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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

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II.

Ich kam endlich wieder zu Sinnen, und eilte, diesen Ort
zu verlassen, wo ich hoffentlich nichts mehr zu thun hatte.
Ich füllte erst meine Taschen mit Gold, dann band ich
mir die Schnüre des Beutels um den Hals fest, und
verbarg ihn selbst auf meiner Brust. Ich kam unbeachtet
aus dem Park, erreichte die Landstraße, und nahm meinen
Weg nach der Stadt. Wie ich in Gedanken dem Thore
zu ging, hört' ich hinter mit schreien: "Junger Herr! he!
junger Herr! hören Sie doch!" -- Ich sah mich um, ein
altes Weib rief mir nach: "Sehe sich der Herr doch vor,
Sie haben Ihren Schatten verloren." -- "Danke,
Mütterchen!" ich warf ihr ein Goldstück für den wohl-
gemeinten Rath hin, und trat unter die Bäume.

Am Thore mußt' ich gleich wieder von der Schildwacht
hören: "Wo hat der Herr seinen Schatten gelassen?"
und gleich wieder darauf von ein Paar Frauen: "Jesus
Maria! der arme Mensch hat keinen Schatten!" Das
fing an mich zu verdrießen, und ich vermied sehr sorgfältig,
in die Sonne zu treten. Das ging aber nicht überall
an, zum Beispiel nicht über die Breitestraße, die ich zu-
nächst durchkreuzen mußte, und zwar, zu meinem Unheil,

II.

Ich kam endlich wieder zu Sinnen, und eilte, dieſen Ort
zu verlaſſen, wo ich hoffentlich nichts mehr zu thun hatte.
Ich fuͤllte erſt meine Taſchen mit Gold, dann band ich
mir die Schnuͤre des Beutels um den Hals feſt, und
verbarg ihn ſelbſt auf meiner Bruſt. Ich kam unbeachtet
aus dem Park, erreichte die Landſtraße, und nahm meinen
Weg nach der Stadt. Wie ich in Gedanken dem Thore
zu ging, hoͤrt’ ich hinter mit ſchreien: 〟Junger Herr! he!
junger Herr! hoͤren Sie doch!〞 — Ich ſah mich um, ein
altes Weib rief mir nach: 〟Sehe ſich der Herr doch vor,
Sie haben Ihren Schatten verloren.〞 — 〟Danke,
Muͤtterchen!〞 ich warf ihr ein Goldſtuͤck fuͤr den wohl-
gemeinten Rath hin, und trat unter die Baͤume.

Am Thore mußt’ ich gleich wieder von der Schildwacht
hoͤren: 〟Wo hat der Herr ſeinen Schatten gelaſſen?〞
und gleich wieder darauf von ein Paar Frauen: 〟Jeſus
Maria! der arme Menſch hat keinen Schatten!〞 Das
fing an mich zu verdrießen, und ich vermied ſehr ſorgfaͤltig,
in die Sonne zu treten. Das ging aber nicht uͤberall
an, zum Beiſpiel nicht uͤber die Breiteſtraße, die ich zu-
naͤchſt durchkreuzen mußte, und zwar, zu meinem Unheil,

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[0031] II. Ich kam endlich wieder zu Sinnen, und eilte, dieſen Ort zu verlaſſen, wo ich hoffentlich nichts mehr zu thun hatte. Ich fuͤllte erſt meine Taſchen mit Gold, dann band ich mir die Schnuͤre des Beutels um den Hals feſt, und verbarg ihn ſelbſt auf meiner Bruſt. Ich kam unbeachtet aus dem Park, erreichte die Landſtraße, und nahm meinen Weg nach der Stadt. Wie ich in Gedanken dem Thore zu ging, hoͤrt’ ich hinter mit ſchreien: 〟Junger Herr! he! junger Herr! hoͤren Sie doch!〞 — Ich ſah mich um, ein altes Weib rief mir nach: 〟Sehe ſich der Herr doch vor, Sie haben Ihren Schatten verloren.〞 — 〟Danke, Muͤtterchen!〞 ich warf ihr ein Goldſtuͤck fuͤr den wohl- gemeinten Rath hin, und trat unter die Baͤume. Am Thore mußt’ ich gleich wieder von der Schildwacht hoͤren: 〟Wo hat der Herr ſeinen Schatten gelaſſen?〞 und gleich wieder darauf von ein Paar Frauen: 〟Jeſus Maria! der arme Menſch hat keinen Schatten!〞 Das fing an mich zu verdrießen, und ich vermied ſehr ſorgfaͤltig, in die Sonne zu treten. Das ging aber nicht uͤberall an, zum Beiſpiel nicht uͤber die Breiteſtraße, die ich zu- naͤchſt durchkreuzen mußte, und zwar, zu meinem Unheil,

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/31>, abgerufen am 29.03.2024.