Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

raum, offenbarte sich der schöne Stil, der mit
Beibehaltung des charakteristisch Festen auch das
charakteristisch Weiche und Zarte ausdrückte, aus
welcher Behandlung eben die hohe Schönheit ihrer
Meisterwerke, wozu unter andern der Laokoon ge¬
hört, resultirte; eben so wie die Natur unter allen
Schönheiten, die sie bildet, bei der Bildung eines
schönen Jünglings oder Mannes sich gleichsam ihr
äußerstes Ziel gesetzt hat, da in einer männlich
schönen Gestalt das Feste und Weiche harmonischer
in einander aufgehen, als in der schönsten weibli¬
chen Gestalt.

Allein die Meisterin Natur hat andere Schwie¬
rigkeiten zu besiegen, als die Meister der Kunst.
Keine Schönheit kann freilich die ihrige übertref¬
fen, wenn und so oft sie sich einer ungestörten
Entwicklung erfreut, die kühnste Bildnerei und
Malerei wird zu Schande vor ihrer nackten Ein¬
falt. Während aber der echte Künstler bei hin¬
länglich gutem Material alle Zeit im Stande ist,
die Verwirklichung des ästhetischen Gesetzes charak¬
teristischer Schönheit ungehindert und ausschließlich
anzustreben, wird die Künstlerin Natur nur zu oft
in ihrem Streben gehemmt und während sie es
auf das Höchste anlegte, auf das blos Nothwen¬
dige der Existenz, auf die Rettung des Daseins
ihrer Geschöpfe, auf Selbsterhaltung reduzirt. Se¬

13 *

raum, offenbarte ſich der ſchoͤne Stil, der mit
Beibehaltung des charakteriſtiſch Feſten auch das
charakteriſtiſch Weiche und Zarte ausdruͤckte, aus
welcher Behandlung eben die hohe Schoͤnheit ihrer
Meiſterwerke, wozu unter andern der Laokoon ge¬
hoͤrt, reſultirte; eben ſo wie die Natur unter allen
Schoͤnheiten, die ſie bildet, bei der Bildung eines
ſchoͤnen Juͤnglings oder Mannes ſich gleichſam ihr
aͤußerſtes Ziel geſetzt hat, da in einer maͤnnlich
ſchoͤnen Geſtalt das Feſte und Weiche harmoniſcher
in einander aufgehen, als in der ſchoͤnſten weibli¬
chen Geſtalt.

Allein die Meiſterin Natur hat andere Schwie¬
rigkeiten zu beſiegen, als die Meiſter der Kunſt.
Keine Schoͤnheit kann freilich die ihrige uͤbertref¬
fen, wenn und ſo oft ſie ſich einer ungeſtoͤrten
Entwicklung erfreut, die kuͤhnſte Bildnerei und
Malerei wird zu Schande vor ihrer nackten Ein¬
falt. Waͤhrend aber der echte Kuͤnſtler bei hin¬
laͤnglich gutem Material alle Zeit im Stande iſt,
die Verwirklichung des aͤſthetiſchen Geſetzes charak¬
teriſtiſcher Schoͤnheit ungehindert und ausſchließlich
anzuſtreben, wird die Kuͤnſtlerin Natur nur zu oft
in ihrem Streben gehemmt und waͤhrend ſie es
auf das Hoͤchſte anlegte, auf das blos Nothwen¬
dige der Exiſtenz, auf die Rettung des Daſeins
ihrer Geſchoͤpfe, auf Selbſterhaltung reduzirt. Se¬

13 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0209" n="195"/>
raum, offenbarte &#x017F;ich der <hi rendition="#g">&#x017F;cho&#x0364;ne</hi> Stil, der mit<lb/>
Beibehaltung des charakteri&#x017F;ti&#x017F;ch Fe&#x017F;ten auch das<lb/>
charakteri&#x017F;ti&#x017F;ch Weiche und Zarte ausdru&#x0364;ckte, aus<lb/>
welcher Behandlung eben die hohe Scho&#x0364;nheit ihrer<lb/>
Mei&#x017F;terwerke, wozu unter andern der Laokoon ge¬<lb/>
ho&#x0364;rt, re&#x017F;ultirte; eben &#x017F;o wie die Natur unter allen<lb/>
Scho&#x0364;nheiten, die &#x017F;ie bildet, bei der Bildung eines<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Ju&#x0364;nglings oder Mannes &#x017F;ich gleich&#x017F;am ihr<lb/>
a&#x0364;ußer&#x017F;tes Ziel ge&#x017F;etzt hat, da in einer ma&#x0364;nnlich<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Ge&#x017F;talt das Fe&#x017F;te und Weiche harmoni&#x017F;cher<lb/>
in einander aufgehen, als in der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten weibli¬<lb/>
chen Ge&#x017F;talt.</p><lb/>
        <p>Allein die Mei&#x017F;terin Natur hat andere Schwie¬<lb/>
rigkeiten zu be&#x017F;iegen, als die Mei&#x017F;ter der Kun&#x017F;t.<lb/>
Keine Scho&#x0364;nheit kann freilich die ihrige u&#x0364;bertref¬<lb/>
fen, wenn und &#x017F;o oft &#x017F;ie &#x017F;ich einer unge&#x017F;to&#x0364;rten<lb/>
Entwicklung erfreut, die ku&#x0364;hn&#x017F;te Bildnerei und<lb/>
Malerei wird zu Schande vor ihrer nackten Ein¬<lb/>
falt. Wa&#x0364;hrend aber der echte Ku&#x0364;n&#x017F;tler bei hin¬<lb/>
la&#x0364;nglich gutem Material alle Zeit im Stande i&#x017F;t,<lb/>
die Verwirklichung des a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Ge&#x017F;etzes charak¬<lb/>
teri&#x017F;ti&#x017F;cher Scho&#x0364;nheit ungehindert und aus&#x017F;chließlich<lb/>
anzu&#x017F;treben, wird die Ku&#x0364;n&#x017F;tlerin Natur nur zu oft<lb/>
in ihrem Streben gehemmt und wa&#x0364;hrend &#x017F;ie es<lb/>
auf das Ho&#x0364;ch&#x017F;te anlegte, auf das blos Nothwen¬<lb/>
dige der Exi&#x017F;tenz, auf die Rettung des Da&#x017F;eins<lb/>
ihrer Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe, auf Selb&#x017F;terhaltung reduzirt. Se¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">13 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0209] raum, offenbarte ſich der ſchoͤne Stil, der mit Beibehaltung des charakteriſtiſch Feſten auch das charakteriſtiſch Weiche und Zarte ausdruͤckte, aus welcher Behandlung eben die hohe Schoͤnheit ihrer Meiſterwerke, wozu unter andern der Laokoon ge¬ hoͤrt, reſultirte; eben ſo wie die Natur unter allen Schoͤnheiten, die ſie bildet, bei der Bildung eines ſchoͤnen Juͤnglings oder Mannes ſich gleichſam ihr aͤußerſtes Ziel geſetzt hat, da in einer maͤnnlich ſchoͤnen Geſtalt das Feſte und Weiche harmoniſcher in einander aufgehen, als in der ſchoͤnſten weibli¬ chen Geſtalt. Allein die Meiſterin Natur hat andere Schwie¬ rigkeiten zu beſiegen, als die Meiſter der Kunſt. Keine Schoͤnheit kann freilich die ihrige uͤbertref¬ fen, wenn und ſo oft ſie ſich einer ungeſtoͤrten Entwicklung erfreut, die kuͤhnſte Bildnerei und Malerei wird zu Schande vor ihrer nackten Ein¬ falt. Waͤhrend aber der echte Kuͤnſtler bei hin¬ laͤnglich gutem Material alle Zeit im Stande iſt, die Verwirklichung des aͤſthetiſchen Geſetzes charak¬ teriſtiſcher Schoͤnheit ungehindert und ausſchließlich anzuſtreben, wird die Kuͤnſtlerin Natur nur zu oft in ihrem Streben gehemmt und waͤhrend ſie es auf das Hoͤchſte anlegte, auf das blos Nothwen¬ dige der Exiſtenz, auf die Rettung des Daſeins ihrer Geſchoͤpfe, auf Selbſterhaltung reduzirt. Se¬ 13 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/209
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/209>, abgerufen am 26.04.2024.