Erster Abschnitt. Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
Erstes Capitel. Die allgemeinsten Naturgesetze.
6 Gesetz der Cau- salität.
Das erste Gesetz der Physik, welches dieselbe mit allen anderen Wissenschaften gemein hat, ist der Satz, dass Alles, was geschieht, eine Ursache haben muss, oder das Gesetz der Causalität. In- sofern dieses Gesetz eine allgemeine Forderung unseres Denkens ist und wir gemäss demselben überall, wo wir eine Erscheinung beobach- ten, einen zureichenden Grund für dieselbe aufsuchen müssen, bezeich- net man dasselbe auch als den Satz vom zureichenden Grunde. Das Causalgesetz ist eine unmittelbare Folge jener in der Natur zu beobachtenden Gesetzmässigkeit der Erscheinungen, durch die wir ge- zwungen werden, jede Erscheinung als die Wirkung irgend einer Ur- sache anzusehen. Da die Gesetzmässigkeit der Natur jedenfalls eine Thatsache der Erfahrung ist, so betrachtet die Naturwissenschaft das Causalgesetz als ein Erfahrungsaxiom. Insofern dasselbe aber das allgemeinste Erfahrungsaxiom ist, ist seine Gewissheit so gross, als die Gewissheit der Erfahrung nur sein kann.
Aus dem Causalgesetz folgt, dass, wenn zu den vorhandenen Ur- sachen keine neue hinzukommt, in dem vorhandenen Zustande der Dinge auch keine Aenderung eintritt. Da nun jede Veränderung in der Natur auf Bewegungen zurückführbar ist und wir die Bewegungs- ursachen Kräfte genannt haben, so lässt sich diese Folgerung für das Gebiet der physikalischen Erscheinungen in dem Satze ausdrücken: Jeder Körper verharrt, wenn keine neue Kraft auf ihn einwirkt, in dem einmal angenommenen Zustand; wenn er in Ruhe ist, so bleibt er in Ruhe, und wenn er in Bewegung ist, so bleibt er in Bewegung.
Erster Abschnitt. Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
Erstes Capitel. Die allgemeinsten Naturgesetze.
6 Gesetz der Cau- salität.
Das erste Gesetz der Physik, welches dieselbe mit allen anderen Wissenschaften gemein hat, ist der Satz, dass Alles, was geschieht, eine Ursache haben muss, oder das Gesetz der Causalität. In- sofern dieses Gesetz eine allgemeine Forderung unseres Denkens ist und wir gemäss demselben überall, wo wir eine Erscheinung beobach- ten, einen zureichenden Grund für dieselbe aufsuchen müssen, bezeich- net man dasselbe auch als den Satz vom zureichenden Grunde. Das Causalgesetz ist eine unmittelbare Folge jener in der Natur zu beobachtenden Gesetzmässigkeit der Erscheinungen, durch die wir ge- zwungen werden, jede Erscheinung als die Wirkung irgend einer Ur- sache anzusehen. Da die Gesetzmässigkeit der Natur jedenfalls eine Thatsache der Erfahrung ist, so betrachtet die Naturwissenschaft das Causalgesetz als ein Erfahrungsaxiom. Insofern dasselbe aber das allgemeinste Erfahrungsaxiom ist, ist seine Gewissheit so gross, als die Gewissheit der Erfahrung nur sein kann.
Aus dem Causalgesetz folgt, dass, wenn zu den vorhandenen Ur- sachen keine neue hinzukommt, in dem vorhandenen Zustande der Dinge auch keine Aenderung eintritt. Da nun jede Veränderung in der Natur auf Bewegungen zurückführbar ist und wir die Bewegungs- ursachen Kräfte genannt haben, so lässt sich diese Folgerung für das Gebiet der physikalischen Erscheinungen in dem Satze ausdrücken: Jeder Körper verharrt, wenn keine neue Kraft auf ihn einwirkt, in dem einmal angenommenen Zustand; wenn er in Ruhe ist, so bleibt er in Ruhe, und wenn er in Bewegung ist, so bleibt er in Bewegung.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0028"n="[6]"/><divn="1"><head><hirendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.<lb/>
Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im<lb/>
Allgemeinen.</head><lb/><divn="2"><head><hirendition="#g">Erstes Capitel</hi>.<lb/>
Die allgemeinsten Naturgesetze.</head><lb/><noteplace="left">6<lb/>
Gesetz der Cau-<lb/>
salität.</note><p>Das erste Gesetz der Physik, welches dieselbe mit allen anderen<lb/>
Wissenschaften gemein hat, ist der Satz, dass Alles, was geschieht,<lb/>
eine Ursache haben muss, oder <hirendition="#g">das Gesetz der Causalität</hi>. In-<lb/>
sofern dieses Gesetz eine allgemeine Forderung unseres Denkens ist<lb/>
und wir gemäss demselben überall, wo wir eine Erscheinung beobach-<lb/>
ten, einen zureichenden Grund für dieselbe aufsuchen müssen, bezeich-<lb/>
net man dasselbe auch als den <hirendition="#g">Satz vom zureichenden Grunde</hi>.<lb/>
Das Causalgesetz ist eine unmittelbare Folge jener in der Natur zu<lb/>
beobachtenden Gesetzmässigkeit der Erscheinungen, durch die wir ge-<lb/>
zwungen werden, jede Erscheinung als die Wirkung irgend einer Ur-<lb/>
sache anzusehen. Da die Gesetzmässigkeit der Natur jedenfalls eine<lb/>
Thatsache der Erfahrung ist, so betrachtet die Naturwissenschaft das<lb/>
Causalgesetz als ein Erfahrungsaxiom. Insofern dasselbe aber das<lb/>
allgemeinste Erfahrungsaxiom ist, ist seine Gewissheit so gross, als<lb/>
die Gewissheit der Erfahrung nur sein kann.</p><lb/><p>Aus dem Causalgesetz folgt, dass, wenn zu den vorhandenen Ur-<lb/>
sachen keine neue hinzukommt, in dem vorhandenen Zustande der<lb/>
Dinge auch keine Aenderung eintritt. Da nun jede Veränderung in<lb/>
der Natur auf Bewegungen zurückführbar ist und wir die Bewegungs-<lb/>
ursachen Kräfte genannt haben, so lässt sich diese Folgerung für das<lb/>
Gebiet der physikalischen Erscheinungen in dem Satze ausdrücken:<lb/>
Jeder Körper verharrt, wenn keine neue Kraft auf ihn einwirkt, in<lb/>
dem einmal angenommenen Zustand; wenn er in Ruhe ist, so bleibt<lb/>
er in Ruhe, und wenn er in Bewegung ist, so bleibt er in Bewegung.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[6]/0028]
Erster Abschnitt.
Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im
Allgemeinen.
Erstes Capitel.
Die allgemeinsten Naturgesetze.
Das erste Gesetz der Physik, welches dieselbe mit allen anderen
Wissenschaften gemein hat, ist der Satz, dass Alles, was geschieht,
eine Ursache haben muss, oder das Gesetz der Causalität. In-
sofern dieses Gesetz eine allgemeine Forderung unseres Denkens ist
und wir gemäss demselben überall, wo wir eine Erscheinung beobach-
ten, einen zureichenden Grund für dieselbe aufsuchen müssen, bezeich-
net man dasselbe auch als den Satz vom zureichenden Grunde.
Das Causalgesetz ist eine unmittelbare Folge jener in der Natur zu
beobachtenden Gesetzmässigkeit der Erscheinungen, durch die wir ge-
zwungen werden, jede Erscheinung als die Wirkung irgend einer Ur-
sache anzusehen. Da die Gesetzmässigkeit der Natur jedenfalls eine
Thatsache der Erfahrung ist, so betrachtet die Naturwissenschaft das
Causalgesetz als ein Erfahrungsaxiom. Insofern dasselbe aber das
allgemeinste Erfahrungsaxiom ist, ist seine Gewissheit so gross, als
die Gewissheit der Erfahrung nur sein kann.
Aus dem Causalgesetz folgt, dass, wenn zu den vorhandenen Ur-
sachen keine neue hinzukommt, in dem vorhandenen Zustande der
Dinge auch keine Aenderung eintritt. Da nun jede Veränderung in
der Natur auf Bewegungen zurückführbar ist und wir die Bewegungs-
ursachen Kräfte genannt haben, so lässt sich diese Folgerung für das
Gebiet der physikalischen Erscheinungen in dem Satze ausdrücken:
Jeder Körper verharrt, wenn keine neue Kraft auf ihn einwirkt, in
dem einmal angenommenen Zustand; wenn er in Ruhe ist, so bleibt
er in Ruhe, und wenn er in Bewegung ist, so bleibt er in Bewegung.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. [6]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/28>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.