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Wolder, Johannes: Vidua derelicta sed dilecta. Wittenberg, 1616.

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Christliche Leichpredigt.
beraubet ist/ ein Mensch ist ja kein Mensch/ vnd wenn
er d gantzen Welt Guter hette/ vnd des Hertzen schatz/ lieb
frewd vnd [w]onne des gantzen Lebens wer dahin/ was
were jhm mit solchen allen gedienet.

Das ist aber 5. das aller elendeste vnd erbärm-
lichste/ das allhier Esaias sagt/ GOtt habe sie lassen
im geschrey sein/ das sie sey ein verlassenes Weib/ vnd
Gott also seine Hand abzeugt/ vnd wirfft sie jederman
in die Hände/ vnd ins Maul/ das die Kinder auff der
Gassen von jhr sagen vnd schreien müssen. Da da/
der Herr hat sie verlassen. Lasset nur sie zureissen
wie eine hangende Wand vnd zurissene Mawer Psal.
62. Also ist nu eine Witwe/ Vidua ad orbitatem
& solitudinem projecta,
wie eine Rohrdomel in der
Wüsten/ wie ein Keutzlein in den verstöreten Städten
Psalm. 102.

2. Nennet sie Gott mulierem dolore affectam,
spiritu dolentem, anxiam & sollicitam,
von Hertzen
eine betrübtes Weib/ wie Naemi von jhr sagt c. 1.
Ruth/ Jch bin sehr betrübet/ denn der Herr hat mich
betrübet/ Nun ist kein grösser betrübniß vnd trawrig-
keit als Hertzen angst vnd schwermütigkeit/ darein für-
nemlich elende Witwen gerahten wie der Poet recht
vnd wol gesaget hat:
Non dolor est major, quam cum violentia mortis,
Unanimi solvit corda ligata fide.

Kein grösser schmertz ist auff dieser Erden/ als
wenn zwey Hertzen getrennet vnnd geschieden wer-
den/ Die Griechen nennens dikhotomian, da

das
C ij

Chriſtliche Leichpredigt.
beraubet iſt/ ein Menſch iſt ja kein Menſch/ vñ wenn
er ď gantzẽ Welt Gůter hette/ vñ des Hertzen ſchatz/ lieb
frewd vnd [w]onne des gantzen Lebens wer dahin/ was
were jhm mit ſolchen allen gedienet.

Das iſt aber 5. das aller elendeſte vnd erbaͤrm-
lichſte/ das allhier Eſaias ſagt/ GOtt habe ſie laſſen
im geſchrey ſein/ das ſie ſey ein verlaſſenes Weib/ vnd
Gott alſo ſeine Hand abzeugt/ vnd wirfft ſie jederman
in die Haͤnde/ vnd ins Maul/ das die Kinder auff der
Gaſſen von jhr ſagen vnd ſchreien muͤſſen. Da da/
der Herr hat ſie verlaſſen. Laſſet nur ſie zureiſſen
wie eine hangende Wand vnd zuriſſene Mawer Pſal.
62. Alſo iſt nu eine Witwe/ Vidua ad orbitatem
& ſolitudinem projecta,
wie eine Rohrdomel in der
Wuͤſten/ wie ein Keutzlein in den verſtoͤreten Staͤdten
Pſalm. 102.

2. Nennet ſie Gott mulierem dolore affectam,
ſpiritu dolentem, anxiam & ſollicitam,
von Hertzen
eine betruͤbtes Weib/ wie Naemi von jhr ſagt c. 1.
Ruth/ Jch bin ſehr betruͤbet/ deñ der Herr hat mich
betruͤbet/ Nun iſt kein groͤſſer betruͤbniß vnd trawrig-
keit als Hertzen angſt vñ ſchwermuͤtigkeit/ darein fuͤr-
nemlich elende Witwen gerahten wie der Poet recht
vnd wol geſaget hat:
Non dolor eſt major, quam cum violentia mortis,
Unanimi ſolvit corda ligata fide.

Kein groͤſſer ſchmertz iſt auff dieſer Erden/ als
wenn zwey Hertzen getrennet vnnd geſchieden wer-
den/ Die Griechen nennens διχοτομίαν, da

das
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[[19]/0019] Chriſtliche Leichpredigt. beraubet iſt/ ein Menſch iſt ja kein Menſch/ vñ wenn er ď gantzẽ Welt Gůter hette/ vñ des Hertzen ſchatz/ lieb frewd vnd wonne des gantzen Lebens wer dahin/ was were jhm mit ſolchen allen gedienet. Das iſt aber 5. das aller elendeſte vnd erbaͤrm- lichſte/ das allhier Eſaias ſagt/ GOtt habe ſie laſſen im geſchrey ſein/ das ſie ſey ein verlaſſenes Weib/ vnd Gott alſo ſeine Hand abzeugt/ vnd wirfft ſie jederman in die Haͤnde/ vnd ins Maul/ das die Kinder auff der Gaſſen von jhr ſagen vnd ſchreien muͤſſen. Da da/ der Herr hat ſie verlaſſen. Laſſet nur ſie zureiſſen wie eine hangende Wand vnd zuriſſene Mawer Pſal. 62. Alſo iſt nu eine Witwe/ Vidua ad orbitatem & ſolitudinem projecta, wie eine Rohrdomel in der Wuͤſten/ wie ein Keutzlein in den verſtoͤreten Staͤdten Pſalm. 102. 2. Nennet ſie Gott mulierem dolore affectam, ſpiritu dolentem, anxiam & ſollicitam, von Hertzen eine betruͤbtes Weib/ wie Naemi von jhr ſagt c. 1. Ruth/ Jch bin ſehr betruͤbet/ deñ der Herr hat mich betruͤbet/ Nun iſt kein groͤſſer betruͤbniß vnd trawrig- keit als Hertzen angſt vñ ſchwermuͤtigkeit/ darein fuͤr- nemlich elende Witwen gerahten wie der Poet recht vnd wol geſaget hat: Non dolor eſt major, quam cum violentia mortis, Unanimi ſolvit corda ligata fide. Kein groͤſſer ſchmertz iſt auff dieſer Erden/ als wenn zwey Hertzen getrennet vnnd geſchieden wer- den/ Die Griechen nennens διχοτομίαν, da das C ij

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Zitationshilfe: Wolder, Johannes: Vidua derelicta sed dilecta. Wittenberg, 1616, S. [19]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/524559/19>, abgerufen am 26.04.2024.