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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 1. Die phratrie der Demotioniden.
noch 470 archon gewesen ist. aber denjenigen brüdern, die in Dekeleia
ansässig waren, hatte man die stellung der genneten übertragen; sie rech-
neten sich innerhalb der phratrie als einem 'hause' angehörig. natürlich
hat Kleisthenes alle die 507 dort noch ansässigen in die gemeinde auf-
genommen, die er nach dem dorfe benannte; die damals schon in die stadt
verzogenen dagegen nicht, die doch auch in der phratrie blieben. anderer-
seits werden manche bürger 507 in Dekeleia gewohnt haben, die zu
anderen phratrien gehörten, aber nun dort demoten wurden. ganz geht
also der demos in die phratrie nicht auf, ganz abgesehen von nachbar-
demen, die auch erst Kleisthenes schuf, wie den `kalubia tes Deke-
leias', Oion Dekeleikon.

Die brüder erster classe, mögen sie geschlechtsgenossen oder milch-
brüder oder das haus so und so heissen, sind der alte bestand der bruder-
schaft und gehören ihr der fiction nach durch ihre abkunft ipso facto
an. es ist das natürliche, dass die anerkennung durch den vater sein
kind in das geschlecht und damit auch in die phratrie einführt: die
Apaturien sind ja das fest der omopatores. dagegen die cultgenossen
sind irgendwann wie auch immer hinzugetreten, aufgenommen: es sind
conscripti neben den patres oder patricii. für sie ist diese aufnahme
mindestens formell an einen beschluss der alten echten brüder gebunden
gewesen. so geht durch die verschiedenen ordnungen dieselbe er-
scheinung hindurch, dass die prüfung und zulassung zuerst bei den
brüdern erster classe steht, aber die fortschreitende entwickelung den
unterschied immer mehr aufhebt, sei es dass die orgeonen neben den
genneten zwar bestehen bleiben, aber eine prüfung durch jene
eben so viel gilt wie durch diese, sei es dass eine andere gruppe an
die stelle der genneten tritt, sei es dass die gesammtbrüderschaft als
höhere instanz über die vorprüfung durch jene entscheidet, sei es end-
lich, dass die gesammtbruderschaft in gleichartige und gleichberechtigte
kleinere gruppen geteilt wird, so dass genneten und orgeonen gleicher-
massen verschwinden. diesen letzten schritt haben die Demotioniden
durch das gesetz des Nikodemos getan.

Die bruderschaften waren genossenschaften (koina); wie diese hatten
sie einen vorstand, und für die alte zeit werden wir die monarchische
spitze erwarten, die in den meisten genossenschaften vorhanden ge-
wesen ist. so haben auch die Demotioniden einen phratriarchen; aber
die Dyaleer haben zwei. es ist unsicher etwas zu vermuten, aber da
in der gemeinschaft der brüder zwei classen vorhanden sind, so ist
die entwickelung wol denkbar, dass die niedrigere einmal auch für sich

III. 1. Die phratrie der Demotioniden.
noch 470 archon gewesen ist. aber denjenigen brüdern, die in Dekeleia
ansässig waren, hatte man die stellung der genneten übertragen; sie rech-
neten sich innerhalb der phratrie als einem ‘hause’ angehörig. natürlich
hat Kleisthenes alle die 507 dort noch ansässigen in die gemeinde auf-
genommen, die er nach dem dorfe benannte; die damals schon in die stadt
verzogenen dagegen nicht, die doch auch in der phratrie blieben. anderer-
seits werden manche bürger 507 in Dekeleia gewohnt haben, die zu
anderen phratrien gehörten, aber nun dort demoten wurden. ganz geht
also der demos in die phratrie nicht auf, ganz abgesehen von nachbar-
demen, die auch erst Kleisthenes schuf, wie den ῾καλύβια τῆς Δεκε-
λείας᾽, Οἶον Δεκελεικόν.

Die brüder erster classe, mögen sie geschlechtsgenossen oder milch-
brüder oder das haus so und so heiſsen, sind der alte bestand der bruder-
schaft und gehören ihr der fiction nach durch ihre abkunft ipso facto
an. es ist das natürliche, daſs die anerkennung durch den vater sein
kind in das geschlecht und damit auch in die phratrie einführt: die
Apaturien sind ja das fest der ὁμοπάτοϱες. dagegen die cultgenossen
sind irgendwann wie auch immer hinzugetreten, aufgenommen: es sind
conscripti neben den patres oder patricii. für sie ist diese aufnahme
mindestens formell an einen beschluſs der alten echten brüder gebunden
gewesen. so geht durch die verschiedenen ordnungen dieselbe er-
scheinung hindurch, daſs die prüfung und zulassung zuerst bei den
brüdern erster classe steht, aber die fortschreitende entwickelung den
unterschied immer mehr aufhebt, sei es daſs die orgeonen neben den
genneten zwar bestehen bleiben, aber eine prüfung durch jene
eben so viel gilt wie durch diese, sei es daſs eine andere gruppe an
die stelle der genneten tritt, sei es daſs die gesammtbrüderschaft als
höhere instanz über die vorprüfung durch jene entscheidet, sei es end-
lich, daſs die gesammtbruderschaft in gleichartige und gleichberechtigte
kleinere gruppen geteilt wird, so daſs genneten und orgeonen gleicher-
maſsen verschwinden. diesen letzten schritt haben die Demotioniden
durch das gesetz des Nikodemos getan.

Die bruderschaften waren genossenschaften (κοινά); wie diese hatten
sie einen vorstand, und für die alte zeit werden wir die monarchische
spitze erwarten, die in den meisten genossenschaften vorhanden ge-
wesen ist. so haben auch die Demotioniden einen phratriarchen; aber
die Dyaleer haben zwei. es ist unsicher etwas zu vermuten, aber da
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die entwickelung wol denkbar, daſs die niedrigere einmal auch für sich

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[274/0284] III. 1. Die phratrie der Demotioniden. noch 470 archon gewesen ist. aber denjenigen brüdern, die in Dekeleia ansässig waren, hatte man die stellung der genneten übertragen; sie rech- neten sich innerhalb der phratrie als einem ‘hause’ angehörig. natürlich hat Kleisthenes alle die 507 dort noch ansässigen in die gemeinde auf- genommen, die er nach dem dorfe benannte; die damals schon in die stadt verzogenen dagegen nicht, die doch auch in der phratrie blieben. anderer- seits werden manche bürger 507 in Dekeleia gewohnt haben, die zu anderen phratrien gehörten, aber nun dort demoten wurden. ganz geht also der demos in die phratrie nicht auf, ganz abgesehen von nachbar- demen, die auch erst Kleisthenes schuf, wie den ῾καλύβια τῆς Δεκε- λείας᾽, Οἶον Δεκελεικόν. Die brüder erster classe, mögen sie geschlechtsgenossen oder milch- brüder oder das haus so und so heiſsen, sind der alte bestand der bruder- schaft und gehören ihr der fiction nach durch ihre abkunft ipso facto an. es ist das natürliche, daſs die anerkennung durch den vater sein kind in das geschlecht und damit auch in die phratrie einführt: die Apaturien sind ja das fest der ὁμοπάτοϱες. dagegen die cultgenossen sind irgendwann wie auch immer hinzugetreten, aufgenommen: es sind conscripti neben den patres oder patricii. für sie ist diese aufnahme mindestens formell an einen beschluſs der alten echten brüder gebunden gewesen. so geht durch die verschiedenen ordnungen dieselbe er- scheinung hindurch, daſs die prüfung und zulassung zuerst bei den brüdern erster classe steht, aber die fortschreitende entwickelung den unterschied immer mehr aufhebt, sei es daſs die orgeonen neben den genneten zwar bestehen bleiben, aber eine prüfung durch jene eben so viel gilt wie durch diese, sei es daſs eine andere gruppe an die stelle der genneten tritt, sei es daſs die gesammtbrüderschaft als höhere instanz über die vorprüfung durch jene entscheidet, sei es end- lich, daſs die gesammtbruderschaft in gleichartige und gleichberechtigte kleinere gruppen geteilt wird, so daſs genneten und orgeonen gleicher- maſsen verschwinden. diesen letzten schritt haben die Demotioniden durch das gesetz des Nikodemos getan. Die bruderschaften waren genossenschaften (κοινά); wie diese hatten sie einen vorstand, und für die alte zeit werden wir die monarchische spitze erwarten, die in den meisten genossenschaften vorhanden ge- wesen ist. so haben auch die Demotioniden einen phratriarchen; aber die Dyaleer haben zwei. es ist unsicher etwas zu vermuten, aber da in der gemeinschaft der brüder zwei classen vorhanden sind, so ist die entwickelung wol denkbar, daſs die niedrigere einmal auch für sich

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/284>, abgerufen am 26.04.2024.