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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der attische bürgerchor.
nationale stellung einnahmen, so dass wir die pindarischen sänger von
ort zu ort wandern sehen und sehr oft das lob des ringlehrers vernehmen,
wurden diese gilden in Athen aufgehoben, die ringschulen verstaatlicht
und der zutritt jedem bürger kostenlos gewährt 39). die herkömmlichen
wettkämpfe blieben zwar bestehen und der zutritt stand ausländern frei,
aber die wertschätzung sank und keinerlei gunst ist diesen aristokra-
tischen vergnügungen zu teil geworden. die bauern und ruderer hatten
nicht die geschmeidigen glieder und weder zeit noch lust sich dem training
zu unterwerfen. dafür bildete man die volksbelustigung des fackellaufes
zu einer staatlichen einrichtung aus, für welche die gymnasiarchie ge-
stiftet ward, und liess die militärische parade das wettturnen ersetzen.
auch die gilden der sänger und tänzer wurden geschlossen. für die musik
brauchte man freilich fremde, zumal die argivischen und boeotischen
pfeifer, weil auch dafür eine ausbildung nötig war, zu der die bürger
nicht zeit hatten; aber die chöre stellten sie selbst. die reichen wirkten
mit als choregen, die unbemittelten als choreuten: es war beides eine
frohnde, ein munus, ganz wie die verpflichtung als offizier oder gemeiner
zu dienen. und auch die regellosigkeit der musikalischen aufführung ward
beseitigt. wol verwehrte man dem einzelnen nicht, sich zu seinem ver-

39) Wer aus den institutionen, wie sie bestanden und uns in der praxis be-
merklich sind, den schluss auf das recht, den leitenden gedanken, machen kann,
der braucht hierfür kein zeugnis. es fehlt aber nicht. der aristokrat, der die po-
liteia Athenaion geschrieben hat, empfand das charakteristische der festordnung
sehr wol, wenn er sie auch gehässig darstellte. er sagt 1, 13 tous de gumnazome-
nous autothi kai tous mousiken epitedeuontas kataleluken o demos, nomizon touto
ou kalon einai gnous oti [ou] dunata taut estin epitedeuein en tais khoregiais;
autoi gar sphisin autois agathon eneinai en tais khoregiais kai gumnasiarkhiais
kai trierarkhiais gignoskousin, oti khoregousi men oi plousioi, khoregeitai de o
demos, kai trierarkhousi men kai gumnasiarkhousin oi plousioi, o de demos trie-
rarkheitai kai gumnasiarkheitai; axioi goun argurion lambanein o demos kai adon
kai trekhon kai orkhoumenos kai pleon en tais nausin, ina autos te ekhe kai oi
plousioi penesteroi gignontai. die erste lücke habe ich angesetzt und ausgefüllt,
auch ou gestrichen. die sehr gewaltsame gewöhnliche behandlung verfehlt den sinn:
sie lässt den demos, der die dramen spielt, sich eingestehn, dass er nichts von
musik verstünde, und macht gignoskousi völlig unverständlich. der demos hält die
gilde für verwerflich, weil er erkennt, dass sich dasselbe in der form der choregie
erreichen lässt, die ihm doch um des profites willen so sehr am herzen liegt. vgl.
Hermes 20, 67; dem gleichzeitig geäusserten bedenken Büchelers Rh. M. 40, 312 wird
so genüge geleistet. die opposition der gilden, von welcher das erhaltene hypor-
chem des Pratinas ein so beredtes zeugnis ablegt, war damals schon gänzlich ver-
stummt. die choregie hatte die probe längst glänzend bestanden; in der ersten zeit
wird freilich das selbstgefühl der geschulten sänger berechtigt gewesen sein.

Der attische bürgerchor.
nationale stellung einnahmen, so daſs wir die pindarischen sänger von
ort zu ort wandern sehen und sehr oft das lob des ringlehrers vernehmen,
wurden diese gilden in Athen aufgehoben, die ringschulen verstaatlicht
und der zutritt jedem bürger kostenlos gewährt 39). die herkömmlichen
wettkämpfe blieben zwar bestehen und der zutritt stand ausländern frei,
aber die wertschätzung sank und keinerlei gunst ist diesen aristokra-
tischen vergnügungen zu teil geworden. die bauern und ruderer hatten
nicht die geschmeidigen glieder und weder zeit noch lust sich dem training
zu unterwerfen. dafür bildete man die volksbelustigung des fackellaufes
zu einer staatlichen einrichtung aus, für welche die gymnasiarchie ge-
stiftet ward, und lieſs die militärische parade das wettturnen ersetzen.
auch die gilden der sänger und tänzer wurden geschlossen. für die musik
brauchte man freilich fremde, zumal die argivischen und boeotischen
pfeifer, weil auch dafür eine ausbildung nötig war, zu der die bürger
nicht zeit hatten; aber die chöre stellten sie selbst. die reichen wirkten
mit als choregen, die unbemittelten als choreuten: es war beides eine
frohnde, ein munus, ganz wie die verpflichtung als offizier oder gemeiner
zu dienen. und auch die regellosigkeit der musikalischen aufführung ward
beseitigt. wol verwehrte man dem einzelnen nicht, sich zu seinem ver-

39) Wer aus den institutionen, wie sie bestanden und uns in der praxis be-
merklich sind, den schluſs auf das recht, den leitenden gedanken, machen kann,
der braucht hierfür kein zeugnis. es fehlt aber nicht. der aristokrat, der die πο-
λιτεία Ἀϑηναίων geschrieben hat, empfand das charakteristische der festordnung
sehr wol, wenn er sie auch gehässig darstellte. er sagt 1, 13 τοὺς δὲ γυμναζομέ-
νους αὐτόϑι καὶ τοὺς μουσικὴν ἐπιτηδεύοντας καταλέλυκεν ὁ δῆμος, νομίζων τοῦτο
οὐ καλὸν εἶναι γνοὺς ὅτι [οὐ] δυνατὰ ταῦτ̕ ἐστὶν ἐπιτηδεύειν ἐν ταῖς χορηγίαις·
αὐ⟨τοὶ γὰρ σφίσιν αὐτοῖς ἀγαϑὸν ἐνεῖναι ἐν ταῖς χορηγίαις⟩ καὶ γυμνασιαρχίαις
καὶ τριηραρχίαις γιγνὠσκουσιν, ὃτι χορηγοῦσι μἐν οἱ πλούσιοι, χορηγεῖται δὲ ό
δῆμος, ⟨καὶ τριηραρχοῦσι μὲν⟩ καὶ γυμνασιαρχοῦσιν οἱ πλούσιοι, ὁ δὲ δῆμος τριη-
ραρχεῖται καὶ γυμνασιαρχεῖται· ἀξιοῖ γοῦν ἀργύριον λαμβάνειν ὁ δῆμος καὶ ᾄδων
καὶ τρέχων καὶ ὀρχούμενος καὶ πλέων ἐν ταῖς ναυσίν, ἵνα αὐτός τε ἔχῃ καὶ οἱ
πλούσιοι πενέστεροι γίγνωνται. die erste lücke habe ich angesetzt und ausgefüllt,
auch οὐ gestrichen. die sehr gewaltsame gewöhnliche behandlung verfehlt den sinn:
sie läſst den demos, der die dramen spielt, sich eingestehn, daſs er nichts von
musik verstünde, und macht γιγνώσκουσι völlig unverständlich. der demos hält die
gilde für verwerflich, weil er erkennt, daſs sich dasselbe in der form der choregie
erreichen läſst, die ihm doch um des profites willen so sehr am herzen liegt. vgl.
Hermes 20, 67; dem gleichzeitig geäuſserten bedenken Büchelers Rh. M. 40, 312 wird
so genüge geleistet. die opposition der gilden, von welcher das erhaltene hypor-
chem des Pratinas ein so beredtes zeugnis ablegt, war damals schon gänzlich ver-
stummt. die choregie hatte die probe längst glänzend bestanden; in der ersten zeit
wird freilich das selbstgefühl der geschulten sänger berechtigt gewesen sein.
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[77/0097] Der attische bürgerchor. nationale stellung einnahmen, so daſs wir die pindarischen sänger von ort zu ort wandern sehen und sehr oft das lob des ringlehrers vernehmen, wurden diese gilden in Athen aufgehoben, die ringschulen verstaatlicht und der zutritt jedem bürger kostenlos gewährt 39). die herkömmlichen wettkämpfe blieben zwar bestehen und der zutritt stand ausländern frei, aber die wertschätzung sank und keinerlei gunst ist diesen aristokra- tischen vergnügungen zu teil geworden. die bauern und ruderer hatten nicht die geschmeidigen glieder und weder zeit noch lust sich dem training zu unterwerfen. dafür bildete man die volksbelustigung des fackellaufes zu einer staatlichen einrichtung aus, für welche die gymnasiarchie ge- stiftet ward, und lieſs die militärische parade das wettturnen ersetzen. auch die gilden der sänger und tänzer wurden geschlossen. für die musik brauchte man freilich fremde, zumal die argivischen und boeotischen pfeifer, weil auch dafür eine ausbildung nötig war, zu der die bürger nicht zeit hatten; aber die chöre stellten sie selbst. die reichen wirkten mit als choregen, die unbemittelten als choreuten: es war beides eine frohnde, ein munus, ganz wie die verpflichtung als offizier oder gemeiner zu dienen. und auch die regellosigkeit der musikalischen aufführung ward beseitigt. wol verwehrte man dem einzelnen nicht, sich zu seinem ver- 39) Wer aus den institutionen, wie sie bestanden und uns in der praxis be- merklich sind, den schluſs auf das recht, den leitenden gedanken, machen kann, der braucht hierfür kein zeugnis. es fehlt aber nicht. der aristokrat, der die πο- λιτεία Ἀϑηναίων geschrieben hat, empfand das charakteristische der festordnung sehr wol, wenn er sie auch gehässig darstellte. er sagt 1, 13 τοὺς δὲ γυμναζομέ- νους αὐτόϑι καὶ τοὺς μουσικὴν ἐπιτηδεύοντας καταλέλυκεν ὁ δῆμος, νομίζων τοῦτο οὐ καλὸν εἶναι γνοὺς ὅτι [οὐ] δυνατὰ ταῦτ̕ ἐστὶν ἐπιτηδεύειν ἐν ταῖς χορηγίαις· αὐ⟨τοὶ γὰρ σφίσιν αὐτοῖς ἀγαϑὸν ἐνεῖναι ἐν ταῖς χορηγίαις⟩ καὶ γυμνασιαρχίαις καὶ τριηραρχίαις γιγνὠσκουσιν, ὃτι χορηγοῦσι μἐν οἱ πλούσιοι, χορηγεῖται δὲ ό δῆμος, ⟨καὶ τριηραρχοῦσι μὲν⟩ καὶ γυμνασιαρχοῦσιν οἱ πλούσιοι, ὁ δὲ δῆμος τριη- ραρχεῖται καὶ γυμνασιαρχεῖται· ἀξιοῖ γοῦν ἀργύριον λαμβάνειν ὁ δῆμος καὶ ᾄδων καὶ τρέχων καὶ ὀρχούμενος καὶ πλέων ἐν ταῖς ναυσίν, ἵνα αὐτός τε ἔχῃ καὶ οἱ πλούσιοι πενέστεροι γίγνωνται. die erste lücke habe ich angesetzt und ausgefüllt, auch οὐ gestrichen. die sehr gewaltsame gewöhnliche behandlung verfehlt den sinn: sie läſst den demos, der die dramen spielt, sich eingestehn, daſs er nichts von musik verstünde, und macht γιγνώσκουσι völlig unverständlich. der demos hält die gilde für verwerflich, weil er erkennt, daſs sich dasselbe in der form der choregie erreichen läſst, die ihm doch um des profites willen so sehr am herzen liegt. vgl. Hermes 20, 67; dem gleichzeitig geäuſserten bedenken Büchelers Rh. M. 40, 312 wird so genüge geleistet. die opposition der gilden, von welcher das erhaltene hypor- chem des Pratinas ein so beredtes zeugnis ablegt, war damals schon gänzlich ver- stummt. die choregie hatte die probe längst glänzend bestanden; in der ersten zeit wird freilich das selbstgefühl der geschulten sänger berechtigt gewesen sein.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/97>, abgerufen am 26.04.2024.