dränge allmählig zu, um jenen Punkt, wo der Schatz begraben liegt; zuerst Einzelne, dann Mehrere rütteln an dem verschlossenen Thore, bis endlich, wenn alle Vorbereitungen erschöpft sind, der Sohn des Glücks hervortritt aus der Menge, und mit einem Drucke seiner Hand die Riegel sprengt, und sofort aus der weit geöffneten Pforte ein Strom von Licht sich ergießt, der die ganze unbekannte, früher in tiefe Nacht begrabene Gegend mit seinen Strahlen, nicht mit jenem verzehrenden Feuer des Ehrgeizes und der Eroberungssucht, sondern mit den milden, wohlthätigen Strah- len der Wahrheit und der Erkenntniß erleuchtet.
§. 23. (Vorgänger Newtons.) Nahe zwei Jahrhunderte vor der Entdeckung, von welcher wir hier sprechen, hatte uns Coper- nicus (geb. 1472, gest. 1543) die Bewegung der Planeten in Kreisen gelehrt, deren gemeinschaftlicher Mittelpunkt die Sonne ist, und uns dadurch den Weg gezeigt, auf dem allein eine wahre Kenntniß des Himmels und ein Fortschreiten der Wissenschaft möglich war. Er gab uns das neue Testament der Astronomie, und Kepler (geb. 1571, gest. 1630) lieferte uns eine neue, we- sentlich verbesserte Auflage desselben, indem er das unnütze Gerüste der Epicykeln niederriß, mit welchem die Alten unser Sonnensystem überladen hatten, und welches auch Copernicus noch beizubehalten gezwungen war. Er zeigte uns, daß sich die Planeten nicht in Kreisen, sondern in Ellipsen, in deren einem Brennpunkte die Sonne ist, bewegen, und er lehrte uns die drei Gesetze kennen, nach welchen diese Bewegungen vor sich gehen. Dadurch erst ge- wann die Sternkunde eine mathematische Unterlage und eine eigentlich streng wissenschaftliche Gestalt.
Aber noch war der Grund dieser Gesetze, gleichsam das einzige oberste Gesetz unbekannt, von welchen jene drei nur ein Ausfluß, eine bloße Folge seyn sollten. Zwar hatte Kepler selbst mehr als eine Muthmaßung darüber aufgestellt, aber auch nur Muthmaßungen, durch keine Rechnung unterstützt und alles eigentlichen Beweises entbehrend. An geistiger Kraft fehlte es dem seltenen Manne nicht, diese von ihm geahnte Höhe zu erreichen; aber seine kläglichen Lebensverhältnisse, die Mißgunst des Glücks, ohne das nichts Großes gedeiht, und vielleicht selbst die zu große Lebhaftigkeit seiner Imagination, die ihn nur zu oft
Allgemeine Schwere.
dränge allmählig zu, um jenen Punkt, wo der Schatz begraben liegt; zuerſt Einzelne, dann Mehrere rütteln an dem verſchloſſenen Thore, bis endlich, wenn alle Vorbereitungen erſchöpft ſind, der Sohn des Glücks hervortritt aus der Menge, und mit einem Drucke ſeiner Hand die Riegel ſprengt, und ſofort aus der weit geöffneten Pforte ein Strom von Licht ſich ergießt, der die ganze unbekannte, früher in tiefe Nacht begrabene Gegend mit ſeinen Strahlen, nicht mit jenem verzehrenden Feuer des Ehrgeizes und der Eroberungsſucht, ſondern mit den milden, wohlthätigen Strah- len der Wahrheit und der Erkenntniß erleuchtet.
§. 23. (Vorgänger Newtons.) Nahe zwei Jahrhunderte vor der Entdeckung, von welcher wir hier ſprechen, hatte uns Coper- nicus (geb. 1472, geſt. 1543) die Bewegung der Planeten in Kreiſen gelehrt, deren gemeinſchaftlicher Mittelpunkt die Sonne iſt, und uns dadurch den Weg gezeigt, auf dem allein eine wahre Kenntniß des Himmels und ein Fortſchreiten der Wiſſenſchaft möglich war. Er gab uns das neue Teſtament der Aſtronomie, und Kepler (geb. 1571, geſt. 1630) lieferte uns eine neue, we- ſentlich verbeſſerte Auflage deſſelben, indem er das unnütze Gerüſte der Epicykeln niederriß, mit welchem die Alten unſer Sonnenſyſtem überladen hatten, und welches auch Copernicus noch beizubehalten gezwungen war. Er zeigte uns, daß ſich die Planeten nicht in Kreiſen, ſondern in Ellipſen, in deren einem Brennpunkte die Sonne iſt, bewegen, und er lehrte uns die drei Geſetze kennen, nach welchen dieſe Bewegungen vor ſich gehen. Dadurch erſt ge- wann die Sternkunde eine mathematiſche Unterlage und eine eigentlich ſtreng wiſſenſchaftliche Geſtalt.
Aber noch war der Grund dieſer Geſetze, gleichſam das einzige oberſte Geſetz unbekannt, von welchen jene drei nur ein Ausfluß, eine bloße Folge ſeyn ſollten. Zwar hatte Kepler ſelbſt mehr als eine Muthmaßung darüber aufgeſtellt, aber auch nur Muthmaßungen, durch keine Rechnung unterſtützt und alles eigentlichen Beweiſes entbehrend. An geiſtiger Kraft fehlte es dem ſeltenen Manne nicht, dieſe von ihm geahnte Höhe zu erreichen; aber ſeine kläglichen Lebensverhältniſſe, die Mißgunſt des Glücks, ohne das nichts Großes gedeiht, und vielleicht ſelbſt die zu große Lebhaftigkeit ſeiner Imagination, die ihn nur zu oft
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0043"n="31"/><fwplace="top"type="header">Allgemeine Schwere.</fw><lb/>
dränge allmählig zu, um jenen Punkt, wo der Schatz begraben<lb/>
liegt; zuerſt Einzelne, dann Mehrere rütteln an dem verſchloſſenen<lb/>
Thore, bis endlich, wenn alle Vorbereitungen erſchöpft ſind, der<lb/>
Sohn des Glücks hervortritt aus der Menge, und mit einem<lb/>
Drucke ſeiner Hand die Riegel ſprengt, und ſofort aus der weit<lb/>
geöffneten Pforte ein Strom von Licht ſich ergießt, der die ganze<lb/>
unbekannte, früher in tiefe Nacht begrabene Gegend mit ſeinen<lb/>
Strahlen, nicht mit jenem verzehrenden Feuer des Ehrgeizes und<lb/>
der Eroberungsſucht, ſondern mit den milden, wohlthätigen Strah-<lb/>
len der Wahrheit und der Erkenntniß erleuchtet.</p><lb/><p>§. 23. (Vorgänger Newtons.) Nahe zwei Jahrhunderte vor<lb/>
der Entdeckung, von welcher wir hier ſprechen, hatte uns <hirendition="#g">Coper-<lb/>
nicus</hi> (geb. 1472, geſt. 1543) die Bewegung der Planeten in<lb/>
Kreiſen gelehrt, deren gemeinſchaftlicher Mittelpunkt die Sonne<lb/>
iſt, und uns dadurch den Weg gezeigt, auf dem allein eine wahre<lb/>
Kenntniß des Himmels und ein Fortſchreiten der Wiſſenſchaft<lb/>
möglich war. Er gab uns das neue Teſtament der Aſtronomie,<lb/>
und <hirendition="#g">Kepler</hi> (geb. 1571, geſt. 1630) lieferte uns eine neue, we-<lb/>ſentlich verbeſſerte Auflage deſſelben, indem er das unnütze Gerüſte<lb/>
der Epicykeln niederriß, mit welchem die Alten unſer Sonnenſyſtem<lb/>
überladen hatten, und welches auch Copernicus noch beizubehalten<lb/>
gezwungen war. Er zeigte uns, daß ſich die Planeten nicht in<lb/>
Kreiſen, ſondern in Ellipſen, in deren einem Brennpunkte die<lb/>
Sonne iſt, bewegen, und er lehrte uns die drei Geſetze kennen,<lb/>
nach welchen dieſe Bewegungen vor ſich gehen. Dadurch erſt ge-<lb/>
wann die Sternkunde eine mathematiſche Unterlage und eine<lb/>
eigentlich ſtreng wiſſenſchaftliche Geſtalt.</p><lb/><p>Aber noch war der Grund dieſer Geſetze, gleichſam das<lb/><hirendition="#g">einzige oberſte Geſetz</hi> unbekannt, von welchen jene drei nur<lb/>
ein Ausfluß, eine bloße Folge ſeyn ſollten. Zwar hatte Kepler<lb/>ſelbſt mehr als eine Muthmaßung darüber aufgeſtellt, aber auch<lb/>
nur Muthmaßungen, durch keine Rechnung unterſtützt und alles<lb/>
eigentlichen Beweiſes entbehrend. An geiſtiger Kraft fehlte es<lb/>
dem ſeltenen Manne nicht, dieſe von ihm geahnte Höhe zu<lb/>
erreichen; aber ſeine kläglichen Lebensverhältniſſe, die Mißgunſt<lb/>
des Glücks, ohne das nichts Großes gedeiht, und vielleicht ſelbſt<lb/>
die zu große Lebhaftigkeit ſeiner Imagination, die ihn nur zu oft<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[31/0043]
Allgemeine Schwere.
dränge allmählig zu, um jenen Punkt, wo der Schatz begraben
liegt; zuerſt Einzelne, dann Mehrere rütteln an dem verſchloſſenen
Thore, bis endlich, wenn alle Vorbereitungen erſchöpft ſind, der
Sohn des Glücks hervortritt aus der Menge, und mit einem
Drucke ſeiner Hand die Riegel ſprengt, und ſofort aus der weit
geöffneten Pforte ein Strom von Licht ſich ergießt, der die ganze
unbekannte, früher in tiefe Nacht begrabene Gegend mit ſeinen
Strahlen, nicht mit jenem verzehrenden Feuer des Ehrgeizes und
der Eroberungsſucht, ſondern mit den milden, wohlthätigen Strah-
len der Wahrheit und der Erkenntniß erleuchtet.
§. 23. (Vorgänger Newtons.) Nahe zwei Jahrhunderte vor
der Entdeckung, von welcher wir hier ſprechen, hatte uns Coper-
nicus (geb. 1472, geſt. 1543) die Bewegung der Planeten in
Kreiſen gelehrt, deren gemeinſchaftlicher Mittelpunkt die Sonne
iſt, und uns dadurch den Weg gezeigt, auf dem allein eine wahre
Kenntniß des Himmels und ein Fortſchreiten der Wiſſenſchaft
möglich war. Er gab uns das neue Teſtament der Aſtronomie,
und Kepler (geb. 1571, geſt. 1630) lieferte uns eine neue, we-
ſentlich verbeſſerte Auflage deſſelben, indem er das unnütze Gerüſte
der Epicykeln niederriß, mit welchem die Alten unſer Sonnenſyſtem
überladen hatten, und welches auch Copernicus noch beizubehalten
gezwungen war. Er zeigte uns, daß ſich die Planeten nicht in
Kreiſen, ſondern in Ellipſen, in deren einem Brennpunkte die
Sonne iſt, bewegen, und er lehrte uns die drei Geſetze kennen,
nach welchen dieſe Bewegungen vor ſich gehen. Dadurch erſt ge-
wann die Sternkunde eine mathematiſche Unterlage und eine
eigentlich ſtreng wiſſenſchaftliche Geſtalt.
Aber noch war der Grund dieſer Geſetze, gleichſam das
einzige oberſte Geſetz unbekannt, von welchen jene drei nur
ein Ausfluß, eine bloße Folge ſeyn ſollten. Zwar hatte Kepler
ſelbſt mehr als eine Muthmaßung darüber aufgeſtellt, aber auch
nur Muthmaßungen, durch keine Rechnung unterſtützt und alles
eigentlichen Beweiſes entbehrend. An geiſtiger Kraft fehlte es
dem ſeltenen Manne nicht, dieſe von ihm geahnte Höhe zu
erreichen; aber ſeine kläglichen Lebensverhältniſſe, die Mißgunſt
des Glücks, ohne das nichts Großes gedeiht, und vielleicht ſelbſt
die zu große Lebhaftigkeit ſeiner Imagination, die ihn nur zu oft
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/43>, abgerufen am 24.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.