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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Zweytes Buch, achtes Capitel.
Nymphen reden nur die Verliebten. Wir müssen uns
schon entschliessen, ihm diese Unart zu gut zu halten, und
wir sollten es desto eher thun können, da ein so feiner
Weltmann als Horaz unstreitig war, sich nicht geschämt
hat zu gestehen, daß er öfters mit sich selbst zu reden
pflege.

Achtes Capitel.
Vorbereitungen zum Folgenden.

Agathon hatte noch nicht lange genug unter den Men-
schen gelebt, um die Welt so gut zu kennen, als ein
Theophrast sie zu der Zeit kannte, da er sie verlassen
mußte. Allein was ihm an Erfahrung abgieng, ersezte
seine natürliche Gabe in den Seelen zu lesen, die
durch die Aufmerksamkeit geschärft worden war, wo-
mit er die Menschen und die Auftritte des Lebens,
die er zu sehen Gelegenheit gehabt, beobachtet hatte.
Daher kam es, daß seine lezte Unterredung mit dem
Hippias, anstatt ihn etwas zu lehren, nur den Ver-
dacht rechtfertigte, den er schon einige Zeit gegen den
Character und die Denkungsart dieses Sophisten gefaßt
hatte. Er konnte also auch leicht errathen, von was
für einer Art die geheime Philosophie seyn würde, von
welcher er ihm so grosse Vortheile versprochen hatte.
Dem ungeachtet verlangte ihn nach dieser Zusammen-
kunft, theils weil er neugierig war, die Denkungsart
eines Hippias in ein System gebracht zu sehen, theils

weil
E 5

Zweytes Buch, achtes Capitel.
Nymphen reden nur die Verliebten. Wir muͤſſen uns
ſchon entſchlieſſen, ihm dieſe Unart zu gut zu halten, und
wir ſollten es deſto eher thun koͤnnen, da ein ſo feiner
Weltmann als Horaz unſtreitig war, ſich nicht geſchaͤmt
hat zu geſtehen, daß er oͤfters mit ſich ſelbſt zu reden
pflege.

Achtes Capitel.
Vorbereitungen zum Folgenden.

Agathon hatte noch nicht lange genug unter den Men-
ſchen gelebt, um die Welt ſo gut zu kennen, als ein
Theophraſt ſie zu der Zeit kannte, da er ſie verlaſſen
mußte. Allein was ihm an Erfahrung abgieng, erſezte
ſeine natuͤrliche Gabe in den Seelen zu leſen, die
durch die Aufmerkſamkeit geſchaͤrft worden war, wo-
mit er die Menſchen und die Auftritte des Lebens,
die er zu ſehen Gelegenheit gehabt, beobachtet hatte.
Daher kam es, daß ſeine lezte Unterredung mit dem
Hippias, anſtatt ihn etwas zu lehren, nur den Ver-
dacht rechtfertigte, den er ſchon einige Zeit gegen den
Character und die Denkungsart dieſes Sophiſten gefaßt
hatte. Er konnte alſo auch leicht errathen, von was
fuͤr einer Art die geheime Philoſophie ſeyn wuͤrde, von
welcher er ihm ſo groſſe Vortheile verſprochen hatte.
Dem ungeachtet verlangte ihn nach dieſer Zuſammen-
kunft, theils weil er neugierig war, die Denkungsart
eines Hippias in ein Syſtem gebracht zu ſehen, theils

weil
E 5
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[73/0095] Zweytes Buch, achtes Capitel. Nymphen reden nur die Verliebten. Wir muͤſſen uns ſchon entſchlieſſen, ihm dieſe Unart zu gut zu halten, und wir ſollten es deſto eher thun koͤnnen, da ein ſo feiner Weltmann als Horaz unſtreitig war, ſich nicht geſchaͤmt hat zu geſtehen, daß er oͤfters mit ſich ſelbſt zu reden pflege. Achtes Capitel. Vorbereitungen zum Folgenden. Agathon hatte noch nicht lange genug unter den Men- ſchen gelebt, um die Welt ſo gut zu kennen, als ein Theophraſt ſie zu der Zeit kannte, da er ſie verlaſſen mußte. Allein was ihm an Erfahrung abgieng, erſezte ſeine natuͤrliche Gabe in den Seelen zu leſen, die durch die Aufmerkſamkeit geſchaͤrft worden war, wo- mit er die Menſchen und die Auftritte des Lebens, die er zu ſehen Gelegenheit gehabt, beobachtet hatte. Daher kam es, daß ſeine lezte Unterredung mit dem Hippias, anſtatt ihn etwas zu lehren, nur den Ver- dacht rechtfertigte, den er ſchon einige Zeit gegen den Character und die Denkungsart dieſes Sophiſten gefaßt hatte. Er konnte alſo auch leicht errathen, von was fuͤr einer Art die geheime Philoſophie ſeyn wuͤrde, von welcher er ihm ſo groſſe Vortheile verſprochen hatte. Dem ungeachtet verlangte ihn nach dieſer Zuſammen- kunft, theils weil er neugierig war, die Denkungsart eines Hippias in ein Syſtem gebracht zu ſehen, theils weil E 5

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/95>, abgerufen am 30.12.2024.