Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Zweytes Buch, sechstes Capitel. Sechstes Capitel. Ein Gespräch zwischen Hippias und seinem Sclaven. (*) Hippias. Du scheinst in Gedanken vertieft, Callias? Agathon. Jch glaubte allein zu seyn. Hippias. Ein andrer an deiner Stelle würde sich die Frey- heit meines Hauses besser zu Nutze machen. Doch vielleicht gefällst du mir um dieser Zurükhaltung wil- len nur desto besser. Aber mit was für Gedanken vertreibst du dir die Zeit, wenn man fragen darf? Agathon. Die allgemeine Stille, der Mondschein, die rühren- de Schönheit der schlummernden Natur, die mit den Ausdünstungen der Blumen durchwürzte Nachtluft, tausend angenehme Empfindungen, deren liebliche Ver- wirrung meine Seele trunken machte, sezte sie in eine Art von Entzükung, worinnen ein andrer Schau- plaz (*) Zur Verhütung alles Mißverstandes berichtet der Verfasser, daß, was Hippias hier und forthin scheinbares zur Behauptung des Epicureismus vormahlet, im folgenden Theile, worinn eine der wahren Religion und christlichen Tugend vollkommen günstige Phi- losophie die Oberhand behält, gründlich wird widerlegt werden; so daß dieses Blendwerk, wo die in den Zeiten des Pericles herr- schende Philosophie, nach der historischen Wahrheit, in der Hülle ei- ner Geschichte vorgetragen wird, vor der Wahrheit verschwinden soll, wie der Nebel vor der Sonne. D 5
Zweytes Buch, ſechſtes Capitel. Sechſtes Capitel. Ein Geſpraͤch zwiſchen Hippias und ſeinem Sclaven. (*) Hippias. Du ſcheinſt in Gedanken vertieft, Callias? Agathon. Jch glaubte allein zu ſeyn. Hippias. Ein andrer an deiner Stelle wuͤrde ſich die Frey- heit meines Hauſes beſſer zu Nutze machen. Doch vielleicht gefaͤllſt du mir um dieſer Zuruͤkhaltung wil- len nur deſto beſſer. Aber mit was fuͤr Gedanken vertreibſt du dir die Zeit, wenn man fragen darf? Agathon. Die allgemeine Stille, der Mondſchein, die ruͤhren- de Schoͤnheit der ſchlummernden Natur, die mit den Ausduͤnſtungen der Blumen durchwuͤrzte Nachtluft, tauſend angenehme Empfindungen, deren liebliche Ver- wirrung meine Seele trunken machte, ſezte ſie in eine Art von Entzuͤkung, worinnen ein andrer Schau- plaz (*) Zur Verhuͤtung alles Mißverſtandes berichtet der Verfaſſer, daß, was Hippias hier und forthin ſcheinbares zur Behauptung des Epicureiſmus vormahlet, im folgenden Theile, worinn eine der wahren Religion und chriſtlichen Tugend vollkommen guͤnſtige Phi- loſophie die Oberhand behaͤlt, gruͤndlich wird widerlegt werden; ſo daß dieſes Blendwerk, wo die in den Zeiten des Pericles herr- ſchende Philoſophie, nach der hiſtoriſchen Wahrheit, in der Huͤlle ei- ner Geſchichte vorgetragen wird, vor der Wahrheit verſchwinden ſoll, wie der Nebel vor der Sonne. D 5
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Zweytes Buch, ſechſtes Capitel.
Sechſtes Capitel.
Ein Geſpraͤch zwiſchen Hippias und
ſeinem Sclaven. (*)
Hippias.
Du ſcheinſt in Gedanken vertieft, Callias?
Agathon.
Jch glaubte allein zu ſeyn.
Hippias.
Ein andrer an deiner Stelle wuͤrde ſich die Frey-
heit meines Hauſes beſſer zu Nutze machen. Doch
vielleicht gefaͤllſt du mir um dieſer Zuruͤkhaltung wil-
len nur deſto beſſer. Aber mit was fuͤr Gedanken
vertreibſt du dir die Zeit, wenn man fragen darf?
Agathon.
Die allgemeine Stille, der Mondſchein, die ruͤhren-
de Schoͤnheit der ſchlummernden Natur, die mit den
Ausduͤnſtungen der Blumen durchwuͤrzte Nachtluft,
tauſend angenehme Empfindungen, deren liebliche Ver-
wirrung meine Seele trunken machte, ſezte ſie in
eine Art von Entzuͤkung, worinnen ein andrer Schau-
plaz
(*) Zur Verhuͤtung alles Mißverſtandes berichtet der Verfaſſer, daß,
was Hippias hier und forthin ſcheinbares zur Behauptung des
Epicureiſmus vormahlet, im folgenden Theile, worinn eine der
wahren Religion und chriſtlichen Tugend vollkommen guͤnſtige Phi-
loſophie die Oberhand behaͤlt, gruͤndlich wird widerlegt werden;
ſo daß dieſes Blendwerk, wo die in den Zeiten des Pericles herr-
ſchende Philoſophie, nach der hiſtoriſchen Wahrheit, in der Huͤlle ei-
ner Geſchichte vorgetragen wird, vor der Wahrheit verſchwinden
ſoll, wie der Nebel vor der Sonne.
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