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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Alkibiades. Perikles.
leicht als einziger, ganz verstanden und demgemäss neben seinen Sokrates
gestellt; aber er hat es verschmäht (und die armseligkeit seiner nach-
ahmer richtet sich schon dadurch), ihn wie jeden beliebigen hübschen
jungen von Sokrates belehren zu lassen. wie er seine politische lauf-
bahn beurteilte, hat er nicht verraten, ausser dass er ihn eben auch als
ein gestirn ansah, das, geschaffen zu leuchten und leben zu wecken,
aus seiner bahn geworfen sich und sein vaterland in wildem feuer ver-
zehrte. da hat auch Aristoteles lieber schweigen mögen.

Nun kommen wir endlich zu den vier männern, die wirklichPerikles.
charakterisirt werden, Themistokles und Aristeides, Kimon und Perikles.
über den letzten hören wir zunächst das allbekannte, dass er die ver-
fassung immer demokratischer machte, weil er die ausbildung der see-
herrschaft verfolgte. dagegen wird die sonst geläufige verantwortung
für den peloponnesischen krieg 19) ihm nicht aufgebürdet. bei dem leser
wird bekanntschaft mit dem rechenschaftsprocesse des Kimon voraus-
gesetzt, der uns durch einen kurzen und guten bericht bei Plutarch be-
kannt ist; man ist gewohnt ihn für theopompisch zu halten. die be-
teiligung des Perikles setzt eine klatschgeschichte des Stesimbrotos
voraus (Plut. Kim. 14, 4 = Per. 10, 5), und gerade weil der klatsch
nichts weiter wert ist, muss die geschichte wahr sein, an die er sich
angesetzt hat. dann wird die einführung des richtersoldes berichtet, natür-
lich tadelnd. diese verurteilung ist 411, als man jeglichen sold be-
seitigte, allgemein gewesen und ist ein schlagwort in allen kreisen mit
ausnahme der radicalen geblieben. wir haben die in der handschrift
verdorbenen worte aus Platons Gorgias verbessert, den natürlich der
schüler Platons wol kannte; allein Platon selbst nennt als urheber
dieser kritik die lakonisten, para ton ta ota kateagoton 20) tauta
akoueis o Sokrates, sagt sein Kallikles. es war also eine bald nach
399 bereits in fester form cursirende kritik. sie ist nicht gehässig; wol
aber ist das die insinuation unlauterer motive, die Aristoteles ohne be-

19) Es ist bemerkenswert, dass Aristoteles diesen krieg als eine einheit auf-
fasst wie Thukydides und den Nikiasfrieden nicht berücksichtigt.
20) Protag. 342b ota katagnuntai mimoumenoi tous Lakedaimonious. man
könnte sie mit den anoetos lakonizontes Isokr. 12, 155 identificiren wollen, und
darauf weiter bauen. allein Isokrates hat in jener späten rede eine ausführliche
schrift über Sparta vor sich (177. 182 u. ö.), die notwendig viel jünger ist, nach
Leuktra verfasst. sie aber wird allerdings diejenige sein, welche die richtige meixis
politeion in Sparta fand (oben s. 74), denn das steht hier 153. natürlich denkt
man leicht an Dioskorides; aber ich sehe keine möglichkeit, den gedanken über die
bare möglichkeit zu erheben.

Alkibiades. Perikles.
leicht als einziger, ganz verstanden und demgemäſs neben seinen Sokrates
gestellt; aber er hat es verschmäht (und die armseligkeit seiner nach-
ahmer richtet sich schon dadurch), ihn wie jeden beliebigen hübschen
jungen von Sokrates belehren zu lassen. wie er seine politische lauf-
bahn beurteilte, hat er nicht verraten, auſser daſs er ihn eben auch als
ein gestirn ansah, das, geschaffen zu leuchten und leben zu wecken,
aus seiner bahn geworfen sich und sein vaterland in wildem feuer ver-
zehrte. da hat auch Aristoteles lieber schweigen mögen.

Nun kommen wir endlich zu den vier männern, die wirklichPerikles.
charakterisirt werden, Themistokles und Aristeides, Kimon und Perikles.
über den letzten hören wir zunächst das allbekannte, daſs er die ver-
fassung immer demokratischer machte, weil er die ausbildung der see-
herrschaft verfolgte. dagegen wird die sonst geläufige verantwortung
für den peloponnesischen krieg 19) ihm nicht aufgebürdet. bei dem leser
wird bekanntschaft mit dem rechenschaftsprocesse des Kimon voraus-
gesetzt, der uns durch einen kurzen und guten bericht bei Plutarch be-
kannt ist; man ist gewohnt ihn für theopompisch zu halten. die be-
teiligung des Perikles setzt eine klatschgeschichte des Stesimbrotos
voraus (Plut. Kim. 14, 4 = Per. 10, 5), und gerade weil der klatsch
nichts weiter wert ist, muſs die geschichte wahr sein, an die er sich
angesetzt hat. dann wird die einführung des richtersoldes berichtet, natür-
lich tadelnd. diese verurteilung ist 411, als man jeglichen sold be-
seitigte, allgemein gewesen und ist ein schlagwort in allen kreisen mit
ausnahme der radicalen geblieben. wir haben die in der handschrift
verdorbenen worte aus Platons Gorgias verbessert, den natürlich der
schüler Platons wol kannte; allein Platon selbst nennt als urheber
dieser kritik die lakonisten, παϱὰ τῶν τὰ ὦτα κατεαγότων 20) ταῦτα
ἀκούεις ὦ Σώκϱατες, sagt sein Kallikles. es war also eine bald nach
399 bereits in fester form cursirende kritik. sie ist nicht gehässig; wol
aber ist das die insinuation unlauterer motive, die Aristoteles ohne be-

19) Es ist bemerkenswert, daſs Aristoteles diesen krieg als eine einheit auf-
faſst wie Thukydides und den Nikiasfrieden nicht berücksichtigt.
20) Protag. 342b ὦτα κατάγνυνται μιμούμενοι τοὺς Λακεδαιμονίους. man
könnte sie mit den ἀνοήτως λακωνίζοντες Isokr. 12, 155 identificiren wollen, und
darauf weiter bauen. allein Isokrates hat in jener späten rede eine ausführliche
schrift über Sparta vor sich (177. 182 u. ö.), die notwendig viel jünger ist, nach
Leuktra verfaſst. sie aber wird allerdings diejenige sein, welche die richtige μεῖξις
πολιτειῶν in Sparta fand (oben s. 74), denn das steht hier 153. natürlich denkt
man leicht an Dioskorides; aber ich sehe keine möglichkeit, den gedanken über die
bare möglichkeit zu erheben.
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[133/0147] Alkibiades. Perikles. leicht als einziger, ganz verstanden und demgemäſs neben seinen Sokrates gestellt; aber er hat es verschmäht (und die armseligkeit seiner nach- ahmer richtet sich schon dadurch), ihn wie jeden beliebigen hübschen jungen von Sokrates belehren zu lassen. wie er seine politische lauf- bahn beurteilte, hat er nicht verraten, auſser daſs er ihn eben auch als ein gestirn ansah, das, geschaffen zu leuchten und leben zu wecken, aus seiner bahn geworfen sich und sein vaterland in wildem feuer ver- zehrte. da hat auch Aristoteles lieber schweigen mögen. Nun kommen wir endlich zu den vier männern, die wirklich charakterisirt werden, Themistokles und Aristeides, Kimon und Perikles. über den letzten hören wir zunächst das allbekannte, daſs er die ver- fassung immer demokratischer machte, weil er die ausbildung der see- herrschaft verfolgte. dagegen wird die sonst geläufige verantwortung für den peloponnesischen krieg 19) ihm nicht aufgebürdet. bei dem leser wird bekanntschaft mit dem rechenschaftsprocesse des Kimon voraus- gesetzt, der uns durch einen kurzen und guten bericht bei Plutarch be- kannt ist; man ist gewohnt ihn für theopompisch zu halten. die be- teiligung des Perikles setzt eine klatschgeschichte des Stesimbrotos voraus (Plut. Kim. 14, 4 = Per. 10, 5), und gerade weil der klatsch nichts weiter wert ist, muſs die geschichte wahr sein, an die er sich angesetzt hat. dann wird die einführung des richtersoldes berichtet, natür- lich tadelnd. diese verurteilung ist 411, als man jeglichen sold be- seitigte, allgemein gewesen und ist ein schlagwort in allen kreisen mit ausnahme der radicalen geblieben. wir haben die in der handschrift verdorbenen worte aus Platons Gorgias verbessert, den natürlich der schüler Platons wol kannte; allein Platon selbst nennt als urheber dieser kritik die lakonisten, παϱὰ τῶν τὰ ὦτα κατεαγότων 20) ταῦτα ἀκούεις ὦ Σώκϱατες, sagt sein Kallikles. es war also eine bald nach 399 bereits in fester form cursirende kritik. sie ist nicht gehässig; wol aber ist das die insinuation unlauterer motive, die Aristoteles ohne be- Perikles. 19) Es ist bemerkenswert, daſs Aristoteles diesen krieg als eine einheit auf- faſst wie Thukydides und den Nikiasfrieden nicht berücksichtigt. 20) Protag. 342b ὦτα κατάγνυνται μιμούμενοι τοὺς Λακεδαιμονίους. man könnte sie mit den ἀνοήτως λακωνίζοντες Isokr. 12, 155 identificiren wollen, und darauf weiter bauen. allein Isokrates hat in jener späten rede eine ausführliche schrift über Sparta vor sich (177. 182 u. ö.), die notwendig viel jünger ist, nach Leuktra verfaſst. sie aber wird allerdings diejenige sein, welche die richtige μεῖξις πολιτειῶν in Sparta fand (oben s. 74), denn das steht hier 153. natürlich denkt man leicht an Dioskorides; aber ich sehe keine möglichkeit, den gedanken über die bare möglichkeit zu erheben.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/147>, abgerufen am 26.04.2024.