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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Die geschichte des Themistokles. Aristeides.
nicht nur Timokreon verherrlicht, sondern den selbst der unerbittliche
kritiker des Gorgias als den gerechten anerkannt hatte 56), der auch bei
Aristoteles selbst als unantastbarer charakter vorkommt (Rhet. 2, 1398 a).
das dokein dikaios gibt er ihm auch hier freilich zu und erzählt die stiftungAristeides.
des Reiches in übereinstimmung mit den bekannten tatsachen; dies letztere,
da eine jahreszahl dabei steht, vermutlich nach der chronik. 57) dann
aber tritt der sumboulos vor das volk und gibt ihm die weisung für
seine gesammte politik: seeherrschaft und dadurch lohnende beschäftigung
für die bürger, städtische centralisation um von diesen vorteilen nutzen
zu ziehen. das volk handelt danach. es ist gewissermassen ein neuer
synoikismos, und durch die ausnutzung der bündner wird erzielt, dass
20000 Athener auf Reichskosten leben. über diese summe wird eine
genaue rechnung aufgestellt.

Die rechnung im einzelnen nachzuweisen, so weit der zerrüttete
text es gestattet, verschiebe ich auf später 58), weil sie hier allzusehr den
zusammenhang zerreissen würde. hier genügt es zu betonen, dass sie im
fünften jahrhundert aufgestellt ist, da wieder polis für die burg vor-
kommt, und dass sie selbst eingesteht die verhältnisse einer späteren zeit
zu berücksichtigen. das mildert den anachronismus, aber die beurteilung
des Aristeides ist darum nicht minder unrichtig und nicht minder un-
gerecht. es ist wahr, aber in ganz anderem sinne, als es Aristoteles
begriffen hat, dass die jahre 479--77 die Athener vor die folgenschwersten
entscheidungen stellten, und dass sie sich so entschieden, dass ihr Reich
die folge war. dieses Reich ist auch darum die bedeutendste politische
schöpfung der Hellenen, weil nur in diesem gebilde ein grosser politischer
gedanke consequent durchgeführt ist. nicht Aristoteles hat ihn begriffen,
aber wol z. b. der verfasser der xenophontischen Politie. aber es ist

56) Es ist von belang festzuhalten, dass für dieses urteil nicht in betracht
kommt, was dem sohne des Aristeides und dem des Thukydides die ehre eingetragen
hat, von Platon verewigt zu werden, ihre zugehörigkeit zu dem demos des Sokrates.
wir kennen jene beiden dadurch als söhne grosser männer, d. h. als nullen. mit
behagen zeichnet sie der Laches so, der Gorgias sagt Aristeides Lusimakhou, nicht
A. Alopekethen.
57) Die versenkung von metallklumpen auf hohem meere, deren bedeutung
es ist "so lange soll der eid halten, bis diese klumpen wieder emportauchen", kehrt
bei Plutarch Ar. 25 wieder. es scheint da mit den apophthegmen zusammen-
zugehören, von denen das folgende theophrastisch ist. Herodotos berichtet dieselbe
symbolik auf ewig bindenden eides von der Phocaeorum execrata civitas (I 165)
und nach ihm Kallimachos fgm. 209.
58) Vgl. das capitel '3000 hopliten von Acharnai'.

Die geschichte des Themistokles. Aristeides.
nicht nur Timokreon verherrlicht, sondern den selbst der unerbittliche
kritiker des Gorgias als den gerechten anerkannt hatte 56), der auch bei
Aristoteles selbst als unantastbarer charakter vorkommt (Rhet. 2, 1398 a).
das δοκεῖν δίκαιος gibt er ihm auch hier freilich zu und erzählt die stiftungAristeides.
des Reiches in übereinstimmung mit den bekannten tatsachen; dies letztere,
da eine jahreszahl dabei steht, vermutlich nach der chronik. 57) dann
aber tritt der σύμβουλος vor das volk und gibt ihm die weisung für
seine gesammte politik: seeherrschaft und dadurch lohnende beschäftigung
für die bürger, städtische centralisation um von diesen vorteilen nutzen
zu ziehen. das volk handelt danach. es ist gewissermaſsen ein neuer
synoikismos, und durch die ausnutzung der bündner wird erzielt, daſs
20000 Athener auf Reichskosten leben. über diese summe wird eine
genaue rechnung aufgestellt.

Die rechnung im einzelnen nachzuweisen, so weit der zerrüttete
text es gestattet, verschiebe ich auf später 58), weil sie hier allzusehr den
zusammenhang zerreiſsen würde. hier genügt es zu betonen, daſs sie im
fünften jahrhundert aufgestellt ist, da wieder πόλις für die burg vor-
kommt, und daſs sie selbst eingesteht die verhältnisse einer späteren zeit
zu berücksichtigen. das mildert den anachronismus, aber die beurteilung
des Aristeides ist darum nicht minder unrichtig und nicht minder un-
gerecht. es ist wahr, aber in ganz anderem sinne, als es Aristoteles
begriffen hat, daſs die jahre 479—77 die Athener vor die folgenschwersten
entscheidungen stellten, und daſs sie sich so entschieden, daſs ihr Reich
die folge war. dieses Reich ist auch darum die bedeutendste politische
schöpfung der Hellenen, weil nur in diesem gebilde ein groſser politischer
gedanke consequent durchgeführt ist. nicht Aristoteles hat ihn begriffen,
aber wol z. b. der verfasser der xenophontischen Politie. aber es ist

56) Es ist von belang festzuhalten, daſs für dieses urteil nicht in betracht
kommt, was dem sohne des Aristeides und dem des Thukydides die ehre eingetragen
hat, von Platon verewigt zu werden, ihre zugehörigkeit zu dem demos des Sokrates.
wir kennen jene beiden dadurch als söhne groſser männer, d. h. als nullen. mit
behagen zeichnet sie der Laches so, der Gorgias sagt Ἀϱιστείδης Λυσιμάχου, nicht
Ἀ. Ἀλωπεκῆϑεν.
57) Die versenkung von metallklumpen auf hohem meere, deren bedeutung
es ist “so lange soll der eid halten, bis diese klumpen wieder emportauchen”, kehrt
bei Plutarch Ar. 25 wieder. es scheint da mit den apophthegmen zusammen-
zugehören, von denen das folgende theophrastisch ist. Herodotos berichtet dieselbe
symbolik auf ewig bindenden eides von der Phocaeorum execrata civitas (I 165)
und nach ihm Kallimachos fgm. 209.
58) Vgl. das capitel ‘3000 hopliten von Acharnai’.
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[153/0167] Die geschichte des Themistokles. Aristeides. nicht nur Timokreon verherrlicht, sondern den selbst der unerbittliche kritiker des Gorgias als den gerechten anerkannt hatte 56), der auch bei Aristoteles selbst als unantastbarer charakter vorkommt (Rhet. 2, 1398 a). das δοκεῖν δίκαιος gibt er ihm auch hier freilich zu und erzählt die stiftung des Reiches in übereinstimmung mit den bekannten tatsachen; dies letztere, da eine jahreszahl dabei steht, vermutlich nach der chronik. 57) dann aber tritt der σύμβουλος vor das volk und gibt ihm die weisung für seine gesammte politik: seeherrschaft und dadurch lohnende beschäftigung für die bürger, städtische centralisation um von diesen vorteilen nutzen zu ziehen. das volk handelt danach. es ist gewissermaſsen ein neuer synoikismos, und durch die ausnutzung der bündner wird erzielt, daſs 20000 Athener auf Reichskosten leben. über diese summe wird eine genaue rechnung aufgestellt. Aristeides. Die rechnung im einzelnen nachzuweisen, so weit der zerrüttete text es gestattet, verschiebe ich auf später 58), weil sie hier allzusehr den zusammenhang zerreiſsen würde. hier genügt es zu betonen, daſs sie im fünften jahrhundert aufgestellt ist, da wieder πόλις für die burg vor- kommt, und daſs sie selbst eingesteht die verhältnisse einer späteren zeit zu berücksichtigen. das mildert den anachronismus, aber die beurteilung des Aristeides ist darum nicht minder unrichtig und nicht minder un- gerecht. es ist wahr, aber in ganz anderem sinne, als es Aristoteles begriffen hat, daſs die jahre 479—77 die Athener vor die folgenschwersten entscheidungen stellten, und daſs sie sich so entschieden, daſs ihr Reich die folge war. dieses Reich ist auch darum die bedeutendste politische schöpfung der Hellenen, weil nur in diesem gebilde ein groſser politischer gedanke consequent durchgeführt ist. nicht Aristoteles hat ihn begriffen, aber wol z. b. der verfasser der xenophontischen Politie. aber es ist 56) Es ist von belang festzuhalten, daſs für dieses urteil nicht in betracht kommt, was dem sohne des Aristeides und dem des Thukydides die ehre eingetragen hat, von Platon verewigt zu werden, ihre zugehörigkeit zu dem demos des Sokrates. wir kennen jene beiden dadurch als söhne groſser männer, d. h. als nullen. mit behagen zeichnet sie der Laches so, der Gorgias sagt Ἀϱιστείδης Λυσιμάχου, nicht Ἀ. Ἀλωπεκῆϑεν. 57) Die versenkung von metallklumpen auf hohem meere, deren bedeutung es ist “so lange soll der eid halten, bis diese klumpen wieder emportauchen”, kehrt bei Plutarch Ar. 25 wieder. es scheint da mit den apophthegmen zusammen- zugehören, von denen das folgende theophrastisch ist. Herodotos berichtet dieselbe symbolik auf ewig bindenden eides von der Phocaeorum execrata civitas (I 165) und nach ihm Kallimachos fgm. 209. 58) Vgl. das capitel ‘3000 hopliten von Acharnai’.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/167>, abgerufen am 27.04.2024.