Böttner, Konrad: Leichen- und Gedächtniß-Rede. Lauban, 1740.Dieß ist der Menschen Bild. GOtt hat uns auf die Welt, Den zarten Bäumen gleich, zum Wachsthum dargestellt. Zum wilden Wachsthum nur? Nein Thor, du solst es wissen, Daß wir durch Lehrer erst zu Menschen werden müssen. Dein Wachsthum ist umsonst, das, was dem Körpe[r] fehlt, Durch Nahrung ihm ersetzt, und nur die Jahre zählt, Jn denen, leyder! doch des Geistes muntern Trieben, Das, was ihr Zierrath ist, ganz unbekannt geblieben. Geh, blinder Unverstand, nur in dich selbst zurück. Was hilft dichs, daß dein Geist, der Allmacht Meisterstück, Des Körpers weisen Bau, durch eigne Krafft belebet, Daß Himmel, Erd und Luft vor deinen Augen schwebet? Daß dich ein GOtt erschuf, der eh dieß Ganze stund, Schon ewig mächtig war, der aller Dinge Grund Und erster Ursprung ist, daß jedes Gräschen zeiget, Wie sehr sein hoher Witz den unsern übersteiget. Was hilft dichs, daß den Fehl, der in den Theilen steckt, Ein andrer Theil ersetzt, des Ganzen Fügung deckt, Daß jeder Mensch sein Glück in aller Wohlseyn findet, Und dieß sich wiederum auf jedes Treue gründet? Was hilft dichs, daß ein Mensch, der sich im Guten übt, Der Seelen Kräffte schärft und Witz und Tugend liebt, So sehr auch oft ein Sturm auf seinen Scheitel blitzet, Des Lebens höchstes Gut ein ruhig Herz besitzet? Geh, zieh die Thorheit aus. Warum verweilst du noch? Ja, ja, du nennst den Fleiß ein unerträglich Joch, Die Schul ein Marterhaus, den Nutzen, den sie bringet, Ein furchtsamblödes Herz, daß ein Orbil erzwinget, Die L 2
Dieß iſt der Menſchen Bild. GOtt hat uns auf die Welt, Den zarten Baͤumen gleich, zum Wachsthum dargeſtellt. Zum wilden Wachsthum nur? Nein Thor, du ſolſt es wiſſen, Daß wir durch Lehrer erſt zu Menſchen werden muͤſſen. Dein Wachsthum iſt umſonſt, das, was dem Koͤrpe[r] fehlt, Durch Nahrung ihm erſetzt, und nur die Jahre zaͤhlt, Jn denen, leyder! doch des Geiſtes muntern Trieben, Das, was ihr Zierrath iſt, ganz unbekannt geblieben. Geh, blinder Unverſtand, nur in dich ſelbſt zuruͤck. Was hilft dichs, daß dein Geiſt, der Allmacht Meiſterſtuͤck, Des Koͤrpers weiſen Bau, durch eigne Krafft belebet, Daß Himmel, Erd und Luft vor deinen Augen ſchwebet? Daß dich ein GOtt erſchuf, der eh dieß Ganze ſtund, Schon ewig maͤchtig war, der aller Dinge Grund Und erſter Urſprung iſt, daß jedes Graͤschen zeiget, Wie ſehr ſein hoher Witz den unſern uͤberſteiget. Was hilft dichs, daß den Fehl, der in den Theilen ſteckt, Ein andrer Theil erſetzt, des Ganzen Fuͤgung deckt, Daß jeder Menſch ſein Gluͤck in aller Wohlſeyn findet, Und dieß ſich wiederum auf jedes Treue gruͤndet? Was hilft dichs, daß ein Menſch, der ſich im Guten uͤbt, Der Seelen Kraͤffte ſchaͤrft und Witz und Tugend liebt, So ſehr auch oft ein Sturm auf ſeinen Scheitel blitzet, Des Lebens hoͤchſtes Gut ein ruhig Herz beſitzet? Geh, zieh die Thorheit aus. Warum verweilſt du noch? Ja, ja, du nennſt den Fleiß ein unertraͤglich Joch, Die Schul ein Marterhaus, den Nutzen, den ſie bringet, Ein furchtſambloͤdes Herz, daß ein Orbil erzwinget, Die L 2
<TEI> <text> <body> <div type="fsEpicedia" n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0084" n="83"/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">D</hi>ieß iſt der Menſchen Bild. GOtt hat uns auf die Welt,</l><lb/> <l>Den zarten Baͤumen gleich, zum Wachsthum dargeſtellt.</l><lb/> <l>Zum wilden Wachsthum nur? Nein Thor, du ſolſt es wiſſen,</l><lb/> <l>Daß wir durch Lehrer erſt zu Menſchen werden muͤſſen.</l><lb/> <l>Dein Wachsthum iſt umſonſt, das, was dem Koͤrpe<supplied>r</supplied> fehlt,</l><lb/> <l>Durch Nahrung ihm erſetzt, und nur die Jahre zaͤhlt,</l><lb/> <l>Jn denen, leyder! doch des Geiſtes muntern Trieben,</l><lb/> <l>Das, was ihr Zierrath iſt, ganz unbekannt geblieben.</l> </lg><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">G</hi>eh, blinder Unverſtand, nur in dich ſelbſt zuruͤck.</l><lb/> <l>Was hilft dichs, daß dein Geiſt, der Allmacht Meiſterſtuͤck,</l><lb/> <l>Des Koͤrpers weiſen Bau, durch eigne Krafft belebet,</l><lb/> <l>Daß Himmel, Erd und Luft vor deinen Augen ſchwebet?</l><lb/> <l>Daß dich ein GOtt erſchuf, der eh dieß Ganze ſtund,</l><lb/> <l>Schon ewig maͤchtig war, der aller Dinge Grund</l><lb/> <l>Und erſter Urſprung iſt, daß jedes Graͤschen zeiget,</l><lb/> <l>Wie ſehr ſein hoher Witz den unſern uͤberſteiget.</l> </lg><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">W</hi>as hilft dichs, daß den Fehl, der in den Theilen ſteckt,</l><lb/> <l>Ein andrer Theil erſetzt, des Ganzen Fuͤgung deckt,</l><lb/> <l>Daß jeder Menſch ſein Gluͤck in aller Wohlſeyn findet,</l><lb/> <l>Und dieß ſich wiederum auf jedes Treue gruͤndet?</l><lb/> <l>Was hilft dichs, daß ein Menſch, der ſich im Guten uͤbt,</l><lb/> <l>Der Seelen Kraͤffte ſchaͤrft und Witz und Tugend liebt,</l><lb/> <l>So ſehr auch oft ein Sturm auf ſeinen Scheitel blitzet,</l><lb/> <l>Des Lebens hoͤchſtes Gut ein ruhig Herz beſitzet?</l> </lg><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">G</hi>eh, zieh die Thorheit aus. Warum verweilſt du noch?</l><lb/> <l>Ja, ja, du nennſt den Fleiß ein unertraͤglich Joch,</l><lb/> <l>Die Schul ein Marterhaus, den Nutzen, den ſie bringet,</l><lb/> <l>Ein furchtſambloͤdes Herz, daß ein Orbil erzwinget,</l><lb/> <fw type="sig" place="bottom">L 2</fw> <fw type="catch" place="bottom">Die</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [83/0084]
Dieß iſt der Menſchen Bild. GOtt hat uns auf die Welt,
Den zarten Baͤumen gleich, zum Wachsthum dargeſtellt.
Zum wilden Wachsthum nur? Nein Thor, du ſolſt es wiſſen,
Daß wir durch Lehrer erſt zu Menſchen werden muͤſſen.
Dein Wachsthum iſt umſonſt, das, was dem Koͤrper fehlt,
Durch Nahrung ihm erſetzt, und nur die Jahre zaͤhlt,
Jn denen, leyder! doch des Geiſtes muntern Trieben,
Das, was ihr Zierrath iſt, ganz unbekannt geblieben.
Geh, blinder Unverſtand, nur in dich ſelbſt zuruͤck.
Was hilft dichs, daß dein Geiſt, der Allmacht Meiſterſtuͤck,
Des Koͤrpers weiſen Bau, durch eigne Krafft belebet,
Daß Himmel, Erd und Luft vor deinen Augen ſchwebet?
Daß dich ein GOtt erſchuf, der eh dieß Ganze ſtund,
Schon ewig maͤchtig war, der aller Dinge Grund
Und erſter Urſprung iſt, daß jedes Graͤschen zeiget,
Wie ſehr ſein hoher Witz den unſern uͤberſteiget.
Was hilft dichs, daß den Fehl, der in den Theilen ſteckt,
Ein andrer Theil erſetzt, des Ganzen Fuͤgung deckt,
Daß jeder Menſch ſein Gluͤck in aller Wohlſeyn findet,
Und dieß ſich wiederum auf jedes Treue gruͤndet?
Was hilft dichs, daß ein Menſch, der ſich im Guten uͤbt,
Der Seelen Kraͤffte ſchaͤrft und Witz und Tugend liebt,
So ſehr auch oft ein Sturm auf ſeinen Scheitel blitzet,
Des Lebens hoͤchſtes Gut ein ruhig Herz beſitzet?
Geh, zieh die Thorheit aus. Warum verweilſt du noch?
Ja, ja, du nennſt den Fleiß ein unertraͤglich Joch,
Die Schul ein Marterhaus, den Nutzen, den ſie bringet,
Ein furchtſambloͤdes Herz, daß ein Orbil erzwinget,
Die
L 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |