. Ich hielt mich im dun-
kelsten Walde, und mußte manchmal, um über einen Strich,
wo die Sonne schien, zu kommen, stundenlang darauf warten,
daß mir keines Menschen Aug' den Durchgang verbot. Am
Abend suchte ich Herberge in den Dörfern zu nehmen. Ich
ging eigentlich nach einem Bergwerk im Gebirge, wo ich
Arbeit unter der Erde zu finden gedachte; denn, davon abge-
sehen, daß meine jetzige Lage mir gebot, für meinen Lebens-
unterhalt selbst zu sorgen, hatte ich dieses wohl erkannt, daß
mich allein angestrengte Arbeit gegen meine zerstörenden Ge-
danken schützen könnte.

Ein paar regnichte Tage förderten mich leicht auf den
Weg, aber auf Kosten meiner Stiefel, deren Sohlen für den
Grafen Peter, und nicht für den Fußknecht berechnet
worden. Ich ging schon auf den bloßen Füßen. Ich mußte
ein Paar neue Stiefel anschaffen. Am nächsten Morgen be-
sorgte ich dieses Geschäft mit vielem Ernst in einem Flecken,
wo Kirmeß war, und wo in einer Bude alte und neue Stiefel

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was mir fehlte, und hielt mitten in ſeiner Rede ein: »Aber
wie geht denn das zu, der Herr hat ja keinen Schatten!« —
»Leider! leider!« erwiederte ich ſeufzend. »Es ſind mir wäh-
rend einer böſen langen Krankheit Haare, Nägel und Schat-
ten ausgegangen. Seht, Vater, in meinem Alter, die Haare,
die ich wieder gekriegt habe, ganz weiß, die Nägel ſehr kurz,
und der Schatten, der will noch nicht wieder wachſen.« — »Ei!
ei!« verſetzte der alte Mann kopfſchüttelnd, »keinen Schatten,
das iſt bös! das war eine böſe Krankheit, die der Herr gehabt
hat.« Aber er hub ſeine Erzählung nicht wieder an, und bei
dem nächſten Querweg, der ſich darbot, ging er, ohne ein
Wort zu ſagen, von mir ab. — Bittere Thränen zitterten
auf’s Neue auf meinen Wangen, und meine Heiterkeit war hin.

Ich ſetzte traurigen Herzens meinen Weg fort und ſuchte
ferner keines Menſchen Geſellſchaft. Ich hielt mich im dun-
kelſten Walde, und mußte manchmal, um über einen Strich,
wo die Sonne ſchien, zu kommen, ſtundenlang darauf warten,
daß mir keines Menſchen Aug’ den Durchgang verbot. Am
Abend ſuchte ich Herberge in den Dörfern zu nehmen. Ich
ging eigentlich nach einem Bergwerk im Gebirge, wo ich
Arbeit unter der Erde zu finden gedachte; denn, davon abge-
ſehen, daß meine jetzige Lage mir gebot, für meinen Lebens-
unterhalt ſelbſt zu ſorgen, hatte ich dieſes wohl erkannt, daß
mich allein angeſtrengte Arbeit gegen meine zerſtörenden Ge-
danken ſchützen könnte.

Ein paar regnichte Tage förderten mich leicht auf den
Weg, aber auf Koſten meiner Stiefel, deren Sohlen für den
Grafen Peter, und nicht für den Fußknecht berechnet
worden. Ich ging ſchon auf den bloßen Füßen. Ich mußte
ein Paar neue Stiefel anſchaffen. Am nächſten Morgen be-
ſorgte ich dieſes Geſchäft mit vielem Ernſt in einem Flecken,
wo Kirmeß war, und wo in einer Bude alte und neue Stiefel

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[67/0085] was mir fehlte, und hielt mitten in ſeiner Rede ein: »Aber wie geht denn das zu, der Herr hat ja keinen Schatten!« — »Leider! leider!« erwiederte ich ſeufzend. »Es ſind mir wäh- rend einer böſen langen Krankheit Haare, Nägel und Schat- ten ausgegangen. Seht, Vater, in meinem Alter, die Haare, die ich wieder gekriegt habe, ganz weiß, die Nägel ſehr kurz, und der Schatten, der will noch nicht wieder wachſen.« — »Ei! ei!« verſetzte der alte Mann kopfſchüttelnd, »keinen Schatten, das iſt bös! das war eine böſe Krankheit, die der Herr gehabt hat.« Aber er hub ſeine Erzählung nicht wieder an, und bei dem nächſten Querweg, der ſich darbot, ging er, ohne ein Wort zu ſagen, von mir ab. — Bittere Thränen zitterten auf’s Neue auf meinen Wangen, und meine Heiterkeit war hin. Ich ſetzte traurigen Herzens meinen Weg fort und ſuchte ferner keines Menſchen Geſellſchaft. Ich hielt mich im dun- kelſten Walde, und mußte manchmal, um über einen Strich, wo die Sonne ſchien, zu kommen, ſtundenlang darauf warten, daß mir keines Menſchen Aug’ den Durchgang verbot. Am Abend ſuchte ich Herberge in den Dörfern zu nehmen. Ich ging eigentlich nach einem Bergwerk im Gebirge, wo ich Arbeit unter der Erde zu finden gedachte; denn, davon abge- ſehen, daß meine jetzige Lage mir gebot, für meinen Lebens- unterhalt ſelbſt zu ſorgen, hatte ich dieſes wohl erkannt, daß mich allein angeſtrengte Arbeit gegen meine zerſtörenden Ge- danken ſchützen könnte. Ein paar regnichte Tage förderten mich leicht auf den Weg, aber auf Koſten meiner Stiefel, deren Sohlen für den Grafen Peter, und nicht für den Fußknecht berechnet worden. Ich ging ſchon auf den bloßen Füßen. Ich mußte ein Paar neue Stiefel anſchaffen. Am nächſten Morgen be- ſorgte ich dieſes Geſchäft mit vielem Ernſt in einem Flecken, wo Kirmeß war, und wo in einer Bude alte und neue Stiefel 5*

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1/85>, abgerufen am 22.11.2024.