Ich werde mich Deinem Urtheile blos stellen, lieber Chamisso, und es nicht zu bestechen su- chen. Ich selbst habe lange strenges Gericht an mir selber vollzogen, denn ich habe den quälen- den Wurm in meinem Herzen genährt. Es schweb- te immerwährend dieser ernste Moment meines Lebens vor meiner Seele, und ich vermocht' es nur zweifelnden Blickes, mit Demuth und Zer- knirschung anzuschauen. -- Lieber Freund, wer leichtsinnig nur den Fuß aus der geraden Straße setzt, der wird unversehens in andere Pfade ab- geführt, die abwärts und immer abwärts ihn ziehen; er sieht dann umsonst die Leitsterne am Himmel schimmern, ihm bleibt keine Wahl, er muß unaufhaltsam den Abhang hinab, und sich selbst der Nemesis opfern. Nach dem übereilten Fehltritt, der den Fluch auf mich geladen, hatt' ich durch Liebe frevelnd in eines andern Wesens Schicksal mich gedrängt; was blieb mir übrig, als, wo ich Verderben gesäet, wo schnelle Ret-
VII.
Ich werde mich Deinem Urtheile blos ſtellen, lieber Chamiſſo, und es nicht zu beſtechen ſu- chen. Ich ſelbſt habe lange ſtrenges Gericht an mir ſelber vollzogen, denn ich habe den quälen- den Wurm in meinem Herzen genährt. Es ſchweb- te immerwährend dieſer ernſte Moment meines Lebens vor meiner Seele, und ich vermocht’ es nur zweifelnden Blickes, mit Demuth und Zer- knirſchung anzuſchauen. — Lieber Freund, wer leichtſinnig nur den Fuß aus der geraden Straße ſetzt, der wird unverſehens in andere Pfade ab- geführt, die abwärts und immer abwärts ihn ziehen; er ſieht dann umſonſt die Leitſterne am Himmel ſchimmern, ihm bleibt keine Wahl, er muß unaufhaltſam den Abhang hinab, und ſich ſelbſt der Nemeſis opfern. Nach dem übereilten Fehltritt, der den Fluch auf mich geladen, hatt’ ich durch Liebe frevelnd in eines andern Weſens Schickſal mich gedrängt; was blieb mir übrig, als, wo ich Verderben geſäet, wo ſchnelle Ret-
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[[98]/0112]
VII.
Ich werde mich Deinem Urtheile blos ſtellen,
lieber Chamiſſo, und es nicht zu beſtechen ſu-
chen. Ich ſelbſt habe lange ſtrenges Gericht an
mir ſelber vollzogen, denn ich habe den quälen-
den Wurm in meinem Herzen genährt. Es ſchweb-
te immerwährend dieſer ernſte Moment meines
Lebens vor meiner Seele, und ich vermocht’ es
nur zweifelnden Blickes, mit Demuth und Zer-
knirſchung anzuſchauen. — Lieber Freund, wer
leichtſinnig nur den Fuß aus der geraden Straße
ſetzt, der wird unverſehens in andere Pfade ab-
geführt, die abwärts und immer abwärts ihn
ziehen; er ſieht dann umſonſt die Leitſterne am
Himmel ſchimmern, ihm bleibt keine Wahl, er
muß unaufhaltſam den Abhang hinab, und ſich
ſelbſt der Nemeſis opfern. Nach dem übereilten
Fehltritt, der den Fluch auf mich geladen, hatt’
ich durch Liebe frevelnd in eines andern Weſens
Schickſal mich gedrängt; was blieb mir übrig,
als, wo ich Verderben geſäet, wo ſchnelle Ret-
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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835, S. [98]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/112>, abgerufen am 16.02.2025.
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