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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 2. Der erste krieg gegen Aegina.

Noch ein anderes orakel erwähnt Herodot. Theben soll sich an
Aegina gewendet haben, weil der gott ihm befahl sich an die agkhista
zu halten, und das war Aigina als tochter des Asopos und schwester
der Thebe. das entspricht ganz den anschauungen und der ausdrucks-
form, die man bei Pindaros findet; es kann also sehr wol geschichtlich
sein. richtiger freilich wird man auch hierin nur die darstellung eines
zustandes durch eine einzelne geschichte sehen.

Aber die hauptgeschichte Herodots soll den alten hass zwischen
Athen und Aegina motiviren, der angeblich schon vor 506 vorhanden
gewesen ist, obwol es sonst keinerlei anzeichen für ihn gibt. weil diese
geschichte ganz voller novellistischer züge steckt, ist es zwar unerlaubt,
sie in die jahrbücher der geschichte einzuordnen, wie z. b. O. Müller,
Duncker, Studniczka getan haben; man darf sie aber auch nicht ohne
weiteres über bord werfen, wie es zumeist und auch von Köhler (Rhein.
Mus. 46) geschieht. ich erzähle sie nicht im ganzen nach und schreibe
sie nicht aus; es muss sie jeder doch im zusammenhange nachlesen. aber
ihre einzelnen züge muss ich betrachten.

In dem aeginetischen dorfe Oie ist ein heiligtum der Damia und
Auxesia mit zwei schnitzbildern der göttinnen aus olivenholz in knieen-
der stellung. wie Welcker uns gelehrt hat, sind es geburtsgöttinnen in
der haltung der kreissenden, wie die Auge eggonasin. die frauen ver-
ehren sie in ihren nöten wie die Athenerinnen die Brauronia, weihen
ihr wie diese ihren schmuck, darunter um ihres metallwertes willen
natürlicherweise besonders viele spangen, die nach der dorischen mode
den mantel auf der schulter zusammenhalten. nach der tempelordnung
darf nur einheimisches tongeschirr gebraucht werden; insbesondere ist
die attische ware ausgeschlossen, die am ehesten mitgebracht werden
konnte: das ist eigentlich ganz natürlich.

Die herodoteische zeit fragt bei den religiösen satzungen wie bei
allem nach dem warum; sie findet in dem verbote der attischen ware den
in der gegenwart brennenden hass der Aegineten. sie wundert sich über
die haltung der götterbilder und gibt die antwort, dass sie auf die kniee
gesunken wären, als feinde sie rauben wollten. diese feinde sind, auch
um des gegenwärtigen hasses willen, Athener. die statuen sind aus
olivenholz; die Athener sind des glaubens, dass die olive ihnen gehöre.
damit sind ihre ansprüche und ihre versuche die statuen zu rauben
motivirt.

Die Athenerinnen tragen keine schulterspangen mehr wie die Dore-
rinnen; aber man hat seit dem umschwunge der mode den glauben, das

III. 2. Der erste krieg gegen Aegina.

Noch ein anderes orakel erwähnt Herodot. Theben soll sich an
Aegina gewendet haben, weil der gott ihm befahl sich an die ἄγχιστα
zu halten, und das war Αἴγινα als tochter des Asopos und schwester
der Θήβη. das entspricht ganz den anschauungen und der ausdrucks-
form, die man bei Pindaros findet; es kann also sehr wol geschichtlich
sein. richtiger freilich wird man auch hierin nur die darstellung eines
zustandes durch eine einzelne geschichte sehen.

Aber die hauptgeschichte Herodots soll den alten haſs zwischen
Athen und Aegina motiviren, der angeblich schon vor 506 vorhanden
gewesen ist, obwol es sonst keinerlei anzeichen für ihn gibt. weil diese
geschichte ganz voller novellistischer züge steckt, ist es zwar unerlaubt,
sie in die jahrbücher der geschichte einzuordnen, wie z. b. O. Müller,
Duncker, Studniczka getan haben; man darf sie aber auch nicht ohne
weiteres über bord werfen, wie es zumeist und auch von Köhler (Rhein.
Mus. 46) geschieht. ich erzähle sie nicht im ganzen nach und schreibe
sie nicht aus; es muſs sie jeder doch im zusammenhange nachlesen. aber
ihre einzelnen züge muſs ich betrachten.

In dem aeginetischen dorfe Oie ist ein heiligtum der Damia und
Auxesia mit zwei schnitzbildern der göttinnen aus olivenholz in knieen-
der stellung. wie Welcker uns gelehrt hat, sind es geburtsgöttinnen in
der haltung der kreiſsenden, wie die Αὔγη ἐγγόνασιν. die frauen ver-
ehren sie in ihren nöten wie die Athenerinnen die Brauronia, weihen
ihr wie diese ihren schmuck, darunter um ihres metallwertes willen
natürlicherweise besonders viele spangen, die nach der dorischen mode
den mantel auf der schulter zusammenhalten. nach der tempelordnung
darf nur einheimisches tongeschirr gebraucht werden; insbesondere ist
die attische ware ausgeschlossen, die am ehesten mitgebracht werden
konnte: das ist eigentlich ganz natürlich.

Die herodoteische zeit fragt bei den religiösen satzungen wie bei
allem nach dem warum; sie findet in dem verbote der attischen ware den
in der gegenwart brennenden haſs der Aegineten. sie wundert sich über
die haltung der götterbilder und gibt die antwort, daſs sie auf die kniee
gesunken wären, als feinde sie rauben wollten. diese feinde sind, auch
um des gegenwärtigen hasses willen, Athener. die statuen sind aus
olivenholz; die Athener sind des glaubens, daſs die olive ihnen gehöre.
damit sind ihre ansprüche und ihre versuche die statuen zu rauben
motivirt.

Die Athenerinnen tragen keine schulterspangen mehr wie die Dore-
rinnen; aber man hat seit dem umschwunge der mode den glauben, das

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[282/0292] III. 2. Der erste krieg gegen Aegina. Noch ein anderes orakel erwähnt Herodot. Theben soll sich an Aegina gewendet haben, weil der gott ihm befahl sich an die ἄγχιστα zu halten, und das war Αἴγινα als tochter des Asopos und schwester der Θήβη. das entspricht ganz den anschauungen und der ausdrucks- form, die man bei Pindaros findet; es kann also sehr wol geschichtlich sein. richtiger freilich wird man auch hierin nur die darstellung eines zustandes durch eine einzelne geschichte sehen. Aber die hauptgeschichte Herodots soll den alten haſs zwischen Athen und Aegina motiviren, der angeblich schon vor 506 vorhanden gewesen ist, obwol es sonst keinerlei anzeichen für ihn gibt. weil diese geschichte ganz voller novellistischer züge steckt, ist es zwar unerlaubt, sie in die jahrbücher der geschichte einzuordnen, wie z. b. O. Müller, Duncker, Studniczka getan haben; man darf sie aber auch nicht ohne weiteres über bord werfen, wie es zumeist und auch von Köhler (Rhein. Mus. 46) geschieht. ich erzähle sie nicht im ganzen nach und schreibe sie nicht aus; es muſs sie jeder doch im zusammenhange nachlesen. aber ihre einzelnen züge muſs ich betrachten. In dem aeginetischen dorfe Oie ist ein heiligtum der Damia und Auxesia mit zwei schnitzbildern der göttinnen aus olivenholz in knieen- der stellung. wie Welcker uns gelehrt hat, sind es geburtsgöttinnen in der haltung der kreiſsenden, wie die Αὔγη ἐγγόνασιν. die frauen ver- ehren sie in ihren nöten wie die Athenerinnen die Brauronia, weihen ihr wie diese ihren schmuck, darunter um ihres metallwertes willen natürlicherweise besonders viele spangen, die nach der dorischen mode den mantel auf der schulter zusammenhalten. nach der tempelordnung darf nur einheimisches tongeschirr gebraucht werden; insbesondere ist die attische ware ausgeschlossen, die am ehesten mitgebracht werden konnte: das ist eigentlich ganz natürlich. Die herodoteische zeit fragt bei den religiösen satzungen wie bei allem nach dem warum; sie findet in dem verbote der attischen ware den in der gegenwart brennenden haſs der Aegineten. sie wundert sich über die haltung der götterbilder und gibt die antwort, daſs sie auf die kniee gesunken wären, als feinde sie rauben wollten. diese feinde sind, auch um des gegenwärtigen hasses willen, Athener. die statuen sind aus olivenholz; die Athener sind des glaubens, daſs die olive ihnen gehöre. damit sind ihre ansprüche und ihre versuche die statuen zu rauben motivirt. Die Athenerinnen tragen keine schulterspangen mehr wie die Dore- rinnen; aber man hat seit dem umschwunge der mode den glauben, das

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/292>, abgerufen am 26.04.2024.