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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Kleisthenes. Athen nach 507.
den entscheidenden schritt und erhob die fahne der demokratie.8) Kleo-
menes musste die burg räumen; Isagoras ward vertrieben: der adel hielt
sich noch eine weile in Eleusis, das Kleomenes auf dem rückmarsch
besetzt hatte. aber das volk war unwiderstehlich. Athen ward frei, die
geschlechterphylen fielen und mit hilfe Apollons, dessen er sicher war,
begründete Kleisthenes das staatswesen, das für alle zukunft mit dem
begriffe Athens verwachsen sollte. dieser aristokrat erst ist der vater
der demokratie.

Frei war Athen; aber seine lage kann wol die vergleichung mitAthen nach
507.

der Tiberstadt herausfordern, die ziemlich zur gleichen zeit ihre etrus-
kischen herren verjagte, aber damit zunächst auch ihre politische stellung
verlor. die auswärtigen besitzungen waren in den händen von Philaiden
und Peisistratiden. die nachbarn aber, jeder alten rücksicht quitt, fielen
über Attika her, Theben und Chalkis von der einen seite, Aigina von
der andern, und Sparta führte die Peloponnesier in die eleusinische
ebene, deren hauptstadt vielleicht noch in den händen der adlichen emi-
granten war. es war nur die hälfte der gefahr abgewendet, als dieses heer
ohne geschlagen zu haben wieder abzog: in der damaligen hellenischen
schätzung mussten Theben und Chalkis einzeln den Athenern weit über-
legen dastehn. aber diese bewährten sich als der freiheit würdig. sie zogen
gegen die Boeoter und Chalkidier zu feld, schlugen sie am Euripos und
erwarben sich mit Oropos und Chalkis selbst einen ersatz für die verlornen
gebiete in der ferne. Aiginas konnte man sich freilich nicht erwehren,
so lange man keine flotte hatte. doch vergieng den nachbarn zunächst
die lust mit Athen anzubinden; Sparta verfiel sogar darauf, nun die
tyrannen zurück zu führen, was an dem widerspruche Korinths gescheitert
sein soll.9) die Korinther hatten allen grund trotz der alten freundschaft

8) Die zeitrechnung und die verknüpfung der ereignisse gestatten beide nicht,
Kleisthenes vor dem jahre des Isagoras die demokratische phylenreform durchführen
zu lassen, vielmehr ist er zunächst bei dem versuche unterlegen, wie die wahl des
Isagoras beweist. Herodots darstellung ist, wie immer, lässlich im chronologischen
detail und ohne würdigung des politischen zusammenhanges. bei Aristoteles steht
es richtig; man müsste es aber auch ohne ihn finden.
9) Herod. 5, 72. 73. 90. Krateros im schol. Ar. Lysistr. 273. die vertreibung
des Kleomenes von der burg, die in das jahr des Isagoras notwendig fällt, wird
man 507 ansetzen: denn erst muss Isagoras eine weile geherrscht haben. dann fällt
in das nächste frühjahr der zug der Peloponnesier in die eleusinische ebene, der
resultatlos verläuft, also 506, in denselben sommer die schlacht am Euripos. im
nächsten frühjahr setzt Sparta überhaupt keinen zug gegen Athen mehr durch;
das ist also 505. drei frühjahrsfeldzüge der Spartaner, das passt zu ihrer bekannten

Kleisthenes. Athen nach 507.
den entscheidenden schritt und erhob die fahne der demokratie.8) Kleo-
menes muſste die burg räumen; Isagoras ward vertrieben: der adel hielt
sich noch eine weile in Eleusis, das Kleomenes auf dem rückmarsch
besetzt hatte. aber das volk war unwiderstehlich. Athen ward frei, die
geschlechterphylen fielen und mit hilfe Apollons, dessen er sicher war,
begründete Kleisthenes das staatswesen, das für alle zukunft mit dem
begriffe Athens verwachsen sollte. dieser aristokrat erst ist der vater
der demokratie.

Frei war Athen; aber seine lage kann wol die vergleichung mitAthen nach
507.

der Tiberstadt herausfordern, die ziemlich zur gleichen zeit ihre etrus-
kischen herren verjagte, aber damit zunächst auch ihre politische stellung
verlor. die auswärtigen besitzungen waren in den händen von Philaiden
und Peisistratiden. die nachbarn aber, jeder alten rücksicht quitt, fielen
über Attika her, Theben und Chalkis von der einen seite, Aigina von
der andern, und Sparta führte die Peloponnesier in die eleusinische
ebene, deren hauptstadt vielleicht noch in den händen der adlichen emi-
granten war. es war nur die hälfte der gefahr abgewendet, als dieses heer
ohne geschlagen zu haben wieder abzog: in der damaligen hellenischen
schätzung muſsten Theben und Chalkis einzeln den Athenern weit über-
legen dastehn. aber diese bewährten sich als der freiheit würdig. sie zogen
gegen die Boeoter und Chalkidier zu feld, schlugen sie am Euripos und
erwarben sich mit Oropos und Chalkis selbst einen ersatz für die verlornen
gebiete in der ferne. Aiginas konnte man sich freilich nicht erwehren,
so lange man keine flotte hatte. doch vergieng den nachbarn zunächst
die lust mit Athen anzubinden; Sparta verfiel sogar darauf, nun die
tyrannen zurück zu führen, was an dem widerspruche Korinths gescheitert
sein soll.9) die Korinther hatten allen grund trotz der alten freundschaft

8) Die zeitrechnung und die verknüpfung der ereignisse gestatten beide nicht,
Kleisthenes vor dem jahre des Isagoras die demokratische phylenreform durchführen
zu lassen, vielmehr ist er zunächst bei dem versuche unterlegen, wie die wahl des
Isagoras beweist. Herodots darstellung ist, wie immer, läſslich im chronologischen
detail und ohne würdigung des politischen zusammenhanges. bei Aristoteles steht
es richtig; man müſste es aber auch ohne ihn finden.
9) Herod. 5, 72. 73. 90. Krateros im schol. Ar. Lysistr. 273. die vertreibung
des Kleomenes von der burg, die in das jahr des Isagoras notwendig fällt, wird
man 507 ansetzen: denn erst muſs Isagoras eine weile geherrscht haben. dann fällt
in das nächste frühjahr der zug der Peloponnesier in die eleusinische ebene, der
resultatlos verläuft, also 506, in denselben sommer die schlacht am Euripos. im
nächsten frühjahr setzt Sparta überhaupt keinen zug gegen Athen mehr durch;
das ist also 505. drei frühjahrsfeldzüge der Spartaner, das paſst zu ihrer bekannten
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[77/0087] Kleisthenes. Athen nach 507. den entscheidenden schritt und erhob die fahne der demokratie. 8) Kleo- menes muſste die burg räumen; Isagoras ward vertrieben: der adel hielt sich noch eine weile in Eleusis, das Kleomenes auf dem rückmarsch besetzt hatte. aber das volk war unwiderstehlich. Athen ward frei, die geschlechterphylen fielen und mit hilfe Apollons, dessen er sicher war, begründete Kleisthenes das staatswesen, das für alle zukunft mit dem begriffe Athens verwachsen sollte. dieser aristokrat erst ist der vater der demokratie. Frei war Athen; aber seine lage kann wol die vergleichung mit der Tiberstadt herausfordern, die ziemlich zur gleichen zeit ihre etrus- kischen herren verjagte, aber damit zunächst auch ihre politische stellung verlor. die auswärtigen besitzungen waren in den händen von Philaiden und Peisistratiden. die nachbarn aber, jeder alten rücksicht quitt, fielen über Attika her, Theben und Chalkis von der einen seite, Aigina von der andern, und Sparta führte die Peloponnesier in die eleusinische ebene, deren hauptstadt vielleicht noch in den händen der adlichen emi- granten war. es war nur die hälfte der gefahr abgewendet, als dieses heer ohne geschlagen zu haben wieder abzog: in der damaligen hellenischen schätzung muſsten Theben und Chalkis einzeln den Athenern weit über- legen dastehn. aber diese bewährten sich als der freiheit würdig. sie zogen gegen die Boeoter und Chalkidier zu feld, schlugen sie am Euripos und erwarben sich mit Oropos und Chalkis selbst einen ersatz für die verlornen gebiete in der ferne. Aiginas konnte man sich freilich nicht erwehren, so lange man keine flotte hatte. doch vergieng den nachbarn zunächst die lust mit Athen anzubinden; Sparta verfiel sogar darauf, nun die tyrannen zurück zu führen, was an dem widerspruche Korinths gescheitert sein soll. 9) die Korinther hatten allen grund trotz der alten freundschaft Athen nach 507. 8) Die zeitrechnung und die verknüpfung der ereignisse gestatten beide nicht, Kleisthenes vor dem jahre des Isagoras die demokratische phylenreform durchführen zu lassen, vielmehr ist er zunächst bei dem versuche unterlegen, wie die wahl des Isagoras beweist. Herodots darstellung ist, wie immer, läſslich im chronologischen detail und ohne würdigung des politischen zusammenhanges. bei Aristoteles steht es richtig; man müſste es aber auch ohne ihn finden. 9) Herod. 5, 72. 73. 90. Krateros im schol. Ar. Lysistr. 273. die vertreibung des Kleomenes von der burg, die in das jahr des Isagoras notwendig fällt, wird man 507 ansetzen: denn erst muſs Isagoras eine weile geherrscht haben. dann fällt in das nächste frühjahr der zug der Peloponnesier in die eleusinische ebene, der resultatlos verläuft, also 506, in denselben sommer die schlacht am Euripos. im nächsten frühjahr setzt Sparta überhaupt keinen zug gegen Athen mehr durch; das ist also 505. drei frühjahrsfeldzüge der Spartaner, das paſst zu ihrer bekannten

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/87>, abgerufen am 26.04.2024.