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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 5. Thukydides.
deren familie er sich rechnen durfte 29), war nicht besser, als die tradition
der Alkmeoniden, die wir so oft bei Herodotos antreffen und, wo wir sie
controlliren können, auch berichtigen. die ansprüche des Thukydides
sind höher, aber er ist in dem was er auf blosse akoe gibt, natürlicher-
weise nicht minder wahrheitsliebend und nicht minder dem irrtum unter-
worfen als Herodotos; über die schuld des Hipparchos und mehreres andere
hat er sich getäuscht. dagegen behält er recht gegenüber dem poetischen
glauben des skolions ote ton turannon ktaneten isonomous t Athenas
epoiesaten. Hippias war und blieb der eigentliche herr Athens trotz den
tyrannenmördern. und das streben nach urkundlichen beweisen bleibt auch
ein vorzug des Thukydides, er hat die stele der burg nachgesehn, sie
lieferte ihm das verzeichnis der Peisistratiden: wer der liebhaber des Har-
modios gewesen war, stand da nicht zu lesen. dieses document und die
epigramme auf den altären des marktes und im Pythion haben ihm seine
richtigen folgerungen über die tyrannenherrschaft bestätigt, ein grab-
epigramm, das er in Lampsakos las, die verbindungen der Peisistratiden mit
den dortigen tyrannen. das sollten wir modernen aber nie vergessen, und
es wäre hübscher gewesen, wenn Thukydides es in seiner vorrede auch
nicht vergessen hätte, dass Herodotos über die tyrannen und den tod des
Hipparchos nicht wesentlich schlechter als Thukydides unterrichtet war.
die grosse überlegenheit, mit der Thukydides auf seinen grösseren vor-

29) Die sachkundige behandlung der frage nach dem geschlechtsverbande des
Thukydides durch Töpffer hat meine ältere arbeit in mehrerem berichtigt. aber in
der hauptsache muss ich bei meiner ansicht bleiben, dass ein directer vorfahr des
geschichtschreibers als bruder der Hegesipyle schwager des Miltiades war. entschei-
dend ist der besitz der thrakischen bergwerke und die einflussreiche stellung des
Thukydides in jener gegend. sein besitz kann ja gar nicht im attischen gebiete
gelegen haben, denn ein wegen verrates zum tode verurteilter kann nicht in Athen
oder on Athenaioi arkhousi wohnen. wie sollte er zu diesen gütern kommen, wenn
sein vater ein dunkler ehrenmann aus Halimus war? ein hellenisirter Thraker hat
sich für Athen erklärt, als die gegend des Pangaion annectirt ward, weil er Kimons
onkel war, hat so das bürgerrecht erhalten und seinen sohn nach dem Thukydides
aus Alopeke benannt, so gut wie der Thessaler Menon, der das bürgerrecht oder
vielmehr die atelie für die hilfe wider Eion erhielt (Dem. 23, 199 vgl. p. suntaxeos
23, dies richtiger) und seinen sohn Thukydides nannte (Thuk. 8, 92, Polemon bei
Marcellin 5, 32 Bekk.). dass Oloros Halimusier ward, nicht Lakiade wie Kimon oder
Alopekeer wie Thukydides, scheint mir nicht von belang: das volk konnte doch
nicht alle solche clientel in eine gemeinde stecken, etwa wie alle von einem kaiser
zu Römern gemachten leute in des kaisers tribus kamen, dazu war die sache in
Athen zu wichtig. dass aber Oloros, der keine eria hatte, in die Kimoneia auf-
nahme fand, ist nicht wunderbar: seine kinder hatten dann da die eria.

I. 5. Thukydides.
deren familie er sich rechnen durfte 29), war nicht besser, als die tradition
der Alkmeoniden, die wir so oft bei Herodotos antreffen und, wo wir sie
controlliren können, auch berichtigen. die ansprüche des Thukydides
sind höher, aber er ist in dem was er auf bloſse ἀκοή gibt, natürlicher-
weise nicht minder wahrheitsliebend und nicht minder dem irrtum unter-
worfen als Herodotos; über die schuld des Hipparchos und mehreres andere
hat er sich getäuscht. dagegen behält er recht gegenüber dem poetischen
glauben des skolions ὅτε τὸν τύϱαννον κτανέτην ἰσονόμους τ̕ Ἀϑήνας
ἐποιησάτην. Hippias war und blieb der eigentliche herr Athens trotz den
tyrannenmördern. und das streben nach urkundlichen beweisen bleibt auch
ein vorzug des Thukydides, er hat die stele der burg nachgesehn, sie
lieferte ihm das verzeichnis der Peisistratiden: wer der liebhaber des Har-
modios gewesen war, stand da nicht zu lesen. dieses document und die
epigramme auf den altären des marktes und im Pythion haben ihm seine
richtigen folgerungen über die tyrannenherrschaft bestätigt, ein grab-
epigramm, das er in Lampsakos las, die verbindungen der Peisistratiden mit
den dortigen tyrannen. das sollten wir modernen aber nie vergessen, und
es wäre hübscher gewesen, wenn Thukydides es in seiner vorrede auch
nicht vergessen hätte, daſs Herodotos über die tyrannen und den tod des
Hipparchos nicht wesentlich schlechter als Thukydides unterrichtet war.
die groſse überlegenheit, mit der Thukydides auf seinen gröſseren vor-

29) Die sachkundige behandlung der frage nach dem geschlechtsverbande des
Thukydides durch Töpffer hat meine ältere arbeit in mehrerem berichtigt. aber in
der hauptsache muſs ich bei meiner ansicht bleiben, daſs ein directer vorfahr des
geschichtschreibers als bruder der Hegesipyle schwager des Miltiades war. entschei-
dend ist der besitz der thrakischen bergwerke und die einfluſsreiche stellung des
Thukydides in jener gegend. sein besitz kann ja gar nicht im attischen gebiete
gelegen haben, denn ein wegen verrates zum tode verurteilter kann nicht in Athen
oder ὧν Ἀϑηναῖοι ἄϱχουσι wohnen. wie sollte er zu diesen gütern kommen, wenn
sein vater ein dunkler ehrenmann aus Halimus war? ein hellenisirter Thraker hat
sich für Athen erklärt, als die gegend des Pangaion annectirt ward, weil er Kimons
onkel war, hat so das bürgerrecht erhalten und seinen sohn nach dem Thukydides
aus Alopeke benannt, so gut wie der Thessaler Menon, der das bürgerrecht oder
vielmehr die atelie für die hilfe wider Eion erhielt (Dem. 23, 199 vgl. π. συντάξεως
23, dies richtiger) und seinen sohn Thukydides nannte (Thuk. 8, 92, Polemon bei
Marcellin 5, 32 Bekk.). daſs Oloros Halimusier ward, nicht Lakiade wie Kimon oder
Alopekeer wie Thukydides, scheint mir nicht von belang: das volk konnte doch
nicht alle solche clientel in eine gemeinde stecken, etwa wie alle von einem kaiser
zu Römern gemachten leute in des kaisers tribus kamen, dazu war die sache in
Athen zu wichtig. daſs aber Oloros, der keine ἠϱία hatte, in die Κιμώνεια auf-
nahme fand, ist nicht wunderbar: seine kinder hatten dann da die ἠϱία.
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[116/0130] I. 5. Thukydides. deren familie er sich rechnen durfte 29), war nicht besser, als die tradition der Alkmeoniden, die wir so oft bei Herodotos antreffen und, wo wir sie controlliren können, auch berichtigen. die ansprüche des Thukydides sind höher, aber er ist in dem was er auf bloſse ἀκοή gibt, natürlicher- weise nicht minder wahrheitsliebend und nicht minder dem irrtum unter- worfen als Herodotos; über die schuld des Hipparchos und mehreres andere hat er sich getäuscht. dagegen behält er recht gegenüber dem poetischen glauben des skolions ὅτε τὸν τύϱαννον κτανέτην ἰσονόμους τ̕ Ἀϑήνας ἐποιησάτην. Hippias war und blieb der eigentliche herr Athens trotz den tyrannenmördern. und das streben nach urkundlichen beweisen bleibt auch ein vorzug des Thukydides, er hat die stele der burg nachgesehn, sie lieferte ihm das verzeichnis der Peisistratiden: wer der liebhaber des Har- modios gewesen war, stand da nicht zu lesen. dieses document und die epigramme auf den altären des marktes und im Pythion haben ihm seine richtigen folgerungen über die tyrannenherrschaft bestätigt, ein grab- epigramm, das er in Lampsakos las, die verbindungen der Peisistratiden mit den dortigen tyrannen. das sollten wir modernen aber nie vergessen, und es wäre hübscher gewesen, wenn Thukydides es in seiner vorrede auch nicht vergessen hätte, daſs Herodotos über die tyrannen und den tod des Hipparchos nicht wesentlich schlechter als Thukydides unterrichtet war. die groſse überlegenheit, mit der Thukydides auf seinen gröſseren vor- 29) Die sachkundige behandlung der frage nach dem geschlechtsverbande des Thukydides durch Töpffer hat meine ältere arbeit in mehrerem berichtigt. aber in der hauptsache muſs ich bei meiner ansicht bleiben, daſs ein directer vorfahr des geschichtschreibers als bruder der Hegesipyle schwager des Miltiades war. entschei- dend ist der besitz der thrakischen bergwerke und die einfluſsreiche stellung des Thukydides in jener gegend. sein besitz kann ja gar nicht im attischen gebiete gelegen haben, denn ein wegen verrates zum tode verurteilter kann nicht in Athen oder ὧν Ἀϑηναῖοι ἄϱχουσι wohnen. wie sollte er zu diesen gütern kommen, wenn sein vater ein dunkler ehrenmann aus Halimus war? ein hellenisirter Thraker hat sich für Athen erklärt, als die gegend des Pangaion annectirt ward, weil er Kimons onkel war, hat so das bürgerrecht erhalten und seinen sohn nach dem Thukydides aus Alopeke benannt, so gut wie der Thessaler Menon, der das bürgerrecht oder vielmehr die atelie für die hilfe wider Eion erhielt (Dem. 23, 199 vgl. π. συντάξεως 23, dies richtiger) und seinen sohn Thukydides nannte (Thuk. 8, 92, Polemon bei Marcellin 5, 32 Bekk.). daſs Oloros Halimusier ward, nicht Lakiade wie Kimon oder Alopekeer wie Thukydides, scheint mir nicht von belang: das volk konnte doch nicht alle solche clientel in eine gemeinde stecken, etwa wie alle von einem kaiser zu Römern gemachten leute in des kaisers tribus kamen, dazu war die sache in Athen zu wichtig. daſs aber Oloros, der keine ἠϱία hatte, in die Κιμώνεια auf- nahme fand, ist nicht wunderbar: seine kinder hatten dann da die ἠϱία.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/130>, abgerufen am 26.04.2024.