Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Theil 19. Hauptstück.
muß man die erweiterte Auslegung
einräumen
(§. 810.).

§. 812.
Vom
Betrug,
der in
Absicht
eines Ge-
setzes,
oder des
Vertrags
geschieht.

Man sagt, derjenige handele aus Be-
trug wider ein Gesetze, oder einen Ver-
trag
(fraudem legi, vel pacto facere dici-
tur),
der etwas thut, was zwar den Wor-
ten des Gesetzes, oder des Vertrages nicht
entgegen ist, aber gleichwohl dem Sinn des
Gesetzgebers, oder dessen, der den Vertrag
gemacht, zuwider ist. Da man ausser der
Bedeutung der Worte zeigen muß, daß aus
Betrug wider das Gesetze, oder den Vertrag
gehandelt wird; folglich dieses aus dem
Grunde erhellen muß, warum das Gesetze
gegeben, oder der Vertrag gemacht worden;
so hebt die erweiterte Auslegung den
Betrug auf, der in Absicht eines Ge-
setzes, oder Vertrages geschehen kann.

§. 813.
Von der
einschrän-
ckenden
Ausle-
gung.

Eine einschränckende Auslegung (in-
terpretatio restrictiva)
ist, wenn ein gewisser
Fall zwar in den Worten mit begriffen ist, jeden-
noch aber, weil derselbe Grund nicht vorhanden,
warum der Gesetzgeber, oder der den Ver-
trag gemacht, wollte, daß dieses geschehen soll-
te, oder nicht, ausgenommen wird. Es er-
hellet auf eben die Weise, wie vorhin (§. 811.),
daß man die einschränckende Ausle-
gung zulassen müsse.
Weil man die Aus-
legung darnach machen muß, was einer wahr-

schein-

II. Theil 19. Hauptſtuͤck.
muß man die erweiterte Auslegung
einraͤumen
(§. 810.).

§. 812.
Vom
Betrug,
der in
Abſicht
eines Ge-
ſetzes,
oder des
Vertꝛags
geſchieht.

Man ſagt, derjenige handele aus Be-
trug wider ein Geſetze, oder einen Ver-
trag
(fraudem legi, vel pacto facere dici-
tur),
der etwas thut, was zwar den Wor-
ten des Geſetzes, oder des Vertrages nicht
entgegen iſt, aber gleichwohl dem Sinn des
Geſetzgebers, oder deſſen, der den Vertrag
gemacht, zuwider iſt. Da man auſſer der
Bedeutung der Worte zeigen muß, daß aus
Betrug wider das Geſetze, oder den Vertrag
gehandelt wird; folglich dieſes aus dem
Grunde erhellen muß, warum das Geſetze
gegeben, oder der Vertrag gemacht worden;
ſo hebt die erweiterte Auslegung den
Betrug auf, der in Abſicht eines Ge-
ſetzes, oder Vertrages geſchehen kann.

§. 813.
Von der
einſchꝛaͤn-
ckenden
Ausle-
gung.

Eine einſchraͤnckende Auslegung (in-
terpretatio reſtrictiva)
iſt, wenn ein gewiſſer
Fall zwar in den Worten mit begriffen iſt, jeden-
noch aber, weil derſelbe Grund nicht vorhanden,
warum der Geſetzgeber, oder der den Ver-
trag gemacht, wollte, daß dieſes geſchehen ſoll-
te, oder nicht, ausgenommen wird. Es er-
hellet auf eben die Weiſe, wie vorhin (§. 811.),
daß man die einſchraͤnckende Ausle-
gung zulaſſen muͤſſe.
Weil man die Aus-
legung darnach machen muß, was einer wahr-

ſchein-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0634" n="598"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#b">Theil 19. Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">muß man die erweiterte Auslegung<lb/>
einra&#x0364;umen</hi> (§. 810.).</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 812.</head><lb/>
              <note place="left">Vom<lb/>
Betrug,<lb/>
der in<lb/>
Ab&#x017F;icht<lb/>
eines Ge-<lb/>
&#x017F;etzes,<lb/>
oder des<lb/>
Vert&#xA75B;ags<lb/>
ge&#x017F;chieht.</note>
              <p>Man &#x017F;agt, <hi rendition="#fr">derjenige handele aus Be-<lb/>
trug wider ein Ge&#x017F;etze, oder einen Ver-<lb/>
trag</hi> <hi rendition="#aq">(fraudem legi, vel pacto facere dici-<lb/>
tur),</hi> der etwas thut, was zwar den Wor-<lb/>
ten des Ge&#x017F;etzes, oder des Vertrages nicht<lb/>
entgegen i&#x017F;t, aber gleichwohl dem Sinn des<lb/>
Ge&#x017F;etzgebers, oder de&#x017F;&#x017F;en, der den Vertrag<lb/>
gemacht, zuwider i&#x017F;t. Da man au&#x017F;&#x017F;er der<lb/>
Bedeutung der Worte zeigen muß, daß aus<lb/>
Betrug wider das Ge&#x017F;etze, oder den Vertrag<lb/>
gehandelt wird; folglich die&#x017F;es aus dem<lb/>
Grunde erhellen muß, warum das Ge&#x017F;etze<lb/>
gegeben, oder der Vertrag gemacht worden;<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;o hebt die erweiterte Auslegung den<lb/>
Betrug auf, der in Ab&#x017F;icht eines Ge-<lb/>
&#x017F;etzes, oder Vertrages ge&#x017F;chehen kann.</hi></p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 813.</head><lb/>
              <note place="left">Von der<lb/>
ein&#x017F;ch&#xA75B;a&#x0364;n-<lb/>
ckenden<lb/>
Ausle-<lb/>
gung.</note>
              <p>Eine <hi rendition="#fr">ein&#x017F;chra&#x0364;nckende Auslegung</hi> <hi rendition="#aq">(in-<lb/>
terpretatio re&#x017F;trictiva)</hi> i&#x017F;t, wenn ein gewi&#x017F;&#x017F;er<lb/>
Fall zwar in den Worten mit begriffen i&#x017F;t, jeden-<lb/>
noch aber, weil der&#x017F;elbe Grund nicht vorhanden,<lb/>
warum der Ge&#x017F;etzgeber, oder der den Ver-<lb/>
trag gemacht, wollte, daß die&#x017F;es ge&#x017F;chehen &#x017F;oll-<lb/>
te, oder nicht, ausgenommen wird. Es er-<lb/>
hellet auf eben die Wei&#x017F;e, wie vorhin (§. 811.),<lb/><hi rendition="#fr">daß man die ein&#x017F;chra&#x0364;nckende Ausle-<lb/>
gung zula&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</hi> Weil man die Aus-<lb/>
legung darnach machen muß, was einer wahr-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chein-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[598/0634] II. Theil 19. Hauptſtuͤck. muß man die erweiterte Auslegung einraͤumen (§. 810.). §. 812. Man ſagt, derjenige handele aus Be- trug wider ein Geſetze, oder einen Ver- trag (fraudem legi, vel pacto facere dici- tur), der etwas thut, was zwar den Wor- ten des Geſetzes, oder des Vertrages nicht entgegen iſt, aber gleichwohl dem Sinn des Geſetzgebers, oder deſſen, der den Vertrag gemacht, zuwider iſt. Da man auſſer der Bedeutung der Worte zeigen muß, daß aus Betrug wider das Geſetze, oder den Vertrag gehandelt wird; folglich dieſes aus dem Grunde erhellen muß, warum das Geſetze gegeben, oder der Vertrag gemacht worden; ſo hebt die erweiterte Auslegung den Betrug auf, der in Abſicht eines Ge- ſetzes, oder Vertrages geſchehen kann. §. 813. Eine einſchraͤnckende Auslegung (in- terpretatio reſtrictiva) iſt, wenn ein gewiſſer Fall zwar in den Worten mit begriffen iſt, jeden- noch aber, weil derſelbe Grund nicht vorhanden, warum der Geſetzgeber, oder der den Ver- trag gemacht, wollte, daß dieſes geſchehen ſoll- te, oder nicht, ausgenommen wird. Es er- hellet auf eben die Weiſe, wie vorhin (§. 811.), daß man die einſchraͤnckende Ausle- gung zulaſſen muͤſſe. Weil man die Aus- legung darnach machen muß, was einer wahr- ſchein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/634
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/634>, abgerufen am 21.11.2024.