Zweytes Capitel. Character des Dion. Anmerkungen über densel- ben. Eine Digression.
Die Syracusaner waren des Jochs schon zu wol ge- wohnt, um einen Versuch zu machen, es nach dem Tode des alten Dionysius abzuschütteln. Es war nicht einmal soviel Tugend unter ihnen übrig, daß einige von denen, welche besser dachten als der grosse Hauffen, und die verächtliche Brut der Parasiten, den Muth gehabt hätten, sich durch diese leztern hindurch bis zu dem Ohre des jungen Prinzen zu drängen, um ihm Wahrheiten zu sagen, von denen seine eigene Glükseligkeit eben so wol abhieng, als die Wohlfarth von Sicilien. Ganz Syracus hatte nur einen Mann, dessen Herz groß ge- nug hiezu war; und auch dieser würde sich vermuthlich in eben diese sichere aber unrühmliche Dunkelheit einge- hüllet haben, worein ehrliche Leute unter einer unglük- weissagenden Regierung sich zu verbergen pflegen; wenn ihn seine Geburt nicht berechtiget, und sein Jnteresse genöthiget hätte, sich um die Staats-Verwaltung zu bekümmern.
Dieser Mann war Dion, ein Bruder der Stiefmut- ter des Dionys, und der Gemahl seiner Schwester; der Nächste nach ihm im Staat, und der Einzige, der sich durch seine grosse Fähigkeiten, durch sein Ansehen bey dem Volke, und durch die unermeßliche Reichtümer,
die
Neuntes Buch, zweytes Capitel.
Zweytes Capitel. Character des Dion. Anmerkungen uͤber denſel- ben. Eine Digreſſion.
Die Syracuſaner waren des Jochs ſchon zu wol ge- wohnt, um einen Verſuch zu machen, es nach dem Tode des alten Dionyſius abzuſchuͤtteln. Es war nicht einmal ſoviel Tugend unter ihnen uͤbrig, daß einige von denen, welche beſſer dachten als der groſſe Hauffen, und die veraͤchtliche Brut der Paraſiten, den Muth gehabt haͤtten, ſich durch dieſe leztern hindurch bis zu dem Ohre des jungen Prinzen zu draͤngen, um ihm Wahrheiten zu ſagen, von denen ſeine eigene Gluͤkſeligkeit eben ſo wol abhieng, als die Wohlfarth von Sicilien. Ganz Syracus hatte nur einen Mann, deſſen Herz groß ge- nug hiezu war; und auch dieſer wuͤrde ſich vermuthlich in eben dieſe ſichere aber unruͤhmliche Dunkelheit einge- huͤllet haben, worein ehrliche Leute unter einer ungluͤk- weiſſagenden Regierung ſich zu verbergen pflegen; wenn ihn ſeine Geburt nicht berechtiget, und ſein Jntereſſe genoͤthiget haͤtte, ſich um die Staats-Verwaltung zu bekuͤmmern.
Dieſer Mann war Dion, ein Bruder der Stiefmut- ter des Dionys, und der Gemahl ſeiner Schweſter; der Naͤchſte nach ihm im Staat, und der Einzige, der ſich durch ſeine groſſe Faͤhigkeiten, durch ſein Anſehen bey dem Volke, und durch die unermeßliche Reichtuͤmer,
die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0093"n="91"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Neuntes Buch, zweytes Capitel.</hi></fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Zweytes Capitel.</hi><lb/>
Character des Dion. Anmerkungen uͤber denſel-<lb/>
ben. Eine Digreſſion.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie Syracuſaner waren des Jochs ſchon zu wol ge-<lb/>
wohnt, um einen Verſuch zu machen, es nach dem<lb/>
Tode des alten Dionyſius abzuſchuͤtteln. Es war nicht<lb/>
einmal ſoviel Tugend unter ihnen uͤbrig, daß einige von<lb/>
denen, welche beſſer dachten als der groſſe Hauffen, und<lb/>
die veraͤchtliche Brut der Paraſiten, den Muth gehabt<lb/>
haͤtten, ſich durch dieſe leztern hindurch bis zu dem Ohre<lb/>
des jungen Prinzen zu draͤngen, um ihm Wahrheiten<lb/>
zu ſagen, von denen ſeine eigene Gluͤkſeligkeit eben ſo<lb/>
wol abhieng, als die Wohlfarth von Sicilien. Ganz<lb/>
Syracus hatte nur einen Mann, deſſen Herz groß ge-<lb/>
nug hiezu war; und auch dieſer wuͤrde ſich vermuthlich<lb/>
in eben dieſe ſichere aber unruͤhmliche Dunkelheit einge-<lb/>
huͤllet haben, worein ehrliche Leute unter einer ungluͤk-<lb/>
weiſſagenden Regierung ſich zu verbergen pflegen; wenn<lb/>
ihn ſeine Geburt nicht berechtiget, und ſein Jntereſſe<lb/>
genoͤthiget haͤtte, ſich um die Staats-Verwaltung zu<lb/>
bekuͤmmern.</p><lb/><p>Dieſer Mann war Dion, ein Bruder der Stiefmut-<lb/>
ter des Dionys, und der Gemahl ſeiner Schweſter;<lb/>
der Naͤchſte nach ihm im Staat, und der Einzige, der<lb/>ſich durch ſeine groſſe Faͤhigkeiten, durch ſein Anſehen<lb/>
bey dem Volke, und durch die unermeßliche Reichtuͤmer,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">die</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[91/0093]
Neuntes Buch, zweytes Capitel.
Zweytes Capitel.
Character des Dion. Anmerkungen uͤber denſel-
ben. Eine Digreſſion.
Die Syracuſaner waren des Jochs ſchon zu wol ge-
wohnt, um einen Verſuch zu machen, es nach dem
Tode des alten Dionyſius abzuſchuͤtteln. Es war nicht
einmal ſoviel Tugend unter ihnen uͤbrig, daß einige von
denen, welche beſſer dachten als der groſſe Hauffen, und
die veraͤchtliche Brut der Paraſiten, den Muth gehabt
haͤtten, ſich durch dieſe leztern hindurch bis zu dem Ohre
des jungen Prinzen zu draͤngen, um ihm Wahrheiten
zu ſagen, von denen ſeine eigene Gluͤkſeligkeit eben ſo
wol abhieng, als die Wohlfarth von Sicilien. Ganz
Syracus hatte nur einen Mann, deſſen Herz groß ge-
nug hiezu war; und auch dieſer wuͤrde ſich vermuthlich
in eben dieſe ſichere aber unruͤhmliche Dunkelheit einge-
huͤllet haben, worein ehrliche Leute unter einer ungluͤk-
weiſſagenden Regierung ſich zu verbergen pflegen; wenn
ihn ſeine Geburt nicht berechtiget, und ſein Jntereſſe
genoͤthiget haͤtte, ſich um die Staats-Verwaltung zu
bekuͤmmern.
Dieſer Mann war Dion, ein Bruder der Stiefmut-
ter des Dionys, und der Gemahl ſeiner Schweſter;
der Naͤchſte nach ihm im Staat, und der Einzige, der
ſich durch ſeine groſſe Faͤhigkeiten, durch ſein Anſehen
bey dem Volke, und durch die unermeßliche Reichtuͤmer,
die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/93>, abgerufen am 21.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.