Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.Du es mir selber gerathen, meinem geraden Sinn ver- Mittlerweile war die Zeit hingegangen, und unbemerkt Er lächelte über meine Bestürzung, und fuhr fort, Du es mir ſelber gerathen, meinem geraden Sinn ver- Mittlerweile war die Zeit hingegangen, und unbemerkt Er laͤchelte uͤber meine Beſtuͤrzung, und fuhr fort, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0090" n="302"/> Du es mir ſelber gerathen, meinem geraden Sinn ver-<lb/> trauend, der Stimme in mir, ſo viel es in meiner Macht<lb/> geweſen, auf dem eigenen Wege gefolgt. Nun ſchien mir<lb/> dieſer Redekuͤnſtler mit großem Talent ein feſt gefuͤgtes<lb/> Gebaͤude aufzufuͤhren, das in ſich ſelbſt begruͤndet ſich<lb/> emportrug, und wie durch eine innere Nothwendigkeit<lb/> beſtand. Nur vermißt’ ich ganz in ihm, was ich eben<lb/> darin haͤtte ſuchen wollen, und ſo ward es mir zu einem<lb/> bloßen Kunſtwerk, deſſen zierliche Geſchloſſenheit und Voll-<lb/> endung dem Auge allein zur Ergoͤtzung diente; aber ich<lb/> hoͤrte dem wohlberedten Manne gerne zu, der meine Auf-<lb/> merkſamkeit von meinen Leiden auf ſich ſelbſt abgelenkt,<lb/> und ich haͤtte mich ihm willig ergeben, wenn er meine<lb/> Seele wie meinen Verſtand in Anſpruch genommen haͤtte.</p><lb/> <p>Mittlerweile war die Zeit hingegangen, und unbemerkt<lb/> hatte ſchon die Morgendaͤmmerung den Himmel erhellt;<lb/> ich erſchrak, als ich mit einem Mal aufblickte und im<lb/> Oſten die Pracht der Farben ſich entfalten ſah, die die<lb/> nahe Sonne verkuͤnden, und gegen ſie war in dieſer Stunde,<lb/> wo die Schlagſchatten mit ihrer ganzen Ausdehnung prun-<lb/> ken, kein Schutz, kein Bollwerk in der offenen Gegend zu<lb/> erſehn! und ich war nicht allein! Ich warf einen Blick<lb/> auf meinen Begleiter, und erſchrak wieder. — Es war<lb/> kein Anderer, als der Mann im grauen Rock.</p><lb/> <p>Er laͤchelte uͤber meine Beſtuͤrzung, und fuhr fort,<lb/> ohne mich zum Wort kommen zu laſſen: 〟Laßt doch, wie<lb/> es einmal in der Welt Sitte iſt, unſern wechſelſeitigen<lb/> Vortheil uns auf eine Weile verbinden, zu ſcheiden haben<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [302/0090]
Du es mir ſelber gerathen, meinem geraden Sinn ver-
trauend, der Stimme in mir, ſo viel es in meiner Macht
geweſen, auf dem eigenen Wege gefolgt. Nun ſchien mir
dieſer Redekuͤnſtler mit großem Talent ein feſt gefuͤgtes
Gebaͤude aufzufuͤhren, das in ſich ſelbſt begruͤndet ſich
emportrug, und wie durch eine innere Nothwendigkeit
beſtand. Nur vermißt’ ich ganz in ihm, was ich eben
darin haͤtte ſuchen wollen, und ſo ward es mir zu einem
bloßen Kunſtwerk, deſſen zierliche Geſchloſſenheit und Voll-
endung dem Auge allein zur Ergoͤtzung diente; aber ich
hoͤrte dem wohlberedten Manne gerne zu, der meine Auf-
merkſamkeit von meinen Leiden auf ſich ſelbſt abgelenkt,
und ich haͤtte mich ihm willig ergeben, wenn er meine
Seele wie meinen Verſtand in Anſpruch genommen haͤtte.
Mittlerweile war die Zeit hingegangen, und unbemerkt
hatte ſchon die Morgendaͤmmerung den Himmel erhellt;
ich erſchrak, als ich mit einem Mal aufblickte und im
Oſten die Pracht der Farben ſich entfalten ſah, die die
nahe Sonne verkuͤnden, und gegen ſie war in dieſer Stunde,
wo die Schlagſchatten mit ihrer ganzen Ausdehnung prun-
ken, kein Schutz, kein Bollwerk in der offenen Gegend zu
erſehn! und ich war nicht allein! Ich warf einen Blick
auf meinen Begleiter, und erſchrak wieder. — Es war
kein Anderer, als der Mann im grauen Rock.
Er laͤchelte uͤber meine Beſtuͤrzung, und fuhr fort,
ohne mich zum Wort kommen zu laſſen: 〟Laßt doch, wie
es einmal in der Welt Sitte iſt, unſern wechſelſeitigen
Vortheil uns auf eine Weile verbinden, zu ſcheiden haben
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