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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
derung von seinen Sitten zu machen. Sein Lehr-Be-
grif, von der Kunst zu leben, wird uns in kurzem um-
ständlich vorgelegt werden; und er besaß eine Tugend,
welche nicht die Tugend der Moralisten zu seyn pflegt;
er lebte nach seinen Grundsäzen.

Zweytes Capitel.
Absichten des weisen Hippias.

Unter andern Neigungen, in deren Befriedigung man
den rechten Gebrauch des Reichthums zu sezen pflegt,
hatte Hippias einen besondern Geschmak an allem, was
gut in die Augen fiel. Er wollte, daß die Seinigen,
in seinem Hause wenigstens, sich nirgends hinwenden
sollten, ohne einem schönen Gegenstande zu begegnen.
Die schönsten Gemählde, die schönsten Bildsäulen und
Schnizwerke, die reichsten Tapeten, das schönste Haus-
geräthe, die schönsten Gefässe befriedigten seinen Geschmak
noch nicht; er wollte auch, daß der belebte Theil seines
Hauses mit dieser allgemeinen Schönheit übereinstim-
men sollte; und seine Bediente und Sclavinnen waren
die ausgesuchtesten Gestalten, die er in einem Lande,
wo die Schönheit gewöhnlich ist, hatte finden können.
Die Gestalt Agathons möchte also allein hinreichend ge-
wesen seyn, ihm seine Gunst zu erwerben; zumal da
er eben einen Leser nöthig hatte, und aus dem Anblik

und

Agathon.
derung von ſeinen Sitten zu machen. Sein Lehr-Be-
grif, von der Kunſt zu leben, wird uns in kurzem um-
ſtaͤndlich vorgelegt werden; und er beſaß eine Tugend,
welche nicht die Tugend der Moraliſten zu ſeyn pflegt;
er lebte nach ſeinen Grundſaͤzen.

Zweytes Capitel.
Abſichten des weiſen Hippias.

Unter andern Neigungen, in deren Befriedigung man
den rechten Gebrauch des Reichthums zu ſezen pflegt,
hatte Hippias einen beſondern Geſchmak an allem, was
gut in die Augen fiel. Er wollte, daß die Seinigen,
in ſeinem Hauſe wenigſtens, ſich nirgends hinwenden
ſollten, ohne einem ſchoͤnen Gegenſtande zu begegnen.
Die ſchoͤnſten Gemaͤhlde, die ſchoͤnſten Bildſaͤulen und
Schnizwerke, die reichſten Tapeten, das ſchoͤnſte Haus-
geraͤthe, die ſchoͤnſten Gefaͤſſe befriedigten ſeinen Geſchmak
noch nicht; er wollte auch, daß der belebte Theil ſeines
Hauſes mit dieſer allgemeinen Schoͤnheit uͤbereinſtim-
men ſollte; und ſeine Bediente und Sclavinnen waren
die ausgeſuchteſten Geſtalten, die er in einem Lande,
wo die Schoͤnheit gewoͤhnlich iſt, hatte finden koͤnnen.
Die Geſtalt Agathons moͤchte alſo allein hinreichend ge-
weſen ſeyn, ihm ſeine Gunſt zu erwerben; zumal da
er eben einen Leſer noͤthig hatte, und aus dem Anblik

und
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[44/0066] Agathon. derung von ſeinen Sitten zu machen. Sein Lehr-Be- grif, von der Kunſt zu leben, wird uns in kurzem um- ſtaͤndlich vorgelegt werden; und er beſaß eine Tugend, welche nicht die Tugend der Moraliſten zu ſeyn pflegt; er lebte nach ſeinen Grundſaͤzen. Zweytes Capitel. Abſichten des weiſen Hippias. Unter andern Neigungen, in deren Befriedigung man den rechten Gebrauch des Reichthums zu ſezen pflegt, hatte Hippias einen beſondern Geſchmak an allem, was gut in die Augen fiel. Er wollte, daß die Seinigen, in ſeinem Hauſe wenigſtens, ſich nirgends hinwenden ſollten, ohne einem ſchoͤnen Gegenſtande zu begegnen. Die ſchoͤnſten Gemaͤhlde, die ſchoͤnſten Bildſaͤulen und Schnizwerke, die reichſten Tapeten, das ſchoͤnſte Haus- geraͤthe, die ſchoͤnſten Gefaͤſſe befriedigten ſeinen Geſchmak noch nicht; er wollte auch, daß der belebte Theil ſeines Hauſes mit dieſer allgemeinen Schoͤnheit uͤbereinſtim- men ſollte; und ſeine Bediente und Sclavinnen waren die ausgeſuchteſten Geſtalten, die er in einem Lande, wo die Schoͤnheit gewoͤhnlich iſt, hatte finden koͤnnen. Die Geſtalt Agathons moͤchte alſo allein hinreichend ge- weſen ſeyn, ihm ſeine Gunſt zu erwerben; zumal da er eben einen Leſer noͤthig hatte, und aus dem Anblik und

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/66>, abgerufen am 21.11.2024.