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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Zwei classen von losbeamten.
noch nichts; denn wenn der eid ächt und der rede gleichzeitig ist, so
gab es in dieser nur rat und wächter: wir schliessen nur, dass ein rats-
herr nicht verhindert war, sich zu einem andern amte zu melden, und
das ist correct, da er als einzelner nicht rechenschaftspflichtig ist. wir
lernen zu, dass die ganze auslosung an einem tage vollzogen ward, natür-
lich nur die dieser einen kategorie. zweitens wird als local der arkhai-
resiai die Heliaia angegeben (Bekk. An. 310). das ist auch noch nicht
schlimm, obwol der ausdruck arkhairesiai eigentlich den directen wahlen
gilt, die das volk auf der pnyx vornimmt; dem grammatiker ist der
ungenaue ausdruck wol zu verzeihen. natürlich muss die losung der
archonten u. s. w. verstanden werden, über deren local Aristoteles
nichts sagt, und die geräumige Heliaia, in der 1500 menschen sitzen
und eine zahlreiche corona stehn konnte, passt gut. aus dem locale
folgt der vorsitz der thesmotheten oder aller archonten: und das ist
bei einer procedur, die in die alte zeit hinaufreicht, auch nur das
normale. aber nun wird es schlimm. Aischines 3, 13 unterscheidet
die ämter as oi thesmothetai apoklerousin en Theseio, kakeinas as
o demos eiothe kheirotonein en arkhairesiais, alles andere wären com-
missionen. dass er an die zweite aristotelische kategorie nicht denkt,
ist in der ordnung, denn ihr gehört nur noch der rat an, und um den
handelt es sich für ihn so wenig wie für den richtereid. dass die thes-
motheten diese losung besorgt haben, stimmt gut zu dem, was eben aus der
grammatikerstelle gefolgert ward: aber das local stimmt nicht. Aischines
nennt das Theseion für die ämter, die nach Aristoteles eben nicht dort erlost
wurden, nach jenem grammatiker in der Heliaia. da Aischines ein par jahre
vor Aristoteles, aber unter derselben verfassung so redet, ist an irgend
welchen ausgleich nicht zu denken. so übel mir dabei zu mute ist, ich
muss einen irrtum des redners annehmen. wann die losung in der Heliaia

den bundesrat, und für alles ist zu bedenken, dass was wir lesen ein attisches
psephisma ist, nicht ein bundesbeschluss. der bundesrat verkehrt mit dem souveränen
attischen volke nicht direct sondern über den rat, natürlich, wie jeder könig und wie jeder
athenische beamte. aber in der blütezeit des bundes begibt sich der rat jeder materiellen
einmischung, beschränkt sich darauf, den antrag des bundesrates auf die tagesordnung
zu setzen und ladet den bundesrat selbst in die volksversammlung ein (CIA II 51, 11):
und da sollte Athen sich seine politik von einer körperschaft machen lassen, in der
es nicht vertreten war? gerade weil man 377 die redliche absicht hatte, nicht ein
attisches Reich zu gründen, sondern einen bundesstaat, musste der bundesrat eine
allgemeine vertretung sein. nur weil er in Athen seinen sitz hatte und somit der
souveräne demos trotz allem über ihm stand, ist seit 356 ein kümmerliches Reich
entstanden.

Zwei classen von losbeamten.
noch nichts; denn wenn der eid ächt und der rede gleichzeitig ist, so
gab es in dieser nur rat und wächter: wir schlieſsen nur, daſs ein rats-
herr nicht verhindert war, sich zu einem andern amte zu melden, und
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die ämter ἃς οἱ ϑεσμοϑέται ἀποκληϱοῦσιν ἐν Θησείῳ, κἀκείνας ἃς
ὁ δῆμος εἴωϑε χειϱοτονεῖν ἐν ἀϱχαιϱεσίαις, alles andere wären com-
missionen. daſs er an die zweite aristotelische kategorie nicht denkt,
ist in der ordnung, denn ihr gehört nur noch der rat an, und um den
handelt es sich für ihn so wenig wie für den richtereid. daſs die thes-
motheten diese losung besorgt haben, stimmt gut zu dem, was eben aus der
grammatikerstelle gefolgert ward: aber das local stimmt nicht. Aischines
nennt das Theseion für die ämter, die nach Aristoteles eben nicht dort erlost
wurden, nach jenem grammatiker in der Heliaia. da Aischines ein par jahre
vor Aristoteles, aber unter derselben verfassung so redet, ist an irgend
welchen ausgleich nicht zu denken. so übel mir dabei zu mute ist, ich
muſs einen irrtum des redners annehmen. wann die losung in der Heliaia

den bundesrat, und für alles ist zu bedenken, daſs was wir lesen ein attisches
psephisma ist, nicht ein bundesbeschluſs. der bundesrat verkehrt mit dem souveränen
attischen volke nicht direct sondern über den rat, natürlich, wie jeder könig und wie jeder
athenische beamte. aber in der blütezeit des bundes begibt sich der rat jeder materiellen
einmischung, beschränkt sich darauf, den antrag des bundesrates auf die tagesordnung
zu setzen und ladet den bundesrat selbst in die volksversammlung ein (CIA II 51, 11):
und da sollte Athen sich seine politik von einer körperschaft machen lassen, in der
es nicht vertreten war? gerade weil man 377 die redliche absicht hatte, nicht ein
attisches Reich zu gründen, sondern einen bundesstaat, muſste der bundesrat eine
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[203/0217] Zwei classen von losbeamten. noch nichts; denn wenn der eid ächt und der rede gleichzeitig ist, so gab es in dieser nur rat und wächter: wir schlieſsen nur, daſs ein rats- herr nicht verhindert war, sich zu einem andern amte zu melden, und das ist correct, da er als einzelner nicht rechenschaftspflichtig ist. wir lernen zu, daſs die ganze auslosung an einem tage vollzogen ward, natür- lich nur die dieser einen kategorie. zweitens wird als local der ἀϱχαι- ϱεσίαι die Heliaia angegeben (Bekk. An. 310). das ist auch noch nicht schlimm, obwol der ausdruck ἀϱχαιϱεσίαι eigentlich den directen wahlen gilt, die das volk auf der pnyx vornimmt; dem grammatiker ist der ungenaue ausdruck wol zu verzeihen. natürlich muſs die losung der archonten u. s. w. verstanden werden, über deren local Aristoteles nichts sagt, und die geräumige Heliaia, in der 1500 menschen sitzen und eine zahlreiche corona stehn konnte, paſst gut. aus dem locale folgt der vorsitz der thesmotheten oder aller archonten: und das ist bei einer procedur, die in die alte zeit hinaufreicht, auch nur das normale. aber nun wird es schlimm. Aischines 3, 13 unterscheidet die ämter ἃς οἱ ϑεσμοϑέται ἀποκληϱοῦσιν ἐν Θησείῳ, κἀκείνας ἃς ὁ δῆμος εἴωϑε χειϱοτονεῖν ἐν ἀϱχαιϱεσίαις, alles andere wären com- missionen. daſs er an die zweite aristotelische kategorie nicht denkt, ist in der ordnung, denn ihr gehört nur noch der rat an, und um den handelt es sich für ihn so wenig wie für den richtereid. daſs die thes- motheten diese losung besorgt haben, stimmt gut zu dem, was eben aus der grammatikerstelle gefolgert ward: aber das local stimmt nicht. Aischines nennt das Theseion für die ämter, die nach Aristoteles eben nicht dort erlost wurden, nach jenem grammatiker in der Heliaia. da Aischines ein par jahre vor Aristoteles, aber unter derselben verfassung so redet, ist an irgend welchen ausgleich nicht zu denken. so übel mir dabei zu mute ist, ich muſs einen irrtum des redners annehmen. wann die losung in der Heliaia 29) 29) den bundesrat, und für alles ist zu bedenken, daſs was wir lesen ein attisches psephisma ist, nicht ein bundesbeschluſs. der bundesrat verkehrt mit dem souveränen attischen volke nicht direct sondern über den rat, natürlich, wie jeder könig und wie jeder athenische beamte. aber in der blütezeit des bundes begibt sich der rat jeder materiellen einmischung, beschränkt sich darauf, den antrag des bundesrates auf die tagesordnung zu setzen und ladet den bundesrat selbst in die volksversammlung ein (CIA II 51, 11): und da sollte Athen sich seine politik von einer körperschaft machen lassen, in der es nicht vertreten war? gerade weil man 377 die redliche absicht hatte, nicht ein attisches Reich zu gründen, sondern einen bundesstaat, muſste der bundesrat eine allgemeine vertretung sein. nur weil er in Athen seinen sitz hatte und somit der souveräne demos trotz allem über ihm stand, ist seit 356 ein kümmerliches Reich entstanden.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/217>, abgerufen am 18.04.2024.